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Die Vielseitigkeit an den weißen und schwarzen Tasten – im Jazz hat sie einen Namen: Kenny Barron. Der Pianist, der zum ersten Mal Anfang der 60er-Jahre ans Licht der Jazzöffentlichkeit trat, hat aus einer langen und reichhaltigen Karriere einen Stil geformt, mit dem er die Pianistik eines Tommy Flanagan, eines Hank Jones, eines Wynton Kelly und McCoyTyner fortsetzt. Einer der wichtigsten, beständigsten und vielseitigsten Pianisten des modernen Mainstream hat nun eine CD mit brasilianisch gefärbtem Jazz aufgenommen. Seine 59 Lebensjahre sieht man Kenny Barron nicht an: Der kahle, im Scheinwerferlicht leicht glänzende Kopf mit den markanten Augenbrauen lassen ihn jünger erscheinen. Doch sobald Barron in die Tasten greift – etwa beim letztjährigen „Klaviersommer“ in München mit einem sensationellen Solo-Auftritt – hört man die 41 Jahre Jazz, die sein lässig elegantes, unaufgeregt virtuoses Spiel ausmachen.
Kenny Barrons Jazzkarriere, das sind vier Jahre mit Dizzy Gillespie (1962-1966) und zahllose, für den Pianisten geradezu typische Duoeinspielungen mit Größen wie Ron Carter oder Stan Getz (z. B. „People Time“ v. 1991), der sich den Pianisten als Ersatz für Chick Corea in die Band geholt hatte. Nicht zu vergessen die 80er-Jahre, in denen sich Kenny Barron im idealtypischen Trio mit Ray Drummond (Bass) und dem Monk-Veteranen Ben Riley (Schlagzeug) zu einem der besten Interpreten der Musik von Thelonious Monk in all ihrer sperrigen Schönheit entwickelte. Darüber hinaus findet man unter dem Namen Kenny Barrons ungezählte Einspielungen als Sideman, so zahlreich, dass der „All Music Guide“ im Internet gut sieben Seiten ausspuckt, wenn man den Namen Kenny Barron eintippt. Mit „Canta Brasil“ (Universal Music 017 993-2) hat der amerikanische Pianist nun eine brasilianisch gefärbte Jazz- oder – je nach Standpunkt – jazzig improvisierte Brazil-Scheibe aufgenommen, was Kenny Barron-Fans allerdings nur auf den ersten Blick überrascht. Denn auf Barrons CDs finden sich seit langem immer wieder auch brasilianisch gefärbte Stücke. „Sambao“ - Barrons Debüt für das Label „Verve“ von 1993 – stand sogar ganz im Zeichen der brasilianischen Musik. Das Samba- und Bossa Nova-Fieber hatte den Pianisten und Komponisten bereits in den 60er-Jahren gepackt. Was für Millionen Hörer weltweit die Aufnahmen von Stan Getz mit João Gilberto und Charlie Byrd bedeuteten, war für Kenny Barron die Musik seines brasilianischen Instrumentalkollegen Sergio Mendes. Für dessen „Brasil 65“- Aufnahmen – eine lässige Mischung aus Bossa-Nova, Jazz-Improvisation und Easy-Listening – konnte sich Mitte der 60er-Jahre auch der gebürtige Philadelphier begeistern. Schon bald machte Kenny Barron selbst an der Seite von Dizzy Gillespie auf brasilianisch: „Desafinado, One Note Samba und Chega de Saudade“ – das waren die Bossa-Nova-Nummern, die wir mit Dizzy spielten.“ Ganz anders sah es mit Stan Getz aus, der in den 60er-Jahren Bossa-Nova zum weltweiten Musiktrend gemacht hatte: „Stan hatte leider die Nase voll von brasilianischer Musik, als ich in den 80er-Jahren mit ihm spielte.“ Neuestes Kapitel in der Liebesbeziehung zwischen dem amerikanischen Pianisten und der brasilianischen Musik: Die Sängerin Rossa Passos, von der sich Barron auf seiner letzten Japan-Tournee alles gekauft hat, was er kriegen konnte: „Sie ist einfach wunderbar!“ Auf „Canta Brasil“ präsentiert sich Kenny Barron so brasilianisch wie noch nie. Mit dem „Trio Da Paz“ hat er zum ersten Mal mit einer original-brasilianischen Rhythmusgruppe aufgenommen. Zum Schweben bringen Barron auf „Canta Brasil“ das Schlagzeug von Duduka da Fonseca, Romero Lubambos Akustikgitarre und der Kontrabass von Nilson Matta. Ganz gleich ob Joe Henderson, Ivan Lins, Astrud Gilberto oder A. C. Jobim – wann immer es in den letzten zehn Jahren um „Jazz meets Brasil“ ging, die drei vom „Trio da Paz“ waren mit dabei. Weitere Musiker, die Kenny Barron um dieses traumhaft eingespielte Trio gruppiert hat, sind Valtinho, der die Samba-Grooves an der Perkussion verdichtet, und Maucha Adnet (Gesang). Nur Kenny Barrons Flöten-Sirene ist Amerikanerin: Anne Drummond, eine von Kenny Barrons Klavierstudentinnen. Die Musik auf „Canta Brasil“ hebt sich angenehm von den meisten Brazilian-Jazz-Produktionen ab. Barron & Co. spielen nicht die hunderttausendste Version von „Desafinado“ oder „Mas Que Nada“, sondern ausschließlich Originalkompositionen. Wenn sich die Ballade „Clouds“ mit einem Klavierintro aus den rieselnden Klängen des Perkussionisten Valtinhos erhebt und das entspannte Thema im Wechsel zwischen Gitarre und Querflöte erklingt; wenn Romero Lubambos „Bachiao“ an eine brasilianische Antwort auf den Chick Corea-Klassiker „Spain“ erinnert und das um eine markante Bassfigur aufgebaute „This One“ kühle Modalität mit heißen Grooves verknüpft – dann gelingt Kenny Barron mit seinen Mitmusikern etwas ganz seltenes. Die nahtlose Verknüpfung aus Ipanema und 52nd Street, New York und Rio, Jazz und Samba. Claus Lochbihler |
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