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Immer schon gab es gegensätzliche Tendenzen in der Kunst, ihren Genres und Sub-Genres: solche der Reinigung beziehungsweise Abstraktion; und solche multi-medialer Vermischung. Kaum war die Musik etwa „absolut“ geworden, da wurden aufwendige „Programme“ erdacht und immer raffiniertere Dramaturgien für sie entwickelt. An die Stelle der schlichten Sinfonie trat die sinfonische Dichtung, Richard Wagner träumte von einem großen Welttheater und synästhetischen Gesamtkunstwerk und Skrjabin gar von einem tönenden OrgienMysterienTheater mit nomadischen Orchestern als Teil einer gespenstisch belebten Natur. Der Film nahm die Musik früh in Dienst. Zuerst, in seiner „stummen“ Phase, sollten Klavierspieler und ganze Orchester mit ihrem sprechenden Sound die fehlende Semantik ersetzen oder ihre Rest-Formen, die Zwischen-Titel, ergänzen. Später, in der großen Zeit Hollywoods und im Grunde bis heute, sollte sie; „unhörbar“, sofort im Unbewussten des Zuschauers verankert, zur Seele des Leinwandgeschehens werden. Als mimetisches Medium und großer Verstärker von Gefühlen und Sentiments hauchte sie der Illusions-Maschine und Traum-Fabrik erst Leben ein. So wie die große, trügerische Kunst der Montage schon früh darin bestand, die Übergänge unbemerkbar zu machen, weil nur so eine „realistische“ Suggestion möglich ist, so sollte die Musik in der reinen Wirkung untergehen. Schon früh gab es Gegenstimmen, die vor einer Gleichschaltung der Medien warnten. Das begann spätestens bei Pudowkin, dem Theoretiker des frühen sowjetischen Films, der die Schnitte roh halten wollte und gipfelt einstweilen in der Radikalität des späten Godard, der unter dem irritierenden, weil schon anderweitig besetzten Titel „Nouvelle Vague“, die Soundtracks zu seinen Filmen pur, ohne begleitende Bilder oder Handlungen als reine, befremdende Collage aus Stimmen, Geräuschen und fragmentierten Musikstücken herausgab. Dem Bildverlust korrespondiert die absichtsvolle Tonstörung. Wenn man nach dem Mittelstück einer solchen radikalen, das heißt dekonstruktiven, „zerreißenden“ Ästhetik sucht, dann ist es vielleicht der fiebrige Jazz-Score zum film-noir- und nouvelle-vague-Klassiker „Fahrstuhl zum Schafott“: überhitztes, entfremdetes Leben auf einer bestürzenden Höllenfahrt, die alle Sicherheiten auflöst. Das Theater setzt Musik längst nicht nur als Arabeske oder Ambiente, also anekdotisch, ein. In den 80er-Jahren waren es ausgerechnet die zerstrümernden, stahlwerkenden „Einstürzenden Neubauten“ mit ihrem morbiden Endzeit-Sound und feuilletontauglichen radical-chic-Lärm, die erst Peter Zadeks Bühne und dann „Zeit“-Geist und Goethe-Insitute eroberte. „Jetzt“ bildet Herbert Grönemeyer mit seinem schicksalsschwangeren, scheinbar durch eigene, „authentische“ Verluste und Erfahrungen beglaubigten „ecce homo“-Pathos die Tonstörung zu Robert Wilsons magischen Bildverlusten oder zumindest -reduktionen. In der multimedialen Verschränkung jenseits von Funktionsmusik und Gesamtkunstwerk erhöht der Sound, der einem stets, nicht nur bei Jens Thomas‘ „Othello“-Notationen, unabbhängig von der konkreten Quelle, vom Ursprungs-Material „jazzy“ vorkommt, die Irritation und Provokation. Immer geht es um die Frage, wie das zur Sprache kommen kann, was noch nicht Sprache ist, jedenfalls nicht sprechen kann, was verschoben, verdrängt, traumatisch entzogen, noch gar nicht oder bloß halb „semantisch“ ist. Schwitters führte in seiner „Ursonate“, die kürzlich Salomé Kammer so überzeugend performte, vor, was diesseits und jenseits der Semantik geschieht, geschehen kann. Fragmentierte Sprache wird bei ihm zum Klang-Material. Aber dort, wo sie reine Musik, Rhythmus und Sound geworden scheint, enthüllt sie zugleich einen subsonischen Sinn; keinen fertigen, sondern einen „in Aktion“, gerade entstehend und vielleicht gleich wieder verschwindend. Musik kann aber auch ein Mittel sein, um scheinbar herkömmliche, „realistische“, ja selbst Begriff und Jargon nicht scheuende Literatur wie die Michel Houellebecqs in ein anderes, enthüllendes Medium, das Hörstück nämlich, zu übersetzen. Die skandalöse „Plattform“, die Aufsehen erregte, weil Houellebecq mit verletzender Schärfe die üblichen, „schützenden“ Konventionen der political correctness heftigst übertrat und sich mit spürbarer destruktiver Lust und wertkonservativem Ingrimm auf schlüpfrig-abgründigem rassistischen und sexistischen Terrain bewegte, wird durch den vermeintlichen „easy listening“-Soundtrack des „Air“-Produzenten Bertrand Burgalat nur noch unheimlicher. Diese Glätte, dieses Gleiten verletzt nicht weniger als Houellebecqs in jeder Hinsicht „scharfe“ Sprache. „Plattform“ wurde für den WDR von Martin Zylka eingerichtet und ist jetzt auch als Doppel-CD im „Audio Verlag“ erhältlich. Ulrike Haage hat einst, als weiterer Warhol’scher Pop-Superstar für 15 Minuten, bei den „Rainbirds“ nach „blueprints“ für mögliche Liebhaber gesucht, ist aber längst zu einer Sprach-Musik-Forscherin mutiert, die nicht nur William Burroughs‘ „Last Words“ sezierte, sondern jetzt auch die Aufzeichnungen der späten Kunst-Ikone Louise Bourgeois zur Vorlage eines vertrackten Hörstücks machte. Bei Ulrike Haages beim „sans soleil“-Label erschienenen und durch die Radio-Stationen tourenden „dingfest machen“ wird nicht die Authentizität des biographischen Bekenntnisses gläubig konsumiert, sondern nach dem Sub-Text jeder Expression geforscht. Diesen kommentierenden Part übernimmt hier eine Musik, die immer auch verrutschtes Zitat, Geräusch-Sample und neverending-Daseins-Blubbern ist. Helmut Hein |
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