Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Der Unfall, der Schock, Sprachlosigkeit. Dan Berglund und Magnus Öström haben Abstand gebraucht, bis sie sich wieder mit Musik von e.s.t. beschäftigen konnten. Im vergangenen Herbst aber haben sie viele Stunden Bänder mit Aufnahmen der Studiotage gesichtet, aus denen auch „Leucocyte“ zusammengestellt worden war. Es wurde ein eigenes Album daraus, das die späte Phase der Band neu beleuchtet. Dan Berglund und Magnus Öström. Foto: Dombrowski Er war im Januar 2007. Esbjörn Svensson, Dan Berglund und Magnus Öström tourten durch Asien, Japan und Australien. Die Termine der Konzerte waren so gelegt, dass der Band in Sydney ein paar Tage blieben, die sie frei gestalten konnte. Nach Hause fliegen lohnte sich nicht, rumtrödeln wollten e.s.t. nicht, also wählten sie eine andere Alternative. „Letztlich haben wir etwas verwirklicht, was wir schon lange einmal vorhatten, nämlich während einer Tournee ins Studio zu gehen. Man ist dann in einer besonderen Stimmung. Zu diesem Zeitpunkt experimentierten wir gerade damit, die improvisierenden Teile zwischen den Songs auszudehnen, und das wollten wir festhalten“, erinnert sich Schlagzeuger Magnus Öström an die Sessions im Studio 301. Die Wahl der Räume, die früher auch von der EMI genutzt wurden, erwies sich als ideal. Die Technik war perfekt, Akustik und Atmosphäre kamen den Klangvorstellungen der Musiker entgegen, es wurde ein angenehmes Arbeiten. „Ich habe mich dort sehr relaxed gefühlt,“ ergänzt Bassist Dan Berglund. „Völlig ohne Druck, denn wir hatten ja nicht wirklich vor, ein neues Album aufzunehmen. Es sollte einfach ein Versuch sein. Mal sehen, was dabei herauskommt. Für uns war es ein entspanntes, aber sehr intensives Abenteuer.“ In Sydney entstanden etliche Stunden Musik, die erst einmal auf Bändern und Festplatten lagerten. Da daraus nicht zwangsläufig ein Album werden sollte, hatten e.s.t. einiges ausprobiert. Manche Stücke klangen wie finstere Reflexionen über Sound und Energie, anderen leisteten sich Ausflüge in frei fließende Passagen, wieder andere gerieten zu Miniaturen der improvisierenden Intimität. Es waren Experimente, auch vor dem Hintergrund, dass e.s.t. langsam auf eine Grenze der stilistischen Ausreizbarkeit ihres Konzepts von Spannungssteigerung und melodischer Finesse zusteuerten. Gelegentlich waren schon Kritiken aufgetaucht, die von Wiederholungen schrieben, und so erwiesen sich die Sydney-Sessions als das passende Material für eine neue Positionierung der Band, mehr noch in Richtung rockmusikalischer Kraft und bedrängender Energiedichte. Svensson suchte die Lieder für „Leucocyte“ heraus, kurzzeitig war ein Doppelalbum im Gespräch. Dann aber entschied sich die Band für eine CD-Seite herbe, stellenweise finstere, hypnotische Musik, die 2008, vom Unfalltod des Pianisten überschattet, erschien und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Die vielen anderen australischen Stunden blieben vorerst im Schrank. Zeit ging ins Land und erst mit einigem Abstand lockte schließlich die Auseinandersetzung mit dem akustischen Nachlass. „Wir hätten es früher nicht machen können“, kommentiert Berglund die Arbeit zu „301“, dem Album, das nun als Komplement zu „Leucocyte“ erscheint. „Das wäre zu hart gewesen, wir sind nach dem Unfall ja in ein tiefes Loch gefallen. Außerdem wollten wir erst einmal eigene und andere Projekte auf die Beine stellen und e.s.t. außen vor lassen. Erst mit dem zeitlichen Abstand waren wir in der Lage, die Bänder zu hören und zu entscheiden, ob da mehr ist als nur eine gute Aufnahme. Wir haben dann im vergangenen Spätsommer angefangen, die Stücke wieder intensiv anzuhören. Und es wurde dann letztlich eine sehr positive Erfahrung. Denn die Musik ist immer noch stark und frisch. Genau genommen waren wir inzwischen von Bandmitgliedern zu Zuhörern geworden und konnten eine Perspektive von außen einnehmen.“ Nun also noch einmal e.s.t., sieben Stücke von wild eruptiv bis verhalten intim, von geräuschhaft abstrakt bis melodisch konkret. Es ist kein Vermächtnis im Speziellen, denn das ist die gesamte Musik dieses Trios. Aber es ist die Erinnerung daran, dass in Sydney eine der besten, ehrlichsten Bands ihrer Generation am eigenen Monument gebaut hat. Ralf Dombrowski Anspieltipp:
|
|