Anzeige

Startseite der Jazzzeitung

Anzeige

Startseite der JazzzeitungZum Archiv der Jazzzeitung (Datenbanken und pdf)Zur Rezensionsdatenbank der JazzzeitungZur Link-Datenbank der JazzzeitungClubs & Initiativen Die Jazzzeitung abonnierenWie kann ich Kontakt zur Jazzzeitung aufnehmen
 

Jazzzeitung

2011/01  ::: seite 22-23

farewell

 

Inhalt 2011/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Stan Levey Farewell: James Moody // Richard Wiedamann


TITEL -
Marie Laveaus Vermächtnis
Versuch über Voodoo und Jazz – von Hans-Jürgen Schaal


Berichte

Jazzfest Berlin 2010 // 41. Deutsches Jazzfestival Frankfurt // Berliner Festival präsentiert Musiker-Vereinigungen aus ganz Europa // Festival der Jazzmusiker-Initiative München // Zur „Europäischen Jazzakademie Birdland Neuburg“ // Bass und Cello im Jazzclub Unterfahrt // 17. Thüringer Jazzmeile


Portraits

Lajos Dudas // Die Sängerin Maria Farantouri // Jessica Pilnäs // Der Saxophonist Karl Seglem


Jazz heute und Education
Thomas Muderlak, Leiter BMW Welt, im Gespräch // Steffi Denk und ihr Education-Projekt „Swing for Kids“ // Musikhochschule Nürnberg: Steffen Schorn im Interview Abgehört: Letzte Nächte in Kopenhagen: Stan Getz‘ Solo über Night and Day

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Moody’s sound of love

Abschied vom Multiinstrumentalisten James Moody

Wie haben Jazzfreunde ihn geliebt, diesen witzigen, warmherzigen Menschen, diesen vielseitigen, einfallsreichreichen, in seinen Sternstunden geradezu genialen Improvisator! Kaum ein heute noch aktiver Saxophonist verkörperte so sehr wie der langjährige Weggefährte Dizzy Gillespies den Geist des Bebop. Die Buchstaben des Bebop, seine elementare Grammatik, sind ja längst jedem Jazzmusiker geläufig.

Bild vergrößern

Die lehrbaren Elemente dessen, was vor fast 70 Jahren die Jazz­welt aufschreckte, gehören zum Rüstzeug: Typische melodische Floskeln, harmonische Wendungen oder rhythmische Motive, die bei Dizzy, Bird & Co noch verstörend neuartig klangen, gehören heute zum Mainstream. Aber der Geist? Das, was am Bebop nicht lehrbar ist, besaß Moody, der wohl älteste lebende unter den bedeutenden Bebop-Saxophonisten, im Übermaß: Originalität. Whitney Balliett hat einmal den Jazz als „Sound of surprise“ bezeichnet; Moody war ein Meister der Überraschung. Die Einfälle der Bebopper klangen ja verblüffend, als sie in den 40er-Jahren an die Stelle der Gemeinplätze des Swing traten. Bevor sie selbst wie alltägliche Floskeln klangen, ging Moody schon einen Schritt weiter: Wie bei einer guten Komödie der Witz oft darin besteht, dass der erwartete Gag nicht eintritt, ersetzte Moody schon stereotype Bebop-Phrasen durch eigene Einfälle. Jahrzehntelang hat dieser wache, findige Geist immer wieder vermocht, unter Verwendung und Abwandlung der Floskeln, aber ebenso durch ihre Vermeidung, uns ständig aufs angenehmste zu überrumpeln. Die Linienführung seiner Improvisationen war in diesem Sinne schon in seinen Aufnahmen der späten 40er-Jahren so konsequent beboppig, wie bei kaum einem anderen Saxophonisten, nahmen sie doch immer wieder Wendungen, die man ganz und gar nicht erwartete, ohne aber an Folgerichtigkeit der Linienführung einzubüßen. Sein Sound war weich, warm, urpersönlich und leicht zu erkennen. Immer wieder kam es ab Mitte der 50er-Jahren in seinen quirligen, rasanten Phrasen zu Stellen, die klingen, als würde sein Saxophon auflachen. Wer Moody so durch sein Instrument lachen gehört hat, kann ihn unter unzähligen Saxophonisten heraushören. Am besten kann man das auf Aufnahmen jener Zeit hören, in denen seine Spielweise den Zenith seines Könnens erreichte, in den 60er-Jahren.

