Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Europa ist ein schöner bunter Blumenstrauß, so suggerierte es zumindest das farbenfrohe Poster zum Jazzfest 2010. Doch galt das auch für sein Programm? Bestand es nur aus einzelnen schönen Farbtupfern? Denn Jazz “made in Europe”, den der künstlerische Leiter Nils Landgren diesmal zum Thema erklärt hatte, gibt es eigentlich gar nicht (mehr). Die Szenen durchmischen sich, die Bands sind international besetzt. Längst sind Lokalkolorite und Folklorismen aller Art allseits verfügbare Versatzstücke von Maskierungs- und Identitätsprozessen geworden. Doch Landgren ging es nicht um die Präsentation regionaler oder nationaler Szenerien. Er selbst hat zwar als schwedischer Posaunist und Sänger die Prägung des skandinavischen Jazz durch die traditionelle Volksmusik mitvollzogen. Doch jetzt warf er die Frage auf, wie sich die Suche nach Neuem gestaltet und welche spezifischen Lösungen die jungen europäischen Musiker anzubieten haben. Auf Vollständigkeit kam es nicht an – so war Osteuropa mangels innovativer Angebote gleich gar nicht vertreten. Auch die großen Namen waren diesmal in Berlin nicht dabei – Experimentierlust und Risikofreude junger Künstler waren gefragt, die “vielleicht zu den Legenden von morgen” (Landgren) gehören könnten. Es war vielleicht kein Wunder, dass auch diesmal die heiß ersehnte Erneuerung oder sogar Rebellion ausblieb – spiegelt dies nicht eine Gesellschaft, die alles über einen Medienkamm schert und Anpassung mehr belohnt als abweichlerische Originalität? Zudem scheint Fortschritt zurzeit wieder “back to the roots” zu bedeuten, Erneuerung durch Tradition. Gerade Zentraleuropa scheint unter seiner Tradition geradezu zu ächzen, wie das Auftauchen etlicher Bands aus Österreich nahelegte. Das schließt einen Trend zur E-Musik-Avantgarde, zur Komposition ein. Oder ist das auch nur ein Widerschein der allgemeinen Verfestigung und Verbürgerlichung auch in der improvisierten Musik? Der Dialog des Avantgarde-Ensembles „Zeitkratzer“ aus Berlin mit dem norwegischen Gitarristen Terje Rypdal und dem dänischen Trompeter Palle Mikkelborg jedenfalls krankte an der Einfallsarmut, mit der recht klischeehafte „spacige” Kreiselklänge und Geräuschgewitter einer verknäuelten Jazz-Melodik fremd blieben. Auch die Jazz Bigband Graz vertraute bei ihren „Urban Folktales“ zu sehr auf ihr exotisches Instrumentarium, statt sich um musikalische Substanz zu kümmern. Immerhin ergaben die naiv „volkstümelnden” Klänge von Zither und Drehleier zu den kühlen Sinustönen des Theremins einen reizvollen Kontrast, der bei Einsatz der Blechbläser jedoch der Bigband-Konvention weichen musste. Einen faszinierend eigenen Ton auf den Spuren Frank Zappas fand hingegen die Wiener Gruppe „Studio Dan”: Minimalistische Tonfetzen von Fagott, Violine oder dem reichlich von seinem „Innenleben” Gebrauch machenden Konzertflügel verbanden sich mit groovendem Schlagzeug zu differenzierten Patterns, denen Nika Zachs Gesang eine Prise makabre Poesie zwischen Wiener Lied, „Pierrot Lunaire” und Nina Hagen hinzufügte. „Legenden” spukten in Form von „Hommages” also doch beim Jazzfest 2010. Mit seinem Trio „Beloved Bird” huldigte der Pianist Django Bates seinem Idol Charlie „Bird” Parker auf gewitzte, kreative Weise; eine schwer erträgliche Verkitschung von Billie-Holiday-Songs bot das „Orchestre National de Jazz” aus Paris. Der niederländische Saxophonist Paul Kemenade und sein Pianist Stevko Busch wagten sich gar an den russischen Spätromantiker Alexander Glasunow – und erzeugten damit einen der atmosphärisch dichtesten Momente des ganzen Festivals. Céline Bonacina am Bariton-Sax bedient sich souverän aus einem Mix aus Funk, Afrobeat und Reggae, dem der madagassische Schlagzeuger Hary Rastimbazafy explosive Vitalität verleiht. Die Leichtigkeit, mit der die zierliche Französin dem riesigen Instrument beweglichste Melodik entlockt, weist sie als eine der ganz großen Begabungen – mit klassischer Ausbildung! – aus. Hier zeigt sich wieder einmal Landgrens Fähigkeit, das Beste aufzuspüren, ebenso wie in der Unbekümmertheit, mit der die amerikanisch-indische Band Kinsmen („Blutsverwandte”) den Europa-Diskurs eröffnen darf und dabei westliche Jazz-Standardisierungen mit östlicher Raga-Flexibilität belebt. Ein Schlusswort spricht das mazedonische Kocani Orkestar mit Roma- und Klezmer-Anklängen – Musik, die emigrieren und sich multikulturell neu erfinden musste. Jazz hat viele Gesichter und ist in beständiger Veränderung begriffen, und seine Vielfalt liegt nach Landgrens Überzeugung „im Weg, zusammen etwas zu machen, ohne sich zu zerstreiten” – ein Vorbild auch für Europa! Isabel Herzfeld |
|