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Roland Hanna Roland Hanna / Free Spirit In diesem Jahr wäre er 80 Jahre alt geworden; vor 10 Jahren starb Sir Roland Hanna – Grund genug, sich seiner Bedeutung bewusst zu werden, denn wahrscheinlich war er der am meisten unterschätzte Jazzpianist des späten 20. Jahrhunderts. Nein, an Meriten fehlte es dem Musiker, der die Bands von Benny Goodman, Charles Mingus und Thad Jones – Mel Lewis bereicherte, nicht! Doch vergleichsweise unbemerkt pflegte er eine Kunst des Solospiels, die ihn als singuläre Erscheinung unter den Pianisten der Moderne ausweist: Er war noch ein Virtuose im Geiste eines Art Tatum und hatte sich an Duke Ellington geschult (von dem er hier „Prelude To Kiss“, „Everything But You“ und „I Got It Bad And That Ain’t Good“ spielt). Die Klangsprache der beiden und noch derer Vorläufer übertrug er, mit vollem Wissen um die ganze Klaviergeschichte, mit viel Raffinement und Spielwitz in die Moderne. Dieses Doppelalbum, das über weite Strecken so klingt, als habe man ihn mit einem versteckten (?) Rekorder beim entspannten pianistischen Selbstgespräch belauscht, ist ein bedeutendes Dokument seiner Kunst. Umso bedauerlicher ist, dass die Herausgeber etwas geschlampt haben. Äußerlich sieht die neue Veröffentlichung dem 2005 erschienenen „Solo Piano“ mit Aufnahmen von 1974 zum Verwechseln ähnlich, das einst ursprünglich unter dem Titel „Informal Piano“ erschienen war. Um ein Haar hätte ich es mir daher nicht bestellt. In der Tat ist es eine der CDs. Man erkennt auf den ersten Blick nicht, dass es in der neuen Ausgabe ein ganzes zweites Album als Dreingabe gibt, noch dazu ein wichtiges: „Swing Me No Waltzes“ mit Aufnahmen von 1973 und 1979. Da die ursprünglichen LP-Titel nirgends erwähnt werden, fehlt auch noch eine wichtige Information. Erschwerend kommt hinzu, dass in der Textbeilage die Liner Notes beider Alben vertauscht wurden. Trotzdem: Dieses Doppelalbum gehört in die Sammlung jedes Klavierliebhabers. Wie seine Kollegen aus der Bop-Piano-Hochburg Detroit – Hank Jones, Tommy Flanagan, Barry Harris – war Hanna zwar vom Bebop geprägt. Das war aber nur eine Seite der Medaille. Hanna spielte orchestraler, vollgriffiger und in einem Tatumesken Sinne zweiarmiger. Sein „singender“ Ton zeugte von einer beeindruckenden Anschlagskultur, der wie seine Kompositionen ein mehr als peripheres Interesse an klassischer Musik verrät. Klassische Musik war seine erste Liebe gewesen, insbesondere die französischen Impressionisten hatten ihn geprägt, aber eben auch die bluesige Musik der Kirche – sein Vater war Prediger. “Sir Elf” – er wurde 1970 von der Regierung Liberias geadelt – hieß sein erstes Soloalbum, das, gemessen an seiner natürlichen Prädestination zum Solospiel, reichlich spät, nämlich erst 1973 erschien. Eine Handvoll der bei der „Sir Elf“ – Session entstandenen, aber seinerzeit nicht veröffentlichten Stücke, finden sich hier (nicht auf der CD-Ausgabe von „Sir Elf“). Einige Aufnahmen des Doppelalbums entstanden zwanglos im Kreise von Freunden, 1973 wie ein geradezu atemberaubendes „Autumn Leaves“ im Haus seines Bandkollegen Jerry Dodgion oder 1974 im französischen Annency. In dieser privaten Intimität und streckenweise im pianistischen Niveau (!) sind sie mit Art Tatums Privataufnahmen „20th Century Piano Genius” durchaus vergleichbar, nur eben, dass Nebengeräusche weitgehend ausbleiben. Ein Dutzend Stücke, darunter „Perugia“ (in jenem Jahr auch Titelstück seines Montreux-Albums) belegen nebenbei, dass Hanna zu den unterschätzten Komponisten des Jazz gehört. Sein Schwelgen im Wohlklang und die reiche Ornamentik seines Spiels sind schuld daran, wenn er bei oberflächlichem Hinhören mit einem brillanten Cocktailpianisten verwechselt werden kann. Sir Roland Hanna vereinte verschiedene musikalische