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Wer sich vor Augen führt, was der Schlagzeuger Jens Düppe (37) alles an Aktivitäten und Initiativen entwickelt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Er ist festes Mitglied zweier Bigbands, dreier kleiner Formationen und eines eigenen Quartetts. Daneben formiert er um sich herum immer neue Duos, Trios, Quartette und erfindet ständig neue Arten der Performance. Grundlage all dessen sind seine exzeptionellen instrumentalen Fähigkeiten. Schlagzeuger Jens Düppe. Foto: Gerhard Richter Der in Schwäbisch Gmünd aufgewachsene Jens erhielt frühzeitig Klavierunterricht. Doch Schlagzeug faszinierte ihn bald mehr, hatte er doch im Fernsehen den legendären Jazz-, Blues- und Rock-Drummer Pete York gesehen – eine wahre Intuition, wie er rückblickend erzählt. Als er neun Jahre alt war, hatten ihm die verständnisvollen Eltern ein erstes Drumset unter den Weihnachtsbaum gestellt. Sofort begann er die Beatles mitzutrommeln. Als Arme und Beine ausreichend lang geworden waren, begann er mit regelmäßigem Unterricht an der Städtischen Musikschule. Mit Vierzehn spielte er in Schülerbands, die sich mit sozial- und umweltkritischen Songs auf Schwäbisch produzierten. Selbstverständlich wurde er auch der Drummer der Big Band seines Gymnasiums. Vorbilder waren ihm Pete York und dessen Gäste in der ARD-TV-Serie „Superdrumming“: Louie Bellson, Billy Cobham, Ed Thigpen, John Hiseman, Trilok Gurtu und all die anderen Berühmtheiten. Mit 16 war Jens Düppe der Städtischen Musikschule entwachsen. Er pendelte einige Jahre zwischen Schwäbisch Gmünd und Stuttgart, wo er in Michael Kersting einen Lehrer gefunden hatte, bei dem er nicht nur seine Technik ausfeilen konnte, sondern durch den er auch einen unmittelbareren Zugang zum Jazz fand. Nach dem Abitur wechselte er an die Musikhochschule Weimar, wo er Musikwissenschaft sowie Klavier und – bei Joe Thönes – Schlagzeug studierte, bis zum Vordiplom im Jahre 1996, als ihm Weimar dann doch zu eng wurde, zumal er inzwischen – vier Spielzeiten lang - auch im BuJazzO unter Peter Herbolzheimer mitwirkte. Als er mitbekam, dass „die coolen Typen“ im BuJazzO alle in Holland studiert hatten, wurde ihm klar, „dass ich auch da hin muss“. An der Amsterdamer Musikhochschule studierte er insgesamt sechs Jahre bis zum Master degree, unterbrochen von einem halben Jahr mit einem Stipendium in New York, wo er bewusst keine Schule besuchte, sondern Konzerte und nächtelange Jam Sessions bevorzugte, allerdings privaten Unterricht bei dem Chick-Corea-Schlagzeuger Jeff Ballard und dem Brad-Mehldau-Bassisten Larry Grenadier nahm. Nach Abschluss seiner Studien zog es ihn dann doch zurück nach Deutschland. Zwischen Berlin und Köln fiel die Wahl dann auf die Domstadt, in der er zuvor schon des Öfteren gespielt hatte, so in Martin Sasses Trio und Tom Gäbels Small Big Band. Seit Januar 2002 lebt und belebt er die rheinische Jazzszene ungemein, fühlt sich hier heimisch und glücklich, zumal er nicht nur in Deutschland, sondern auch im benachbarten Ausland ständig unterwegs ist. Anfangs wurde er „herumgereicht und ausprobiert“, besuchte so viele Sessions wie möglich. Erste Anlaufstelle war die Band des Saxophonisten Frank Sackenheim. Mit dem Trio des Pianisten Lars Duppler nahm er ein anspruchsvoll arrangiertes Kurt-Weill-Programm auf. Seine stupende Technik, seine Flexibilität und Musikalität sprachen sich schnell herum, und so war es keine Frage, dass er bei der von jungen Kölner Musikern gegründeten, durch innovative Arrangements und bestechende Soli bestechenden „Cologne Contemporary Jazz Orchestra“ den Platz am Schlagzeug