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Mit Branford Marsalis zu reden, hat etwas Ernüchterndes. Denn er spricht, wie er spielt, klar, selbstbewusst und unbeeindruckt von den vielen Mythen und Interpretationen, die an Jazz herangetragen werden. Es hat aber auch etwas Erfrischendes. Denn so wenig er sich auf die Wertungs-Spielchen der Szene einlässt, desto deutlicher schärft er auch den Blick, worauf es wirklich ankommt. Auf die Musik. Branford Marsalis (vorne sitzend) mit seinen Quartettkollegen Joey Calderazzo (p), Eric Revis (b) und Justin Faulkner (dr), mit denen er im April auf Tour in Deutschland , Österreich und der Schweiz ist. Foto: Universal Zum Beispiel diese Sache mit den Journalisten. „Da schreibt einer eine schlechte Kritik über mich“, meint Branford Marsalis, „und wenn ich ihn das nächste Mal treffe, frage ich ihn: ‚Hey, alles klar? Wie geht‘s der Familie?‘ Er meint: ‚Hast du denn meine Kritik nicht gelesen?‘ Ich meine: ‚Wen kümmert‘s? Wie geht es der Familie? Lass uns über etwas Wichtiges sprechen!‘ Und vielleicht werde ich ihm sagen: ‚Wenn dir meine Platte nicht gefällt, dann musst du einen Verriss schreiben. Wenn du eine schlechte Kritik schreibst, weil du mich nicht magst, dann bist du ein Idiot! Es ist dein Ruf, der darunter leidet.‘‘’ Das hat etwas von dem Abwehrreflex, mit dem Musiker sich ummauern, um sich vor Kränkungen zu schützen. Doch es geht auch noch ein wenig weiter, denn das Statement lenkt den Blick zurück auf den Autor. Wer schreibt, hat Verantwortung, für die Künstler, deren Arbeit er öffentlich beurteilt, aber auch für die Szene an sich, deren Zustand er mit jedem Artikel ein wenig definiert. Worte können Kollegen in der Art beeinflussen, wie sie sich einem Inhalt nähern, sie können Qualitätsmaßstäbe der Analyse, Recherche, des Stils und Humors setzen. Sie können aber auch die eigenen Defizite bloßlegen, seien sie inhaltlicher, emotionaler oder kognitiver Natur. Denn jedes Schreiben ist ein Balanceakt über den Grat der eigenen Eitelkeit, die man braucht, um überhaupt seine Meinung äußern zu wollen: auf der einen Seite die Schlucht der Selbstüberschätzung, auf den anderen der Abgrund des Fehlurteils, strauchelnd im Gegenwind von Klischees und Meinungsmache. „Es ist einer der härtesten Jobs der Welt“, räsoniert Marsalis weiter. „Man sollte über Musik schreiben, wenn man sie liebt oder hasst. In Amerika aber sind viele Journalisten von der Idee besessen, das nächste große Ding zu entdecken. Wenn ich manchmal Artikel aus England lese, klingt das ähnlich. Die leiden an derselben Krankheit, dem: ‚Mein Zeug ist so gut (oder besser) wie euer Zeug!‘ Wenn in Amerika jemand eine Kritik etwa über die New Yorker Philharmoniker verfasst, wird er nicht auf die Idee kommen, das Orchester ausdrücklich mit einem europäischen Ensemble zu vergleichen. In Artikeln aus Europa aber lese ich oft den Satz, dass diese Band ebenso gut ist oder besser als jene in Amerika. Es ist bizarr, in solchen Kategorien zu denken. Ich finde, Jazzautoren sollten wie Jazzmusiker sein. Sie sollten Schüler der Musik sein und sie wirklich lieben.“ Es ist ein hoher Anspruch, den Branford Marsalis da formuliert, und er setzt Professionalität sowohl seitens der Künstler wie auch der Autoren voraus, die über sie berichten. Der Saxofonist und älteste der Erfolgsbrüder aus New Orleans ist sich aber auch im Klaren, dass er damit ein Idealbild skizziert, dem die Wirklichkeit oft nur wenig entgegenzusetzen hat. Denn im Großen und Ganzen haben Musiker wie Autoren etwas von Don Quijote in ihrem Bedürfnis, Bedeutung zu generieren: „Nirgendwo in der Welt interessiert sich irgendjemand für Jazz, außer eben ein paar wenigen, die sich dafür begeistern. [...] Ich glaube auch nicht, dass die Zuhörer der 30er, 40er, 50er gebildeter und besser erzogen waren als die Leute von heute. Es war einfach nur weniger Angebot vorhanden. Deshalb stand der Jazz eine Zeitlang auch der Popmusik nahe. Aber man darf sich nichts vormachen. Kleine Jazzgruppen waren nie sonderlich beliebt. Das waren die Big Bands. Nehmen wir Louis Armstrong. Wenn wir all die fantastischen Songs betrachten, die er gespielt hat. ‚Cornet Chop Suey‘, ‚West End Blues‘, ‚I Got The Right To Sing The Blues‘ und viele andere Stücke mit großartigen Trompeten-Solos, so erinnern sich die Leute doch vor allem an ‚Hello Dolly‘ und ‚What A Wonderful World‘. Und da spielte er kaum oder gar keine Trompete. Das ist die Realität, wenn man der Popkultur erlaubt, der bestimmende Faktor zu sein. Ich mache das nicht, denn es wäre ein musikalischer Fehler.“ Also zurück zum Wesentlichen, zur Musik. Branford Marsalis hat eine neue Platte aufgenommen. Sie heißt „Four MFs Playin‘ Tunes“ und ist die erste mit Justin Faulkner („He‘s the guy!“) aus Philadelphia am Schlagzeug, der seit drei Jahren den Job von Jeff „Tain“ Watts im Quartett des Saxofonisten übernommen hat. Mehr noch als sein Vorgänger gehört er zu den Kommentatoren am Instrument, der in ständigem Austausch mit den anderen Beteiligten zum Puls der Musik beiträgt und melodisch, strukturell, motivgebend arbeitet. Faulkner fordert Joey Calderazzo heraus, der in dieser Konstellation seine romantischen Passagen hinter sich lässt, um sich dem Dialog, dem Gruppengespräch, manchmal auch Duellen zu widmen. Für Eric Revis am Bass ist das die Gelegenheit, selbst noch freier zu agieren, ohne zugleich die Form verlassen zu müssen. Der Bandleader wiederum pendelt zwischen Abstraktion und melodischer Rückbesinnung, Emphase und Kontrolle. Ein Stück von Monk, ein früher Standard aus den 30ern, ansonsten Eigenes von einer schelmisch nostalgischen Ballade bis zum elegischen Expressionismus in der Ornette-Coleman-Nachfolge und jeder Menge Postbop – „Four MFs Playin‘ Tunes“ ist wieder sehr grundlegend im Einsatz der musikalischen Mittel, sehr nachdrücklich im Formulieren der eigenen Tonsprache. Daher noch ein Zitat von Branford Marsalis als Fazit: „Wenn du etwas wirklich machen willst, dann mach es und such dir Leute, die du damit beglücken kannst!“ Ein Credo, das für alle gilt, die mit Jazz zu tun haben. Ralf Dombrowski Tour: 12.4. Singen, 14.4. Dortmund, 15./16.4. Wien, 17.4. Darmstadt, 18.4. Cully Jazz Festival, 19.4. Basel Jazzfestival, 22.4. Neuhardenberg
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