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Beim Hören seiner Musik konnte man in eine Art Trance geraten. Kennzeichen seines Klavierstils war nämlich das, was er einmal als „power of repetition“ bezeichnet hat: Durch die variierende Wiederholung rhythmisch prägnanter kurzer Motive konnte Mal Waldron seinen Improvisationen hypnotisierende Wirkungen entlocken. Visualisiert man Waldrons Spiel, stellen sich oft Bilder kreisender Bewegungen ein: Man vermeint Kreisel, Strudel, sich bewegende Ringe auf dem Wasser zu sehen oder tanzende Derwische – eines seiner Alben heißt sogar „The Whirling Derwish“. Ob Wirbelwind, wie auf vielen frühen Aufnahmen, oder sanft oszillierende Klangspirale, wie beim altersweisen Meister, immer trug diese rotierende Energie unverkennbar seine eigene Handschrift.
Mit diesem Hang zum Minimalismus setzte er sich deutlich von den beiden Pianisten ab, die ihn einst geprägt hatten: Von Thelonious Monk, dessen karge Sperrigkeit bei ihm Spuren hinterlassen hatte, unterschied ihn die Neigung zum Ostinaten (wofür es bei Monk immerhin Ansätze gab). Und gegenüber Bud Powell wirkte Mal Waldron, der seine Laufbahn immerhin als Bebop-Pianist begann, geradezu wie ein Stoiker, insbesondere im Spätwerk. „Waldrons höchst individueller Klavierstil, bei dem über dunkel funkelnden Baßostinati perkussive Wiederholungsfiguren zu immer größerer rhythmischer Dichte im Diskant geschichtet werden, entwickelte schon immer seine ganz eigene Magie,“ brachte der Waldron-Spezialist Thomas Fitterling das Wesen Waldron’scher Klangkunst auf den Punkt. Und Frank Schindelbeck erläutert: „Unter Waldrons Fingern entwickeln die grollend-ostinaten Figuren der linken Hand tatsächlich enorme Kraft und eine charismatische Magie. ,Telegraphenstil’ hat man seinen Stil einmal genannt, weil seine rhythmischen Figuren wie geheimnisvolle Morsezeichen wirken. Perkussiv ist seine Phrasierung, die Figuren in den unteren Registern des Pianos werden durch kürzelhafte Einwürfe der rechten Hand aufgebrochen, kommentiert und umspielt.“ Es ist kein Zufall, dass sich immer wieder deutsche Autoren so intensiv mit diesem Klaviermagier beschäftigten, lebte er doch jahrzehntelang in unseren Breiten. Auch deutsche Plattenfirmen verdanken ihm viel: Platten von Mal Waldron (seit 1967 Wahlmünchner) gehörten zu den ersten Veröffentlichungen der Münchner Labels ECM und Enja; sie entstanden noch zu einer Zeit, als der Prophet noch etwas in der „Heimat“ galt. Später erschienen viele seiner Alben beim Münchner Label Tutu. Schließlich suchten deutsche Bands immer wieder die Zusammenarbeit mit Waldron: Ob in den 70er-Jahren im boppigen Quintett des Drummers Klaus Weiss oder jahrzehntelang als Gast der legendären Weltmusikformation Embryo (dessen Mitglieder sich als seine „Kinder“ sahen), Mal Waldron war überall wo er spielte ein wichtiger Impulsgeber. Und das war schon bei Malcolm Earl Waldrons amerikanischen Anfängen nicht anders. Der am 16. August 1925 geborene New Yorker (viele Nachschlagewerke machen ihn fälschlich ein Jahr jünger) machte erst einmal als Jazz-Saxophonist und klassischer Pianist Erfahrungen, bevor er in den in 50er-Jahren als Pianist bei Charles Mingus und dann als letzter Klavierbegleiter Billie Holidays (1957–1959) auf sich aufmerksam machte. Schon damals ließ die Originalität seiner Spielweise auf vielen Platteneinspielungen aufhorchen. So spielte er schon bei Mingus (1954-1957) Cluster, lange