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Zeitgenossen haben ihn geliebt. Nach Eric Dolphy befragt, kommentierte John Coltrane: „Was immer ich sagen würde, wäre ein Understatement.“ Und der Bassist und Bandleader Charles Mingus, bekannt für seinen Jähzorn und seine Unberechenbarkeit, nannte Dolphy „einen Heiligen – in jeder Hinsicht, nicht nur, was das Spielen anbelangt.“ Dabei soll sich Dolphy doch einst von Mingus mit den Worten verabschiedet haben: „Musikalisch schätze ich dich, aber menschlich verachte ich dich.“ Eric Dolphy offenbarte Größe in der bedingungslosen musikalischen Hingabe. Diese dürfte ihn zugleich entkräftet haben, obwohl er mied, was so viele andere Jazzmusiker umbrachte: Drogen und Alkohol. Was er nicht wusste: dass er in seiner letzten Lebensphase an einem schweren, auch von den Ärzten nicht erkannten Diabetes erkrankt war.
Beginnen wir die Biographie vom Ende her. Eric Dolphy trifft am 27. Juni 1964 in Berlin ein. Er kommt, um zum Eröffnungskonzert eines Jazzclubs zu spielen, doch nach dem zweiten Set muss man ihn förmlich drängen, die Bühne zu verlassen. Seine Kräfte sind am Ende. Am kommenden Tag ruft er mehrfach Freunde an, bittet sie, ihm zu helfen nach Hause zurückzukehren. Wohin nach Hause? Nach Paris, wo er sich nach der letzten Europa-Tournee mit Charles Mingus niedergelassen hatte? Nach New York, wo er seit Ende 1959 wohnte? Nach Los Angeles zu seinen Eltern? Eric Dolphy, allein in seinem Hotelzimmer, stirbt am 29. Juni 1964 in Berlin, neun Tage nach seinem sechsunddreißigsten Geburtstag. Auf Eric Dolphys Platte „The Last Date”, eingespielt mit Misha Mengelberg, Jacques Schols und Han Bennink, ist ein Satz aus dem Munde von Dolphy einkopiert, ein Fetzen aus einem Interview: „... after it’s over, it’s gone, into the air.“ Nach dem Spielen sind die Klänge schon verflogen in der Luft – unwiederholbar und unwiederbringlich. Was bleibt von einem Innovator des Jazz, der sich in dieser flüchtigsten der Künste, der musikalischen Improvisation, ausdrückte und mitteilte. Alles im Leben von Eric Dolphy schien in Musik aufzugehen. „Musik reflektiert alles,“ so ein überliefertes Zitat des Multiinstrumentalisten, „und sie ist universell.“ Und an anderer Stelle bekannte er: „Diese menschliche Stimme in meinem Spiel hat etwas damit zu tun, dass ich versuche, so viel menschliche Wärme und Gefühl in meine Musik zu bringen, wie ich nur kann. Ich möchte auf meinen Instrumenten mehr sagen, als es jemals auf konventionelle Weise möglich wäre.“ In den Lebensbeschreibungen und Selbstaussagen von Eric Dolphy findet sich kaum „Außermusikalisches“. Er liebte das einfache Leben, das Leben auf der Straße und fuhr in New York einen VW-Käfer. Im Sommer, in dem er starb, plante er die Heirat mit Miss Joyce Mordecai, einer New Yorkerin, über die wir nichts weiteres wissen. Eine seiner Kompositionen nannte Dolphy „Miss Movement“; der Bewegung eine weibliche Anrede gebend. Dolphy wird am 20.6.1928 in Los Angeles geboren und verbringt dort auch seine Kindheit und Jugend. Die Mutter singt im Kirchenchor. Dolphy jr. hört Messen und Oratorien, auch Händels „Messias“. Und er hört Jazz-Schallplatten, Aufnahmen von Fats Waller, Coleman Hawkins, Duke Ellington und Charlie Parker. Unter dem Einfluss der Musik Charlie Parkers, auf die ihn sein Schulfreund, der Pianist Hampton Hawes, aufmerksam macht, beginnt Eric Dolphy, Altsaxophon zu spielen. Nach seiner Armeezeit spielt Eric Dolphy in Tanzorchestern, Big Bands und Rhythm&Blues Bands. Bereits 1954 schließt er Bekanntschaft mit Ornette Coleman und John Coltrane. Auch Charles Mingus lernt er bereits während der fünfziger Jahre in Kalifornien kennen. Musiker wie Clifford Brown oder Max Roach schauen, wenn sie in Los Angeles spielen, nach ihren Konzerten hin und wieder in Dolphys kleinem Atelier vorbei. Ende der fünfziger Jahre spielt Eric Dolphy im Quintett des Schlagzeugers Chico Hamilton. Er tritt nun nicht nur mit dem Altsaxophon, sondern auch mit der Bassklarinette und der Flöte nach vorn. Bassklarinette, Flöte, Altsaxophon. Auf allen drei Instrumenten erreichte Eric Dolphy unverwechselbare Individualität, Authentizität der musikalischen Mitteilung. Jeweils anders und doch unverkennbar Dolphy. Die Bassklarinette für den Jazz, für die improvisierte Musik emanzipiert zu haben, zählt zu seinen großen Verdiensten. Unabhängig von der Stilistik, steht jeder, der im Jazz Bassklarinette spielt, im Einflusskreis von Eric Dolphy. Nach Auflösung der Band von Chico Hamilton lässt er sich 1959 in New York nieder. Die viereinhalb Jahre von der Ankunft in New York bis zu seinem Tod in Berlin sind die Zeit der Reife und Entfaltung seiner Musik. 