Welten. Er verfügte über vergessene Techniken der alten Stride-Pianisten, konnte Reißer wie “Stompin’ At The Savoy” zum Swingen bringen wie kein Zweiter, dann wieder an Claude Debussy oder an Erroll Garner, aus dessen Repertoire er uns hier „Pastel“ serviert und dessen Vorliebe er teilte, das interpretierte Stück bisweilen erst nach langen Einleitungen erkennbar vorzustellen. Sein Humor kennt kaum Grenzen, erinnert in „Bye Bye Blackbird“ sowohl an Thelonious Monk als auch an Eric Satie. Angehörs solch Schabernacks ist es kein Wunder, daß ihn Thad Jones einen „pixie“ genannt hat. Der Pianist der glasklaren Töne war ein unverwechselbares Original, dessen in jeder Hinsicht meisterhaftes Klavierspiel eine Entdeckung lohnt. Count Basie Count Basie / April In Paris Buster Bailey nahm 1940 die erste Jazzfassung von „April in Paris“ auf. Coleman Hawkins und Thelonious Monk setzten sich mit gewichtigen Aufnahmen für Vernon Dukes Song ein, durch Charlie Parkers Interpretation mit Streichern wurde er „in“. Die populärste Jazz-Version entstand 1955 für dieses Kult-Album. Ihr Erfolg basiert auf dem mit hinreißendem Swing interpretierten „Wild Bill“ Davis-Arrangement. Vor allem das Finale bleibt haften: Nach dem vermeintlichen Ende des Stückes heißt es einige Male „One Mo’ Time“ und das Orchester setzt wieder zum Endspurt an. Duke Ellington war von diesem Arrangement so angetan, dass er es nicht nur für sein Orchester entlieh, sondern ihm auch in seiner Autobiographie eine Lobeshymne widmete. April in Paris war einer von Basies größten Hits aller Zeiten: Platz 28 in den Charts, für Jazz schon beachtlich. Alles an dieser Aufnahme wurde später imitiert, einschließlich des Solos von Thad Jones mit seinem „Pop goes the weasel“-Zitat und dem unvergessenen Mehrfach-Finale, dass ein bisschen den Eindruck erweckt, wir seien Zeugen einer Orchesterprobe. Das Album, das mit Stücken wie „Shiny Stockings“ oder „Mambo Inn“ Hits und Vielfalt bot, heute ein Klassiker, errang kurioserweise nur vier der begehrten 5 Sterne im Down Beat. Die vorliegende Ausgabe bietet zehn zusätzliche Stücke und damit alle master takes der dreitägigen Aufnahmesitzung: Basies Mannen begleiteten hier ihren neuen Vokalisten: Joe Williams! Bob Brookmeyer – Zoot Sims Quintet Bob Brookmeyer – Zoot Sims Quintet / Tonite’s Music Today + Whoee Der 2011 verstorbene Bob Brookmeyer, später bekannter als Komponist und Arrangeur, war der bedeutendste Improvisator auf der Ventilposaune. 1953 wurde Brookmeyer bei Stan Getz bekannt und schon 1954 bei Gerry Mulligan berühmt. Bei Gerry Mulligan stieß er auf den Tenorsaxophonisten Zoot Sims, der wie Getz zu jenen Saxophonisten Woody Hermans gehört hatte, die als Vertreter der modernen Lester-Young-Schule die rhythmischen Elemente des Bop mit einer coolen Klangästhetik verbanden und allgemein als „Brothers“ bekannt wurden. Mit Sims hat Bob Brookmeyer auch ohne Mulligan eine Reihe sehr swingender Alben eingespielt: „Tonite’s Music Today“ entstand am 31. Januar 1956 mit Hank Jones (p), Wyatt Ruther (b) und Gus Johnson (dr). Schon am 8. Februar 1956 legte das Sextet „Whoeee” nach, das mit einer noch hochkarätigen Rhythmusgruppe entstand: Hank Jones (p), Bill Crow (b) und Jo Jones (dr). Vielleicht verband Brookmeyer mit den Brothers nicht zuletzt sein Geburtstort Kansas City, die frühere Wirkungsstätte ihres Idols Lester Young und Charlie Parkers – Musiker mit ähnlicher Fähigkeit Bodenständigkeit und „Sophistication“ auf einen Nenner zu bringen. Der Volksmund assoziiert coolen Sound mit kalter, abstrakter Musik, doch nichts Verkopftes und Unterkühltes gibt es hier. Zwei Spitzenbläser musizieren überlegt und relaxt, aber auch humorvoll und saftig. Es ist ein unprätentiöses Fest reiner Spielfreude. Marcus A. Woelfle |
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