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Anthony DeCurtis (Hg.): Blues & Chaos – The Music Writing of Robert Palmer, Scribner, New York, 452 Seiten Robert Palmer (1945–97) war einer der bedeutendsten amerikanischen Musikkritiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Er arbeitete als Musiker (Klarinette, Saxophon) und Plattenproduzent, schrieb mit großer Sachkenntnis und mit spürbarer Leidenschaft über Blues, Rock’n‘Roll, Soul, Jazz, Neue Musik und anderes für Zeitschriften wie „Rolling Stone”, „Guitar World” und „Down Beat”, aber auch für die „New York Times”, verfasste Plattentexte und lehrte an verschiedenen Universitäten. Von seinen Büchern ist vor allem „Deep Blues” zu nennen. Jetzt hat Anthony DeCurtis 60 Arbeiten Robert Palmers aus der Zeit zwischen 1971 und 1997 herausgebracht. Alle sind lesenswert, manches im Besonderen, etwa die Darstellung des frühen Rock’n‘Roll und der Artikel über Sam Phillips. Nicht zuzustimmen ist seiner kritiklosen Einstellung zu Drogen, die ihm schließlich mit 52 das Leben kostete. Aber was er über Musik und Musiker schrieb, verdient Beachtung und Würdigung. Wir hoffen auf einen zweiten Band. Versch. Autoren: DownBeat – The 1934 gegründet, konnte das „DownBeat“ schon Ende der 40er-Jahre eine führende Rolle unter den Jazz-Zeitschriften aller Länder beanspruchen, die es bis heute beibehalten hat. Dazu wird auch immer wieder über andere Musikformen berichtet („Jazz, Blues and Beyond” steht seit April 1990 auf der Vorderseite jedes Heftes – vorher hieß es eine Zeit lang „For Contemporary Musicians”). Zum Jubiläum ist nun ein großformatiger Band mit sehr sorgfältig gestalteten Reproduktionen von 128 Interviews und Aufsätzen zwischen 1935 und 2008 erschienen – ein Gang der besonderen Art durch die Jazzgeschichte. Hier eine kleine Auswahl: Jelly Roll Morton 1938, W. C. Handy 1938,
King Oliver 1940, Artie Shaw 1951, Duke Ellington 1952, Lennie Tristano
1956,
Mahalia Jackson 1958, Oscar Peterson 1959, Marian McPartland über
Paul Desmond 1960, Dizzy Gilespie über Charlie Parker 1961, John
Coltrane + Eric Dolphy 1962, Bill Evans 1962, Thelonious Monk 1965, Ella
Fitzgerald 1965, Sun Ra 1968, Cannonball Adderly 1970, Art Ensemble of
Chicago 1972, Charles Mingus 1975, Dexter Gordon 1977, Ray Charles 1977,
Frank Zappa 1978, Milt Hinton 1979, Clark Terry 1981, Brian Eno 1983,
Keith Jarrett 1984, Joe Henderson 1992, Stephane Grappelli 1992, Betty
Carter 1994, Dr. John 1995, Steve Lacy 1997, Sonny Rollins 1997, Louis
Bellson + Roy Haynes + Elvin Jones + Max Roach 1998, Lincoln Center Jazz
Orchestra 2000, Tony Bennett 2002, Hank Jones 2005. Vicki Ohl: Fine and Dandy – The Life and Work of Kay Swift, Yale University Press, New Haven and London, 294 Seiten Nur wenige Frauen haben zum Great American Songbook beigetragen. Zu
ihnen gehört neben Ann Ronell („Willow Weep for Me“), Mabel
Wayne („In a Little Spanish Town“), Dana Suesse („My
Silent Love“) und Ruth Lowe („I‘ll Never Smile Again“)
vor allem Kay Swift. Ihr verdanken wir „Can’t we be Friends” und „Fine
and Dandy”, Letzteres auch der Titelsong ihres Musicals;des ersten,