Und wieder ging die Sonne unter für einen Großen des Jazz: James Moody

Bild vergrößernUnd wieder ging die Sonne unter für einen Großen des Jazz: James Moody
Foto: Ssirus W. Pakzad, Nachruf von Marcus A. Woelfle auf S. 22–23

James Moody, der am 9. Dezember 2010 im kalifornischen San Diego all seine Instrumente aus der Hand gelegt hat, war nie eine Kultfigur wie Dexter Gordon oder Sonny Rollins. Doch wie Lucky Thompson, Sonny Stitt, Wardell Gray und Gene Ammons gehörte er zu den ganz großen Tenoristen, die schon in den 40er-Jahren Bebop spielten. Nein, er gehörte nicht wie Gillespie zu den Gründervätern des Bebop und auch nicht wie Gordon zu dessen ersten Tenoristen, auch wenn das jetzt gerne geschrieben wird, weil man bei Nachrufen mit Superlativen nicht geizt und drei, vier, fünf Jahre früher oder später in einer fernen Epoche Nachgeborenen wenig auszumachen scheinen. Auf eine Generation Neuerer folgt ja meist die Generation jener, die den neuen Stil perfektionieren und erweitern. Moody gehörte schon zu jener zweiten Generation, zu den Musikern, die fünf bis zehn Jahre jünger waren als Gillespie, Parker und Monk; innerhalb dieser Gruppe zählte er schon zu jenen, die sich nicht mit dem Status quo begnügten. Als Altsaxophonist entwickelte er trotz des überwältigenden Einflusses Charlie Parkers auf alle Bebop-Altisten einen weitgehend eigenständigen Stil. Und schließlich wurde er ein Großmeister auf einem Instrument, das anfangs im Bebop noch gar nichts zu vermelden hatte: der Querflöte. Im Gegensatz zu Sahib Shihab oder Roland Kirk, die die Querflöte überbliesen, rang Moody der Flöte mit einer nahezu „klassischen“ Tonbildung jazzmäßige Wirkungen ab.

Moody erblickte am 26. März 1925 in Savannah im Staat Georgia das Licht der Welt, und das ausgerechnet mit einer Hörschwäche im Hochfrequenzbereich. Sie trug allerdings zur Entwicklung seines warmen Sounds und anderer Charakteristika bei, etwa der Bevorzugung tiefer Lagen bei seinem Flötenspiel. Zunächst aber schien seine Hörschwäche eine Katastrophe. Weil er, in der Schule hinten sitzend, den Lehrer nicht verstehen konnte, wurde das Kind einer Alleinerziehenden für blöde gehalten. Als er in eine Schule für geistig Behinderte abgeschoben zu werden drohte, zogen Mutter und Kind nach Newark, NJ, wo er eine Schule für Schwerhörige und später die Arts High School besuchte. Abgesehen vom angeborenen Hörschaden waren die Umstände für eine Musiklaufbahn günstig: Sein Vater, den er allerdings erst mit 21 kennenlernte, war Trompeter bei Tiny Bradshaw und nährte das Interesse an Musik.

Zwei Onkel schenkten ihm zusammen ein Altsaxophon, als er 16 Jahre alt war. Obwohl Moody auch in seinen letzten Lebensjahren noch zum Altsaxophon griff, ist es doch nicht das Instrument, auf dem er weltweite Geltung erlangen sollte. Denn schon nach einem Jahr Praxis auf dem Alt geriet er in den Bann der volltönenden Tenoristen der ausgehenden Swing-Ära, als er eines Tages Count Basie live im Adams Theater zu Newark hörte. Er war hingegangen, um Lester Young zu erleben, der aber zu diesem Zeitpunkt nicht bei Basie spielte. Die damaligen Tenoristen des „Count“, Buddy Tate und Don Byas, gefielen Moody so gut, dass er sich nun auf das Tenor konzentrierte. Das war im Rückblick sicher eine weise Entscheidung, denn als Moody sich dem Bebop zuwandte, wurden freilich alle Altisten von Charlie Parker überschattet. Als Tenorist war man nicht ganz so direkt dem Vergleich mit ihm ausgesetzt. Moody wurde einer der ersten Tenoristen, die Bebop spielten. Im Vergleich zu Dexter Gordon, dem Stammvater der Bebop-Tenoristen, spielte er weicher und schneller, obgleich er auf seinen frühen Aufnahmen durchaus noch einen massiven Sound hat.