1960 entstehen erste, wichtige Alben Eric Dolphys: „Outward Bound“ mit dem Trompeter Freddie Hubbard, „Out There“ in einer Quartettbesetzung mit Ron Carter als Cellisten und „Far Cry“, der Beginn der Zusammenarbeit mit dem Trompeter Booker Little. Schon mit den Titeln wird eine Richtung vorgegeben; nach außen, weg von der Konvention. Auch Dolphys bedeutendste Platteneinspielung enthält diese „inside-ouside“-Assoziation: „Out To Lunch“. In seiner musikalischen Praxis hat Eric Dolphy die Jazztradition erheblich erweitert, doch nur selten verlassen. „Ich betrachte mein Spiel als tonal“, sagte er 1960, „und obwohl ich Töne spiele, die in einer vorgegebenen Tonart unpassend erscheinen mögen, empfinde ich sie als passend. Ich glaube nicht, dass ich, wie gesagt wird, die Changes verlasse; jeder Ton den ich spiele, bezieht sich auf die Akkordstruktur des Stückes.“ Eric Dolphy beschäftigte sich nicht nur mit Jazz, sondern auch mit Neuer Musik. Er sprach oft über Schönberg, vertiefte sich in die Klänge Erik Saties und beteiligte sich an der Aufführung von Werken zeitgenössischer Komponisten. Fundamental war für Dolphy die Jazztradition. Er hat das ganze Erbe
dieser Musik aufgesogen – vom Bebop rückwärts über
die Swing-Ära bis hin zu den Marching Bands in New Orleans. Als er
die Eureka Jazz Band, eine Dixielandkapelle aus New Orleans hörte,
befand er spontan: „Das sind die ersten, die frei gespielt haben.“
Öffnung als Leitprinzip: Dolphy hat sich auch mit asiatischen und
afrikanischen Musikkulturen befasst und für die Gesänge der
Pygmäen begeistert. Einige der für ihn typischen, weitlagigen
Intervallsprünge sollen auf diese Weise inspiriert worden sein. Keinesfalls
überhört werden darf Dolphys Zuwendung zu Sounds der Natur.
Er berichtete, dass er oft im Freien gespielt und mit den Vögeln
kommuniziert habe. Und er wies in diesem Zusammenhang auf Mikrointervalle
hin, wie man sie auch in der indischen Musik antrifft, Klänge, die
in seinem Spiel immer wichtiger geworden seien: „Je mehr ich in
meiner Musik wachse, desto mehr Möglichkeiten höre ich. Ich
kann einfach nicht aufhören, Sounds herauszufinden, deren Existenz
ich mir vorher noch nicht vorstellen konnte.“ Nach der Tournee mit Mingus bleibt Eric Dolphy in Paris. Am 2. Juni 1964 entstehen in Hilversum die Aufnahmen für die Platte, die später unter dem Titel „The Last Date“ veröffentlicht wird: Eric Dolphy in einer Quartettformation mit zwei Musikern, die in den folgenden Jahren zum Free Jazz und zur improvisierten Musik europäischer Prägung wesentlich beitragen sollten, hier aber noch vergleichsweise konventionell agieren: der Pianist Misha Mengelberg und der Schlagzeuger Han Bennink. Die Begegnung mit Eric Dolphy – sei es im gemeinsamen Spiel oder als Zuhörer (unter den Namen derer, die das Konzert mit der Mingus-Band in Wuppertal zu organisieren halfen, findet sich auf dem Cover zu „Mingus in Europe“ auch der Name von Peter Brötzmann) – beeindruckt und beeinflusst eine ganze Generation europäischer Jazzmusiker und Jazzfans. Nach „The Last Date“ kommt es am 11. Juni 1964 in Paris zu weiteren, den allerletzten und posthum unter dem Titel „Unrealized Tapes“ veröffentlichten Aufnahmen mit Eric Dolphy, nun gemeinsam mit dem Tenorsaxophonisten Nathan Davis und dem Trompeter Donald Byrd sowie einer französischen Rhythmusgruppe. „Springtime“ erinnert ein wenig an die Village-Vanguard-Aufnahmen mit Coltrane und entwirft musikalisch das Bild des letzten Frühlings, den Eric Dolphy erlebt hat, zehn Tage vor Sommeranfang, in Paris, der Stadt seiner Wahl, im Jahr seines Todes. Bert Noglik Mit freundlicher Genehmigung von Triangel Radio-Tipp |
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