einnahm und bis heute besetzt. Auch Caroline Thon, bei deren erstem Quartett „Patchwork“ Düppe schon dabei war und die ihn als „einen der besten Big Band-Schlagzeuger“ sieht, engagierte ihn für ihr 2010 gegründetes „Thoneline Orchestra“, mit dem sie das aufsehenerregende Projekt „Panta Rhei“ aufführte und aufnahm (Jazzzeitung 4/2011). Seit sechs Jahren ist Düppe festes Mitglied im Quartett des luxemburgischen Vibraphonisten Pascal Schumacher, zu dem noch Franz von Chossy, p, und Christophe Devisscher, b, gehören, eine höchstgradig integrative Formation mit kompaktem Klangbild, zu deren Konzept es gehört, dass nicht nur der Bandleader, sondern auch die anderen Musiker, so auch Düppe, eigene Komposition beisteuern (bisher drei CDs). Auch bei dem laufenden Projekt „Shreefpunk“ des virtuosen, alles Unkonventionelle liebenden Trompeters Matthias Schriefl ist er ständig dabei. Besonders gern spielt Jens Düppe mit dem in Amsterdam lebenden bulgarischen Pianisten Dimitar Bodurov, der mit seinem Trio bevorzugt bulgarische Volksmusik adaptiert, die auch seinem Schlagzeuger liegt, der die typischen versetzten Rhythmen keineswegs als „vertrackt“ ansieht, zumal er „jede Art von Volksmusik, vor allem die vom Balkan, mag, fröhliche, lebensbejahende Musik, bei der aber auch ein Touch Melancholie mitschwingen darf“. Bisher sind drei CDs dieses Trios erschienen, zuletzt „Stamps from Bulgaria“, und demnächst wird als vierte Einspielung „Seven Stamps“ folgen, mit dem sensationellen Kaval-Spieler Theodosii Spassov (Jazzzeitung 4/2009). Als befreiend in wortwörtlicher Hinsicht empfindet Düppe das Duo-Spiel mit Bodurov, das auf einem Festival mehr aus der Not heraus durch den Ausfall des Bassisten entstanden war. „Da mussten wir uns was überlegen, haben halt einen großen Teil unseres vorgesehenen Programms gespielt, und das hat wunderbar funktioniert. Wir haben gemerkt, dass da ein Grundverständnis zwischen uns bestand, gerade wenn wir einfach frei improvisierten. Wir haben dann später alles Mögliche ausprobiert, kleine Skizzen als Basis geschrieben und darüber improvisiert. So wurde das Projekt ‚Neofobic’ entwickelt, und unter diesem Namen erschien dann auch im letzten Jahr eine CD. Zu Klavier und Percussion bedienten wir beide Live Sampling in absolut freier und doch gegenseitig erfühlter Improvisation.“ Mit dem Live Sampling sind wir bei einer weiteren Spezialität von Jens Düppe, der sein Schlagwerk nicht nur mit reichlich unorthodoxem, doch nie willkürlich, sondern immer auf den Punkt eingesetztem Instrumentarium ergänzt. Zusätzlich spielt er Loops ein, die er aus Momentaufnahmen aus Musik, Klängen, Geräuschen, Stimmen aller Art erstellt und zudem mit Effekten wie Veränderung des Tempos, der Tonhöhe, des Frequenzspektrums versieht. Sampling nutzt Düppe vor allem in dem Projekt, mit dem er sich besonders stark identifiziert: die 2011 aus dem Bodurov-Duo geborene, von ihm initiierte und inspirierte Konzertreihe „Kommunikation 9“. Die Ziffer steht für die Anzahl der Termine im Jahr. Den Terminus „Kommunikation“ hat Düppe bewusst gewählt, denn kommunizieren ist für ihn nur ein auf die Musik übertragenes Synonym für frei improvisieren. „Ich drücke mich ein bisschen um das Wort Improvisieren, weil man dann gleich in die Schublade Free Jazz gesteckt wird, mit dem Klischee vom wild drauf losspielenden Saxophonisten mit praller Halsschlagader und Puls 200“. Was ihm vorschwebt, „ist freies Spiel in jeder Form von musikalischer Ästhetik, in verschiedensten Vorstellungen von Musik, auch aus verschiedenen Kulturkreisen oder aus der Klassik. Das geschieht am besten in kleinen Formationen. Bevor ich einen Termin in dieser Reihe ansetze, entsteht in meinem Kopf ein Grundsound, nach dem ich die Instrumente und die Musiker zusammenstelle. Das ist nicht zufällig, sondern wohlüberlegt, und doch geschieht oft genug Überraschendes, wenn ich zum Beispiel zwei Melodieinstrumente gepaart habe und ganz wenig Melodisches passiert, oder ich stellte mir mehr Rhythmisches vor und es entstand enorm viel Melodisches. Das ist eben im Moment entstandene Kommunikation, und so soll es sein.