Das war aber das Ergebnis harter Arbeit: 1946, nachdem er bei der Air Force seinen Militärdienst abgeleistet hatte, trat Moody jener Formation bei, die den Bebop auch als großorchestrale Musik durchsetzte, die Bigband Dizzy Gillespies. Trotz seiner Begabung kam Moody zunächst nicht so ohne weiteres in die Band. Beinahe wäre er am Vorspiel beim Arrangeur Walter Gil Fuller gescheitert. Dieser erinnert sich, wie Dave Burns und Moody vorspielten: „Dave brachte ihn mit und sagte zu mir: ‚Warum gibst du nicht auch Moody eine Chance?’ ‚Aber selbstverständlich’, sagte ich. ‚Wenn er mir zeigt, dass er spielen kann, hat er den Job.’ Moody setzte sich hin, stimmte sein Instrument, und dann begann er zu spielen. Er sagte ‚beeeeeep’, wie ein Vogel. Dann sagte ich zu ihm: ‚Das ist zu wenig, das können wir nicht brauchen, verstehst du. Wenn du so spielst, weiß kein Mensch, dass du überhaupt da bist.’“ Zwei Monate danach kam dann doch ein Telegramm Gillespies mit einer Zusage. Neben Dizzy waren Giganten wie Milt Jackson, Thelonious Monk, Ray Brown und Kenny Clarke Mitglieder des Orchesters. Hätte er damals gewusst, in welcher Gesellschaft er sich da befand, wäre er in Ohnmacht gefallen, meinte er später.

Mit Dave Burns (vgl. Farewell in der Jazzzeitung 2009/03), der bei dieser Gelegenheit mit seinem Idol Dizzy Gillespie um die Wette blies, betrat Moody auch 1946 erstmals ein Plattenstudio. Eines der Stücke, „Moody Speaks“, zeigt einen etwas nervös klingenden, aber schon sehr flink aufspielenden Moody. Kurz darauf, am 12. November 1946 spielte sich Moody auf einer Aufnahme des Gillespie-Orchesters ganz nach vorne. „Emanon“ hieß der Blues, den man rückwärts lesen muss, um auf Noname zu kommen. Seit seinem Solo auf diesem Noname-Blues, das der Jazz-Welt die Kunde von einem neuen Talent übermittelte, hatte Moody einen Namen. „Das unterschied sich von jedem Blues-Solo, das man schon gehört hatte“, entsinnt sich der ein Jahr jüngere Saxophonist Jimmy Heath.

Die Verbindung zum ebenso lebenslustigen, froschbackigen Innovator Dizzy Gillespie sollte praktisch ein Leben lang anhalten und Moodys Namen in die Welt tragen. Dizzy Gillespie bekannte, dass ihn nach Charlie Parker kein Musiker mehr beeinflusst habe als Moody.

Im Oktober 1948 machte Moody mit seinen „Modernists“ (unter denen der am Beginn einer großen Karriere stehende Art Blakey erwähnt werden sollte) erste Aufnahmen unter eigenem Namen, und zwar für das spätere Kultlabel Blue Note (darunter eine mit dem passende Titel „Moody’s All Frantic“).

