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Jazzzeitung

2011/01  ::: seite 8

berichte

 

Inhalt 2011/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Stan Levey Farewell: James Moody // Richard Wiedamann


TITEL -
Marie Laveaus Vermächtnis
Versuch über Voodoo und Jazz – von Hans-Jürgen Schaal


Berichte

Jazzfest Berlin 2010 // 41. Deutsches Jazzfestival Frankfurt // Berliner Festival präsentiert Musiker-Vereinigungen aus ganz Europa // Festival der Jazzmusiker-Initiative München // Zur „Europäischen Jazzakademie Birdland Neuburg“ // Bass und Cello im Jazzclub Unterfahrt // 17. Thüringer Jazzmeile


Portraits

Lajos Dudas // Die Sängerin Maria Farantouri // Jessica Pilnäs // Der Saxophonist Karl Seglem


Jazz heute und Education
Thomas Muderlak, Leiter BMW Welt, im Gespräch // Steffi Denk und ihr Education-Projekt „Swing for Kids“ // Musikhochschule Nürnberg: Steffen Schorn im Interview Abgehört: Letzte Nächte in Kopenhagen: Stan Getz‘ Solo über Night and Day

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Freiwillige Kollektivierung

Ein Berliner Festival präsentiert Musiker-Vereinigungen aus ganz Europa

Vor drei Jahren taten sich einige Jazzer um den Posaunisten Gerhard Gschlößl und den Pianisten Marc Schmolling zum Jazzkollektiv Berlin zusammen. Anfang Dezember lud die Gruppe zu ihrem dritten Festival ein, den Kollektiv Nights 2010. Die Gäste waren Partner-Kollektive aus ganz Europa.

Ein Kollektiv ist nicht ganz dasselbe wie eine Arbeitsgruppe, die der Chef mal eben zur schnöden Erledigung einer Aufgabe zusammenstellt. Kollektivisten sind vielmehr durch ideelle Bande vereint. Sie fühlen sich gemeinsamen Zielen verpflichtet und verstehen sich als gleichberechtigt.

Ein Zusammenschluss dieser Art ist das Jazzkollektiv Berlin, zu dem sich 2007 acht hauptstädtische Musiker vereinten, die sich altersmäßig überwiegend in ihren Dreißigern befinden. Initiatoren sind der Posaunist Gerhard Gschlößl und der Pianist Marc Schmolling.

Sinn des Kollektivs ist nicht die Vereinigung zum Oktett. „Jeder von uns ist ein autarker Künstler und macht Seins“, stellt Gerhard Gschlößl klar. „Der Kollektiv-Gedanke betrifft die gemeinsame Vermarktung, Pressearbeit und Veranstaltungsplanung. Das ist effizienter; und wir können ein breiteres Publikum ansprechen.“ Was aber nicht ausschließe, dass einige der Musiker auch mal gemeinsam auf der Bühne stünden.

Auslöser war für Gschlößl die Begegnung mit „El Gallo Rojo“, einem norditalienischen Musikerkollektiv und Label. „Daraufhin habe ich Marc Schmolling wegen solch einer Kollektiv-Gründung hier in Berlin angesprochen und wir trommelten ein paar Kollegen zusammen“, erinnert sich der Posaunist. „Ausschlaggebend war nicht das Renommee der Musiker, sondern einzig die Qualität.“ Dass keine Frauen dabei sind, sei „keine Absicht“, so Gschlößl. Allerdings hat auch das „Gallo Rojo“ kein weibliches Mitglied. Seither gibt es einen intensiven Nord-Süd-Austausch. Gschlößl ist regelmäßig bei seinen italienischen Kollegen zu Gast. Die Gallo-Rojo-Musiker wiederum mieten sich in Berlin eine kleine Wohnung, um den Anschluss an die hauptstädtische Jazzszene zu halten.

Die Kollektivierung beschränkt sich also nicht darauf, die Internetauftritte der Musiker miteinander zu verlinken; entscheidend sind die Aktivitäten auf der Bühne. Seit 2008 veranstaltet die Berliner Truppe ein jährliches Festival. „Die Resonanz ist von Jahr zu Jahr gewachsen“, sagt Gschlößl. „Für 2010 bekamen wir erstmals Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds. Deshalb können wir nun Kollektive aus anderen europäischen Ländern einladen.“

Zu den Kollektiv Nights, die Anfang Dezember stattfanden, reisten Gleichgesinnte aus Frankreich, Italien, Großbritannien und Skandinavien nach Berlin. An vier ausgedehnten Konzertabenden spielten insgesamt rund hundert Musiker in vierzehn verschiedenen Bands.

Eine der interessantesten Formationen war das Quintett „Yolk En Cuisine“ aus dem französischen Nantes. Ungewöhnlich ist schon die schlagzeugfreie Besetzung: eine wechselnde Kombination aus Posaunen, Saxophonen und Klarinetten verschiedener Größe, begleitet von einem hochvirtuosen Kontrabass. Die zarten, kammermusikalisch aufgefächerten Klänge haben französischen Esprit und Witz. Etwa das Stück „Genom der Kuh“, wo man geradezu das Blubbern im Pansen zu hören vermeint. Die Musiker gehören zu dem seit 1999 bestehenden Kollektiv „Yolk“, das mit seinem kleinen Label schon etliche Kritikerpreise gewonnen hat.
Als Abgesandter des unlängst in Köln gegründeten Klangkollektivs erschien der Pianist Pablo Held mit seinem Trio, das mit ebenso durchgeistigten wie sinnlichen Klängen die gleichberechtigte Gruppenimprovisation zu neuen Höhen führt.

Eine Hierarchie ließ sich hingegen feststellen, als das Trio um den Trompeter Tom Arthurs und das Gunnarsdottir Streichquartett gemeinsam auftraten. Die zwei Ensembles, die dem Londoner Kollektiv „F-ire“ angehören, stehen sich als zwei getrennte Klangkörper gegenüber. Arthurs gibt den Bandleader; die Streicher bilden häufig bloß seine Begleitung.

Der filigrane, meist sorgfältig komponierte und durchstrukturierte Klangteppich erinnert an Neue Musik.

Gastgeber Gschlößl präsentierte sein Quartett „Destination Out“, das mit pulsierenden, spannungsreich gegeneinander verschobenen Metren intensiv und energiegeladen daherkommt. Aus heiterem Himmel tauchen Zitate aus Blues und Swing auf, während Gschlößl auf seiner Posaune zuweilen wie ein altes Marktweib keift.
Jazzmusiker in ganz Europa verfallen der Idee der freiwilligen Kollektivierung. Sie präsentieren ihre Musik auf eigenen Festivals und selbst gegründeten Labels und versuchen so, ihre künstlerische Authentizität zu wahren. Entgegen dem Trend zu virtueller Ortlosigkeit wird häufig eine Art Lokalpatriotismus gepflegt. Nicht nur durch Auftritte im Heimatort, sondern auch durch pädagogische Angebote und kulturpolitisches Engagement. All das macht die Kollektive zu einer sinnvollen Alternative zum kommerziellen Mainstream und den Major-Labels. Wer nun selbst mit einer Kollektiv-Gründung liebäugelt, dem sei das Motto von „El Gallo Rojo“ auf den Weg gegeben: „Wir brauchen keine Genehmigung, um frei zu sein.“

Antje Rößler

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