bevor sie im Free Jazz üblich wurden. In den späten 50er- und frühen 60er-Jahren zog die Marke Prestige immer wieder Mal Waldron heran. Dabei entstanden nicht nur großartige Platten, bei denen er als Leader (etwa „Mal –2“ mit John Coltrane) oder Co-Leader (des mit dem Vibraphonisten Teddy Charles geleiteten Prestige Jazz Quartet) in Erscheinung trat. Da Mal Waldron als eine Art Hauspianist und Allround-Talent für Prestige tätig war, gehen auch viele scheinbar leaderlose Alben auf sein Konto. Weil er auf den Covers kaum je angemessen als Leader herausgestellt wurde, wird Waldrons Prestige-Phase in ihrer Bedeutung unterschätzt. Auf dem leaderlosen, später unter Coltranes Namen veröffentlichten Album „Interplay For 2 Trumpets And 2 Tenors” (1957) etwa stammen vier von fünf Stücken aus Waldrons Feder, darunter das Coltranes Augen gewidmete „Soul Eyes“, bis heute seine berühmteste Komposition. Prestige-Produktionen wurden spontan und sehr schnell über die Bühne gebracht. Der Ausnahmepianist aber brachte mit seinen Kompositionen und Arrangements ein bei Prestige ungewohntes Maß an Ordnung und Konzeption in die Plattensitzungen, die ohne ihn reine Jam Sessions geblieben wären. Daneben war Waldrons leitende Hand auch bei einer Fülle von Platten zu spüren, bei denen er offiziell nur Pianist von Leadern wie John Coltrane, Eric Dolphy, Gene Ammons und anderen Größen der Zeit war. Auch die lebenslange Zusammenarbeit mit dem kongenialen Sopransaxophonisten Steve Lacy, mit dem er die Liebe zu Monk teilte, begann bei Prestige. Erster Höhepunkt nach Billie Holidays Tod im Jahre 1959 war wohl die Band mit den frühverstorbenen Innovatoren Eric Dolphy und Booker Little. Eine Zeit lang begleitete er auch Abbey Lincoln. Danach trat Mal Waldron meist als Leiter eigener Formationen – oft im Solo und im Trio – sowie im Duo mit Gleichgesinnten wie Steve Lacy. Doch 1963 erlitt Mal Waldron einen Nervenzusammenbruch, der einen einjährigen Klinikaufenthalt nötig machte, bei dem er mit Elektroschocks behandelt wurde. Er hatte völlig verlernt, Klavier zu spielen und musste es sich durch das Abhören seiner Platten neu aneignen! Als er 1965 nach Europa (zunächst nach Paris) übersiedelte, begann für ihn ein völlig neues Leben: „Als ich nach Europa kam, war der Druck plötzlich weg und ich brauchte keine Drogen mehr. Außerdem sprachen in Europa nun zwei Dinge für mich, die in Amerika gegen mich waren: ein Schwarzer und ein Jazzmusiker zu sein.“ (Besonders viele Freunde hatte Mal Waldron übrigens auch in Japan, wo er seit den 70er-Jahren auftrat und aufnahm.) In Europa machte sich Mal Waldron auch als Filmkomponist einen Namen, hier reifte er von einem sehr guten Pianisten zu einem Klassiker des Jazzpianos und wurde bald als der überragende Pianist und Komponist anerkannt, der er war. Dennoch passierte auch hier, was vielen großen Musikern „daheim“
passiert: Treten sie regelmäßig auf, und das auch noch mit
anderen einheimischen Musikern, wirken sie als ein so selbstverständlicher
Bestandteil der Szene, dass man ihren Sonderstatus kaum mehr wahrnimmt;
hymnische Kritiken werden seltener und der Massenandrang bei den Konzerten
lässt nach. Als Waldron im München der 90er-Jahre nur noch als
„local musician“ wahrgenommen wurde, übersiedelte er
nach Belgien, wo er am 2. Dezember 2002 in seiner neuen Wahlheimat Brüssel
einem Krebsleiden erlegen ist. Marcus A. Woelfle |
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