Ein Alkoholproblem trägt daran Mitschuld, dass Moody in jenem Jahr auch das Orchester Gillespies verließ, in dem sein Spiel im Laufe von zwei Jahren an Soundfülle und virtuoser Geläufigkeit gewonnen hatte (man vergleiche nur das erste „Emanon“ mit einer zwei Jahre späteren Live-Version). Moodys Mutter machte sich Sorgen um ihn und schrieb ihrem Bruder, der in Paris wohnte. Dieser lud Moody zu einer Art Erholungsurlaub ein. Aus einigen Wochen wurden drei Jahre. Von 1948 bis 1951 machte Moody Paris zu seiner Wahlheimat. Hier in Eu­ropa feierte er auch seine ersten gro­ßen Erfolge. Er spielte an der Seite amerikanischer Größen wie Miles Davis, Tadd Dameron und Max Roach, machte aber auch Aufnahmen mit europäischen Musikern.

1949 weilte Charlie Parker in Paris. Das französische Plattenlabel Vogue ergriff die Chance, dessen Sidemen mit James Moody zu kombinieren. So kam es zum Max Roach Quintett vom 15. Mai 1949, mit Kenny Dorham (tp), Moody, Al Haig (p), Tommy Potter (b) und Max Roach (dr).

Die europäischen Aufnahmen zeigen ihn als Meister, der in der Bebop-Ära weit mehr im Schatten von Kollegen wie Dexter Gordon, Wardell Gray, Gene Ammons und Sonny Stitt stand, als er es verdient hätte. In gewisser Weise ist Moodys damalige Musik, die jemand einmal „Superbop“ genannt hat, auch Bebop-typischer als so Vieles, was jene, mit Ausnahme von Stitt, gespielt haben. Es ist die vielleicht konsequenteste Übertragung von Parkers Innovationen auf das Tenor. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er, als er wieder zurück in den Staaten war, populärere Elemente vom Latin Jazz oder R&B in seiner Musik verstärkte.

Im Oktober 1949 ist in seinen schwedischen Aufnahmen sein früher Stil voll ausgereift. Moody war nach Schweden gekommen, um mit jungen, modernen schwedischen Musikern aufzunehmen und zwei Wochen im Stockholmer Tanzlokal „La Visite“ zu spielen, was seinerzeit kaum wahrgenommen wurde. Die Schweden feierten 1949 die Besuche von Armstrong und Bechet. Eingeladen hatte ihn Anders Burman, seines Zeichens Schlagzeuger und Leiter der jungen Plattenfirma Metronome. Die schwedischen Musiker kamen zu diesem Zeitpunkt schon erstaunlich gut mit Bebop zurecht, der ja erst seit wenigen Jahren existierte. Die Aufnahmen wurden in den Staaten vom jungen Label Prestige übernommen und wurden unglaublich populär. Einige von ihnen wurden einer im Jazz bislang kaum geübten Bearbeitung unterzogen: Die Soli Moodys und sogar einige seiner schwedischen Kollegen wurden von Sängern wie Eddie Jefferson, King Pleasure und Babs Gonzales zu Texten gesungen. Moody wurde damit zum Inspirator und indirekten Popularisator der Vocalese. Die erfolgreichsten dieser Aufnahmen verdanken ihren Erfolg zum Teil einem Zufall. Bei den Aufnahmen spielte Moody mit Per-Arne Croonas Altsaxophon herum und beschloss, es für die Aufnahmen zu verwenden. Dabei geriet ihm „I’m in the mood for Love“ zum Riesenhit. Der Song wurde von Moody so persönlich interpretiert, dass er zu Recht in „Moody’s Mood for Love” unbenannt wurde. Wie die ganz Großen, etwa Coleman Hawkins oder Lester Young, ersetzte Moody hier das Thema eines Standards durch eine deutlich überlegene, von ihm improvisierte Melodie, die mit der Vorlage nur die Akkordfolge gemeinsam hat. Seine Improvisation ist von einer Ausgeglichenheit und Kohärenz, die selbst zum Muster wurde. Das Stück wurde für Moody das, was für Coleman Hawkins „Body and Soul“ war, Meilenstein und Markenzeichen. Ein unglaubliches Solo über ein Thema, das eigentlich gar nicht vorgestellt wird. Dazu erzählt Moody folgende Geschichte: „Der Grund, warum es so losgeht – ‚There I go, there I go‘ – war, weil ich zögerte, da ich damals sonst nicht Altsax spielte, sondern Tenor. Als ich anfing, versuchte ich, nur die Noten zu finden. Die Leute sagten: ‚Du musst inspiriert gewesen sein.‘ Meine Inspiration kam vom Versuch, die richtigen Töne zu finden.“