“ Die Zuhörer in der intim kleinen Galerie „artclub“ im Kölner Agnesviertel, wo 2011 alle neun der vom Kulturamt der Stadt Köln und der Kulturstiftung der Sparkasse KölnBonn unterstützten Konzertreihen stattfinden, erwartet stets Unerwartetes, so der Zusammen- oder „Auseinander“-klang von Klarinette, Gitarre, Stimme, Schlagzeug und Sampler, oder der von Viola, Tablas und Düppes Schlagwerkkollektion. Oder drei Musiker bestreiten ein ganzes Stück nur mit melodiösem und rhythmischem Rascheln und Knistern mittels zerknüllter Plastiktüten und -folien. „Klang schließt alle Geräusche ein, die Töne sind“, definiert Düppe seine Vorstellung, „aber auch alle Geräusche, welche nicht als klassische genommen werden, sondern einfach hörbare Schwingungen sind.“ Dazu zählt er auch Sprache, die durch die Art ihrer Darbietung und in Verbindung mit Musik, sei es durch Samples oder durch eine professionelle Schauspielerin, von den Zuhörern dann doch mehr als Musik denn als gesprochenes Wort empfunden wird. Der „Klang-Erforscher“ im Schlagzeuger Jens Düppe verspricht für die Fortsetzung der in diesem Jahr nur, aber immerhin von der Stadt Köln unterstützten Reihe „Kommunikation 9“ wieder Außergewöhnliches. So präsentiert er im Ambiente des Rautenstrauch-Joest-Museums für Völkerkunde „Die wunderbaren Welten des Gamelan“, in der Kirche des Schnütgen-Museums für sakrale Kunst „Die Genesis“ – sieben Stücke für Trompeten (Matthias Schriefl), Cello, Schlagzeug, Sampling und Lichtmedien, in der Lutherkirche eine von ihm im Stile des Ambient-Musikers Brian Eno geschriebene siebensätzige Suite „Live Circle of a Star“ für Streichquartett, zwei Solisten und Computer – diesmal ohne Schlagzeug! Außerdem wird es wieder einige Aufführungen seines Lieblingsprojekts, einer konzertanten Interpretation von Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ geben, im Duo mit der wunderbaren österreichischen Vokalistin Filippa Gojo – und jedes Mal wird ein anderer Gastmusiker mit auf die kosmische Reise genommen. Da geht es in der nach Jens Düppes schwäbischem Spitznamen benannten „Jenesch Akustik Band“ (mit Frederik Köster, tp, Lars Duppler, p, Christian Ramond, b) mehr „down to Earth“ zu. Düppe akzeptiert keine Genre-Grenzen, weder bei seinen Projekten noch bei seinen Kompositionen, die diese Band ausschließlich spielt. In seinen umfangreichen musikalischen Einzugs- und Einflussbereich passt Bach ebenso wie Alfred Schmittke, Miles Davis wie Brian Eno und eben auch Balkanfolk: „Ich höre immer in mich hinein, um meinen ganz persönlichen Ausdruck zu erarbeiten und vermitteln zu können, meinen Mitmusikern und dem Publikum.“ Die Bandbreite seiner musikalischen Intentionen, seine diffizilen, schier ins Unendliche greifenden Klangvorstellungen, die Vielfalt seiner Projekte, nicht zuletzt sein technisch perfektes, einfallsreiches, einfühlsames und hoch musikalisches Schlagzeugspiel – das alles zusammen macht Jens Düppe nicht nur zu einem modernen Drummer par excellence, sondern zu einem aus der jüngeren Jazz-Generation herausragenden innovativen Musiker. Dietrich Schlegel CD-Tipps
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