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Aus den politisch und ästhetisch „heißen“ Spätsechzigern
stammt Alexander Kluges legendärer Ratschlag an die Artisten in der
Zirkuskuppel, im Augenblick der „Ratlosigkeit“ helfe nur eins:
die Erhöhung des Schwierigkeitsgrads; also nicht die Bedienung der
Bedürfnisse des Publikums, sondern der möglichst radikale Bruch
mit ihnen. In vielem übernehmen die Heroen des mittlerweile weitverzweigten „House“-Universums diese Jazz-Haltung. Der Clickhouse-Avantgardist Akufen beispielsweise, der, wie diverse Jahresend-Charts beweisen, längst den Crossover in den Feuilleton-Mainstream geschafft hat, benutzt entschiedenste Cut- und Montage-Techniken, um das Pathos von Pop-Songs zu bewahren, ohne der Lüge ihrer Botschaften zu verfallen. Sein „way“, den er permanent leitmotivisch beschwört, besteht in einer Dekonstruktion, die Inseln des Gefühls und mythischer Erinnerung zurücklässt. Eine Methode, die er mit einem Szene-Darling wie Herbert teilt: wie lassen sich Schlager-Sehnsüchte oder Disco-Nightlife-Suggestivitäten so „einbetten“, dass die Wunsch-Produktion der Gebrauchsmusik auch für den nachdenklicheren Zuhörer goutierbar bleibt. Was bei Akufen oder Herbert noch, im Sinne Godards, Politisierung von Musik durch eine Reflexion ihrer Produktions- und Repzeptionsbedingungen ist, das scheint bei manchem Pop-Superstar eine Art Naturnotwendigkeit. Ein wenig provokativ könnte man formulieren: ab einem bestimmten Alter wird man „jazzy“ — oder aber zur Karikatur seiner selbst. So flüchtet Robbie Williams, der das „Take That“-Trauma durch eine permanente Revolution der Stile, Rollen und Haltungen austreibt und in der Virtuosität der Charakter-Masken längst Madonna überbietet, in die Eleganz des Swing, der freilich bei ihm unheimlich bleibt, als könnte der schöne Schein jederzeit implodieren. Sting hat seine freilich von Beginn an irritierend unauthentische New Wave-Coolness überwunden und ist zu dem geworden, was er einst demonstrativ hasste: zu einem Hippie, der sich um alles kümmert und den knappen Drei-Minuten-Pop-Song zum gereift-ausladenden Selbstausdruck des Jazz-Crooners erweitert. Und Peter Gabriel hat seine Identität längst im „Anderen“ gefunden, in dem, was er, zunächst jedenfalls, nicht war: sein lang erwartetes Album „Up“ (Virgin) übersetzt, auf äußerst virtuose Weise, Weltmusik in das Idiom des weißen Mittelstands — und zwar so, dass dieser seinen Selbsthass exorzieren kann. Die vergleichsweise konventionellere Methode des Transfers war und ist die Cover-Version. In Krisenzeiten scheint das Rechnen mit den Beständen oder die Überprüfung und Bewahrung der Tradition eine besondere, gesteigerte Bedeutung zu haben. Nur zwei Beispiele: Solomon Burkes großartiges Album „Don‘t Give Up On Me“, in dem dieser „Soulman“, der natürlich Blueser, Jazzer, aber auch ein „Versucher“ vieler anderer Genres ist, Songs des weißen Negers Van Morrison „kostet“, Lieder, die von dem handeln, was immer die großen Jazz-Themen waren, Liebe und Arbeit nämlich, die ihre ganz und gar profane, diesseitige Wucht bewahren und sie doch auch immer aufbrechen, transzendieren, „jenseitig“ werden lassen. Und Johnny Cashs ergreifendes „The Man Comes Around“, das Bilanz zieht und vom Abschied kündet. Bei Cash schließt sich der Kreis. Seit er mit dem HipHop- und Metal-Produzenten Rick Rubin arbeitet, ist er das Nashville-Elend los, kündet auf ergreifende Weise nicht nur vom „state of the art“, sondern auch von seinem zu Ende gehenden Leben und schafft es, selbst eine halb frivole Disco-Hymne wie Martin Gores „Personal Jesus“ in seinen ganz persönlichen, in jedem Detail erfahrenen Glauben hereinzuholen. Transfers gibt es auch zwischen den Gattungen. Jack Kerouacs Beatnik-Roman „On the road“, den die akademische Literaturwissenschaft immer noch mehr oder weniger verschmäht oder gering schätzt, der aber viele Autoren und Musiker „berührt“ hat, ist in seiner Hörstück-Fassung derzeit wieder unterwegs und es schadet überhaupt nicht, dass der Charlie Parker anno 2002 Robert Forster heißt. Von Rolf Dieter Brinkmann sind erstmals Lyrik-Lesungen zu hören, die kurz vor seinem frühen Beatnik-Tod stattgefunden haben und die zeigen, wie sehr seine Stimme mit den Stimmen vieler anderer verflochten war; und zusätzlich wurden aus den Radio-Archiven 30 Jahre alte Sendungen hervorgeholt, die Brinkmann als DJ zeigen, der beides war: sehr irdisch und sehr psychedelisch. Und wenn es ein Hörstück gibt, das ihm sicher schon damals gefallen hätte, dann Götz Schmedes „NY Sound Stereotypien“: das große Wispern der Metropole New York, authentizistisch mit dem Recorder mitgeschnitten und doch so etwas wie ein hochartifizieller Jazz-Soundtrack der Aktualität, des reinen Jetzt. Helmut Hein |
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