„Moody’s Mood for Love“ wurde mit drei Jahren Verspätung in Moodys Heimat ein Hit, für ein astreines Bebop-Solo durchaus ungewöhnlich. Man erwartete von Moody, dass er das Solo Ton für Ton spielte wie auf der Platte. Und natürlich musste er deshalb jetzt wieder mehr Alt spielen. Ein großer Hit wurde „Moody’s Mood“ nicht zuletzt, weil Eddie Jefferson der Improvisation einen Text unterlegte. Jefferson selbst, der erst später bekannt wurde und als Sänger für Moody arbeiten sollte, landete damit noch keinen Hit. Dies blieb King Pleasure vorbehalten. Er hatte, als er noch ein Barkeeper namens Clarence Beeks war, Eddie Jefferson in einem Club von Cincinnati damit gehört und sich den Text geben lassen. Er sang es 1951 bei einem der legendären Amateurwettbewerbe im New Yorker „Apollo“ und spielte es 1952 mit der Sängerin Blossom Dearie dann für Prestige ein. Dass die Aufnahme zeitweise aus dem Verkehr gezogen wurde, zum einen wegen des Vorwurfs der Verunstaltung amerikanischer Kultur, zum anderen wegen Copyright-Fragen, machte die Aufnahme nur interessanter.

Handelte es sich noch um den Song „I’m In The Mood For Love“, wo doch der ursprüngliche Text von Dorothy Fields und die Melodie von Jimmy McHugh aus dem Jahr 1935 nur noch teilweise vorhanden waren? Außerdem behauptete Pleasure, Jeffersons Text sei von ihm. Später haben sich die Sänger Georgie Fame, Marc Murphy, ja selbst George Benson und Aretha Franklin über Moodys vollkommenes Saxophonsolo hergemacht. Auch Moody sang es, seit er, wie er meinte, sich keinen ständigen Sänger mehr leisten konnte – und dies bis zum Ende seines Lebens.

Das hochgelobte Solo darf nicht den Blick dafür verstellen, dass auch die anderen Aufnahmen aus Schweden auf höchstem Niveau angesiedelt sind. Moodys Version von „Body And Soul“ etwa ist im Schatten der Hawkins-Interpretation ein beachtliche Leistung, und ein weiterer Beweis seiner Meisterschaft auf dem Bereich der Ballade. Wie die meisten Bebop-Tenoristen verbeugte sich auch Moody vor dem großen Lester „Pres“ Young, der zu seinen ersten großen Idolen gehört hatte. Dessen „Lester Leaps In“ ließ Moody 1949 in Schweden eine vergleichsweise gemächliche Interpretation angedeihen, mit einer meisterlichen Improvisation, der Eddie Jefferson später einen Text mit dem Titel „I Got the Blues“ unterlegen sollte. In ihrer relativen Ausgeglichenheit und Ruhe, die auf Young verweist, zeigt sie uns einen Moody mit einer gewissen Nähe zu Dexter Gordon, für den Lester Young ja auch eine Ausgangsbasis gewesen war und in seinem Spiel ähnliche Einflüsse mischte.

