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Vor drei Jahren taten sich einige Jazzer um den Posaunisten Gerhard Gschlößl und den Pianisten Marc Schmolling zum Jazzkollektiv Berlin zusammen. Anfang Dezember lud die Gruppe zu ihrem dritten Festival ein, den Kollektiv Nights 2010. Die Gäste waren Partner-Kollektive aus ganz Europa. Ein Kollektiv ist nicht ganz dasselbe wie eine Arbeitsgruppe, die der Chef mal eben zur schnöden Erledigung einer Aufgabe zusammenstellt. Kollektivisten sind vielmehr durch ideelle Bande vereint. Sie fühlen sich gemeinsamen Zielen verpflichtet und verstehen sich als gleichberechtigt. Ein Zusammenschluss dieser Art ist das Jazzkollektiv Berlin, zu dem sich 2007 acht hauptstädtische Musiker vereinten, die sich altersmäßig überwiegend in ihren Dreißigern befinden. Initiatoren sind der Posaunist Gerhard Gschlößl und der Pianist Marc Schmolling. Sinn des Kollektivs ist nicht die Vereinigung zum Oktett. „Jeder von uns ist ein autarker Künstler und macht Seins“, stellt Gerhard Gschlößl klar. „Der Kollektiv-Gedanke betrifft die gemeinsame Vermarktung, Pressearbeit und Veranstaltungsplanung. Das ist effizienter; und wir können ein breiteres Publikum ansprechen.“ Was aber nicht ausschließe, dass einige der Musiker auch mal gemeinsam auf der Bühne stünden. Auslöser war für Gschlößl die Begegnung mit „El Gallo Rojo“, einem norditalienischen Musikerkollektiv und Label. „Daraufhin habe ich Marc Schmolling wegen solch einer Kollektiv-Gründung hier in Berlin angesprochen und wir trommelten ein paar Kollegen zusammen“, erinnert sich der Posaunist. „Ausschlaggebend war nicht das Renommee der Musiker, sondern einzig die Qualität.“ Dass keine Frauen dabei sind, sei „keine Absicht“, so Gschlößl. Allerdings hat auch das „Gallo Rojo“ kein weibliches Mitglied. Seither gibt es einen intensiven Nord-Süd-Austausch. Gschlößl ist regelmäßig bei seinen italienischen Kollegen zu Gast. Die Gallo-Rojo-Musiker wiederum mieten sich in Berlin eine kleine Wohnung, um den Anschluss an die hauptstädtische Jazzszene zu halten. Die Kollektivierung beschränkt sich also nicht darauf, die Internetauftritte der Musiker miteinander zu verlinken; entscheidend sind die Aktivitäten auf der Bühne. Seit 2008 veranstaltet die Berliner Truppe ein jährliches Festival. „Die Resonanz ist von Jahr zu Jahr gewachsen“, sagt Gschlößl. „Für 2010 bekamen wir erstmals Mittel aus dem Hauptstadtkulturfonds. Deshalb können wir nun Kollektive aus anderen europäischen Ländern einladen.“ Zu den Kollektiv Nights, die Anfang Dezember stattfanden, reisten Gleichgesinnte aus Frankreich, Italien, Großbritannien und Skandinavien nach Berlin. An vier ausgedehnten Konzertabenden spielten insgesamt rund hundert Musiker in vierzehn verschiedenen Bands. Eine der interessantesten Formationen war das Quintett „Yolk En
Cuisine“ aus dem französischen Nantes. Ungewöhnlich ist
schon die schlagzeugfreie Besetzung: eine wechselnde Kombination aus
Posaunen, Saxophonen und Klarinetten verschiedener Größe,
begleitet von einem hochvirtuosen Kontrabass. Die zarten, kammermusikalisch
aufgefächerten Klänge haben französischen Esprit und Witz.
Etwa das Stück „Genom der Kuh“, wo man geradezu das
Blubbern im Pansen zu hören vermeint. Die Musiker gehören zu
dem seit 1999 bestehenden Kollektiv „Yolk“, das mit seinem
kleinen Label schon etliche Kritikerpreise gewonnen hat. Eine Hierarchie ließ sich hingegen feststellen, als das Trio um den Trompeter Tom Arthurs und das Gunnarsdottir Streichquartett gemeinsam auftraten. Die zwei Ensembles, die dem Londoner Kollektiv „F-ire“ angehören, stehen sich als zwei getrennte Klangkörper gegenüber. Arthurs gibt den Bandleader; die Streicher bilden häufig bloß seine Begleitung. Der filigrane, meist sorgfältig komponierte und durchstrukturierte Klangteppich erinnert an Neue Musik. Gastgeber Gschlößl präsentierte sein Quartett „Destination
Out“, das mit pulsierenden, spannungsreich gegeneinander verschobenen
Metren intensiv und energiegeladen daherkommt. Aus heiterem Himmel tauchen
Zitate aus Blues und Swing auf, während Gschlößl auf
seiner Posaune zuweilen wie ein altes Marktweib keift. Antje Rößler |
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