dessen Musik ausschließlieh von einer Frau komponiert wurde. 1925 lernte sie George Gershwin kennen. Sie bewunderte ihn – daraus entwickelte sich eine enge Freundschaft. Er beeinflusste sie musikalisch und sie ihn. Schließlich verliebte sie sich in ihn und kümmerte sich um seine Kompositionen mehr als um ihre (zwischen 1930 und 1934 komponierte sie daher auch nichts). Bei der Entstehung von „Porgy and Bess” (1934–35) war sie nicht nur ständig mit ihm in Kontakt und bei den meisten Proben dabei, sondern schrieb auch manche Passagen selbst nieder. 1934 ließ sie sich zudem scheiden, aber es kam zu keiner Ehe mit Gershwin, der 1937 starb. Trotz zweier weiterer Ehen blieb sie ihm ihr Leben lang verbunden. Und es war ein sehr langes Leben – sie starb am 28. Januar 1993 im Alter von 95 Jahren. Es ist ein großes Verdienst von Vicki Ohl, uns diese bemerkenswerte Frau nähergebracht zu haben. Duncan Heining: George Russell – The Story of an American Composer. The Scarecrow Press, Inc, Lanham, Toronto, Plymouth, 373 Seiten Infolge einer nachgerade chronischen Unterbewertung der Arrangeure
und Themenkomponisten im Jazz hat auch George Russell bisher nicht die
Wertschätzung erfahren, die ihm gebührt – dieses Buch
ist daher besonders zu begrüßen. Wer gut improvisieren kann, ist deshalb noch lange kein guter Arrangeur oder gar ein guter Themenkomponist. Deshalb ist deren Zahl viel kleiner als die der guten improvisierenden Musiker. George Russell wurde am 1923 in Cincinnati geboren. Ein halbes Jahr später wurde er von Joseph und Bessie Russell adoptiert. Erst mit 16 Jahren erfuhr er, dass sein leiblicher Vater ein Musikprofessor am Oberlin College und seine Mutter eine Musikstudentin war. Er spielte zunächst Schlagzeug. 1941 lag er sechs Monate mit TBC im Krankenhaus. Dort fing er an, sich mit Musiktheorie zu beschäftigen. 1943 war er für kurze Zeit bei Benny Carter. 1945 musste er nochmals wegen eines Rückfalls für 15 Monate in eine Klinik. Er konzentrierte sich dann ganz auf das Arrangieren. So schrieb er unter anderem „Cubano Be, Cubano Bop” (Dizzy Gillespie, 1947), „A Bird in Igor’s Yard” (Buddy DeFranco, 1949), „Ezz-thetic” und „Odjenar” (Lee Konitz mit Miles Davis, 1951) – voller Dramatik und weit in die Zukunft weisend. Er entwickelte die Idee, dass es zu jedem Akkord eine Skala geben müsse, die zu ihm passt und die als Basis für die Melodiebildung dienen kann. Für ihn war dabei die lydische Skala mit verschiedenen Modifikationen von besonderer Bedeutung. Er wurde so zum Pionier der heute im Jazz gebräuchlichen Akkordskalen-Theorie, die auch andere Musikbereiche inspiriert hat, und des Modal Jazz. Dazu brachte er ein Buch mit dem leider sehr sperrigen Titel „Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization” 1953 privat heraus, 1959 in einem Verlag. 1960 bis 1962 spielte er einige Platten ein (er selbst jetzt am Klavier), die zusammen mit Aufnahmen von 1956 (siehe CD-Besprechung im gleichen Heft) und „Jazz in the Space Age” (1959, 1960) zu seinen besten gehören: etwa „Stratusphunk”, „Ezz-thetics”, „The Stratus Seekers” und „The Outer View”: voller neuer Ideen, eigenständig, gleichermaßen überzeugend in Konzept wie Ausführung. Und die hervorragenden Themen – wie schade, dass kaum eines von ihnen ein Standard wurde! 1964 war er erstmals mit seinem Sextett in Europa. Er blieb bis 1969 in Skandinavien und arbeitete mit verschiedenen Gruppen, zu denen zeitweilig der junge Jan Garbarek gehörte. Nach seiner Rückkehr in die USA unterrichtete er bis 2004 am New England Konservatorium in Boston. Daneben schrieb er neue Stücke, spielte sie auf Konzerten und nahm einen Teil davon auf. In Europa fühlte er sich mehr verstanden als in den USA. Am 27. Juli 2009 starb George Russell –ein Großer des Jazz, obwohl er (wie beispielsweise auch Gil Evans) kein großer improvisierender Musiker war. Wir müssen die Jazzgeschichte auch unter diesem Aspekt betrachten, sonst werden wir ihr nicht gerecht. Dieses Buch leistet dazu einen wertvollen Beitrag. Joe Viera |
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