Diese verschiedenen Anknüpfungspunkte werfen durchaus die Frage nach der Prägung durch andere Saxophonisten auf: Lassen wir Moody von seinen Einflüssen aus seiner Zeit erzählen, bevor er in den Bann Charlie Parkers geriet: „Der Saxophonist, den ich zuerst mochte, war Jimmy Dorsey. Es ist komisch, wie sich das Ohr beim Hören entwickelt. Dann hörte ich Charlie Barnet mit ‚Cherokee‘, und er gefiel mir besser. Dann hörte ich im Theater Artie Shaw, dessen Saxophonist Georgie Auld ‚Body and Soul‘ spielte und mich ganz überwältigte. Aber als ich Pres hörte, überbot er alles. ‚So will ich spielen‘. Lester Young. Das war es. Dann hörte ich Coleman Hawkins, Ben Webster und Chu Berry. Aber das komische daran war, dass sie mich nicht ergriffen wie Pres. Hätte ich damals etwas von Musik verstanden, hätten sie mich mehr gefesselt. Es ist Lester Youngs Sound. Da bekam ich Gänsehaut.“ Später, nach Parker, entdeckte Moody erst Coleman Hawkins, von dessen harmonischem Denken er fasziniert war. Er setzte sich zur Aufgabe, Pres und Hawk zu kombinieren und meinte vor noch nicht allzu langer Zeit, er täte das eigentlich noch heute.

„Moody’s Mood For Love“ hatte Moody quasi über Nacht zum Star gemacht, und zwar für ihn selbst sehr überraschend. Plötzlich waren seine Konzerte gut besucht, und es dauerte eine Weile, bis er überhaupt den Zusammenhang begriff, dass die Betextung eines vor Jahren in Schweden eingespielten Solos die Ursache der Popularität des 1951 Heimgekehrten war. Nach seinen großen Erfolgen in Europa gründete Moody eine eigene Band, die oft als Septett in Erscheinung trat und dabei freilich auch zum Tanz aufspielte. Die Gruppe bot recht handfeste Musik, die auch Swing- und R&B-Freunden gefallen konnte – nennen wir es mal eine Reduktion der Komplexität, die ihm sicher neue Freunde gewann. Übrigens hielten es viele seiner Bebop-Kollegen in den frühen 50er-Jahren so, Saxophonisten wie Gene Ammons ebenso wie sein Freund Dizzy Gillespie. Der Erfolg seines Hits hatte zur Folge, dass für viele Jahre ein fester Sänger zur Moody Band gehörte, zunächst Babs Gonzales. Eddie Jefferson, ein Tänzer, der seit 1938 Jazz-Soli vertextete und somit der Vater der sogenannten Vocalese wurde, verliebte sich so sehr in die Improvisationen Moodys, dass er sie zu seiner Hauptinspirationsquelle machte. 1952 wurde er zum Sänger und Vokalisten von Moodys Band.

Moody geriet Mitte der 50er-Jahre zunehmend in Abhängigkeit von Alkohol und erlebte auch noch, wie ein Brand in The Blue Note Club in Philadelphia die meis­ten Instrumente und Noten seiner Band verschlang. Die fast tragische Situation wendete sich nach einem Aufenthalt in einem Sanatorium, das er 1958 im Titelsong eines seiner bekanntesten Alben verewigte, „Last Train To Overbrook“. Der letzte Zug aus dem Sanatorium Overbrook in Cedar Grove, New Jersey, wurde Moodys Pendant zu Parkers „Relaxin’ at Camarillo” – Moodys Freudentanz, der Hölle entkommen zu sein.

Bis 1962 war Moody überwiegend mit eigenen Projekten beschäftigt. 1963 schloss sich Moody bis 1970 wieder fest Dizzy Gillespie an und seit jener Zeit nahm man ihn auch immer mehr als „alter ego“ des großen Bebop-Trompeters wahr, an dessen Seite er mit Unterbrechungen bis zu dessen Tod 1993 zu hören war. Mit Moody zu spielen sei wie mit einer Verlängerung seiner selbst zu spielen, meinte Gillespie. Und Moody sagte über Dizzy: „Er war mein Mentor, mein Lehrer, mein bester Freund und mein Bruder.“ Moody und Gillespie teilten übrigens den gleichen Glauben, sie waren Anhänger der Bahai-Religion. Und als wäre dies alles nicht genug. Beide starben an der gleichen Krankheit, Bauchspeicheldrüsenkrebs.
„ I have a goal in life, and my goal is to play better tomorrow than I did today“, zitiert Bill Milkowski Moody: „I‘m not in competition with other musicians be­cause there‘s too much going on, you can‘t be into that. So I‘m in competition with myself. I just want to be able to play better tomorrow than I did today. And I‘ve got to hurry up and play better because it seems like when I practice and I think I got something, I go outside and everybody else has got it and gone. So I‘m still working at it because I haven‘t found it yet. It‘s a never-ending search. It‘s the old thing of I‘ll never get it but it‘s worth try­ing.“ Seine Aufnahmen bestätigen dies. Im Gegensatz zu Dizzy und vielen anderen Bebop-Musikern übertraf Moody in den 60er-Jahren oft sein Spiel des vorherigen Jahrzehntes.

Die Aufnahmen zeigen einen Musiker, der makellose technische Geläufigkeit, einen persönlichen Sound und unversiegbare Phantasie an den Tag legte. In den 70er-Jahren schien es vorübergehend, als trete Moody in seiner Bedeutung für den Jazz zurück. Die Gründe waren persönlicher Natur. Er war viele, viele Jahre unterwegs gewesen und hatte dabei versäumt, seine Kinder heranwachsen zu sehen. Als ihm nun eine Tochter geboren wurde, wollte er, dass es wenigstens bei dieser anders sei.

1973 ging er nach Las Vegas, wo er siebeneinhalb Jahre in einer Showband, dem Las Vegas Hilton Orchestra, verbrachte, das Stars wie Elvis Presley oder Bill Cosby begleitete. Trotzdem gibt es Aufnahmen aus den 70er-Jahren, vor allem vom Beginn des Jahrzehnts. Nach seiner Scheidung 1979 wurde Moody in der Jazz-Szene wieder sichtbar, als eine Art freundlicher Riese unter den Bebop-Veteranen, der seine Auftritte mit viel Witz und gutem Humor würzte, in seinem Spiel aber stets auch großen Sinn für Romantik offenbarte. Äußeres Zeichen der Anerkennung: 1985 wurde er sogar für ein Solo auf einem Album der Vokal-Gruppe Manhattan Transfer mit dem Grammy nominiert. In diesen Jahren brachte er auch Alben für das RCA-Label auf dem RCA-Label Novus heraus. Moody bei einem Multi? Das damals durch die sogenannte Generation der Young Lions erstarkte Interesse der großen Firmen am Bebop machte es möglich. Zu dieser Zeit lernte er auch seine zweite Frau Linda kennen, mit der er von 1988 bis zu seinem Tod sehr glücklich verheiratet war. Sie soll seinem Leben jene Stabilität verliehen haben, die ihm bislang gefehlt hatte. In den 90er-Jahren wurde Moody mit diversen Ehrendoktorhüten und anderen Anerkennungen geehrt und als einer der Older Statesmen des Jazz herumgereicht. So hörte man ihn, vor allem nach dem Tod von Dizzy Gillespie 1991, in Kombination von Musikern, mit denen er sonst nie etwas zu tun gehabt hatte. Er wirkte zum Beispiel bei Lionel Hampton & His Golden Men of Jazz.

„There‘s an old philosophy, and it‘s been said many times, but people don‘t heed it“, erklärte Moody 2004. „And that is simply this: ‚So a man thinketh, so it is.‘ I think I‘m young. My wife says I‘m 78 going on 18, and that‘s very true in a way. That’s how I feel.” Kein Wunder, dass Moody so sehr mit jungen Kollegen harmonierte, wenn sie seine Musizierhaltung teilten. So hat man Moody aus letzter Zeit in bester Erinnerung als Spielgefährten von Roberta Gambarini, die er ganz richtig als eine der besten Sängerinnen unserer Zeit einstufte. Als er starb, erklärte die junge Italienerin: „R.I.P, dear Moody. May you sleep in peace. I was lucky beyond words to be among the people who had the blessed opportunity to spend time with you and experience your glow, the pureness of your heart, your extraordinary kindness, goodness, humanity, humour ... not to mention your musical genius. There has never been, and there will never ever be, another James Moody.” Damit sprach sie sicherlich vielen Kollegen aus dem Herzen.

Marcus A. Woelfle

| home | aktuell | archiv | links | rezensionen | abonnement | kontakt | impressum
© alle texte sind urheberrechtlich geschützt / alle rechte vorbehalten / Technik: Martin Hufner