Anzeige

Startseite der Jazzzeitung

Anzeige

Startseite der JazzzeitungZum Archiv der Jazzzeitung (Datenbanken und pdf)Zur Rezensionsdatenbank der JazzzeitungZur Link-Datenbank der JazzzeitungClubs & Initiativen Die Jazzzeitung abonnierenWie kann ich Kontakt zur Jazzzeitung aufnehmen
 

Jazzzeitung

2011/01  ::: seite 13-15

rezensionen

 

Inhalt 2011/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Stan Levey Farewell: James Moody // Richard Wiedamann


TITEL -
Marie Laveaus Vermächtnis
Versuch über Voodoo und Jazz – von Hans-Jürgen Schaal


Berichte

Jazzfest Berlin 2010 // 41. Deutsches Jazzfestival Frankfurt // Berliner Festival präsentiert Musiker-Vereinigungen aus ganz Europa // Festival der Jazzmusiker-Initiative München // Zur „Europäischen Jazzakademie Birdland Neuburg“ // Bass und Cello im Jazzclub Unterfahrt // 17. Thüringer Jazzmeile


Portraits

Lajos Dudas // Die Sängerin Maria Farantouri // Jessica Pilnäs // Der Saxophonist Karl Seglem


Jazz heute und Education
Thomas Muderlak, Leiter BMW Welt, im Gespräch // Steffi Denk und ihr Education-Projekt „Swing for Kids“ // Musikhochschule Nürnberg: Steffen Schorn im Interview Abgehört: Letzte Nächte in Kopenhagen: Stan Getz‘ Solo über Night and Day

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

CD-Rezensionen 2011/01

Gansch & Roses
Resal

Schagerl Records/ SC-10-01

Ja, ja, Thomas Gansch und seine Rosen. Auf der bereits vierten CD dieser 2001 gegründeten Gruppe um den begnadeten Trompeter, Komponisten und Arrangeur Thomas Gansch bleibt wie immer kein Auge trocken! Da wird mit viel Lust und Spaß gegroovt, gespielt und sogar ge­johlt („Yeehaw“), bis sich die Balken biegen!
Die illustren Musiker kennen und schätzen sich, sie haben Spaß und beglücken mit ihrem virtuosen Spiel die Kompositionen, die mit einer Ausnahme („Be Bop“ von Dizzy Gillespie) allesamt aus Thomas Ganschs Feder stammen. Die insgesamt neun Stücke bestechen durch wunderschöne, eingängige Melodien, lustvolle Lebendigkeit und spannende Arrangements. Gansch schafft es, eine musikalische Sprache zu finden, die zu begeistern weiß und die auch von Nicht-Jazz-Kennern verstanden wird.
Ob im fulminanten Opener „Italian Folksong“, im lyrischen Titelstück „Resal“ oder im kraftvollen „Rock des Trompeters“ (übrigens ein Muss für alle Trompetenfreaks!) – Gansch lebt sich aus, sein Jazz kommt aus tiefster Seele und stets mit einem Augenzwinkern daher. Mit Mario Gonzi sitzt zudem ein Rhythm-and-Groove-Master erster Güte an den Drums, der die ganze Chose zusammenhält und mit seinem federnd-leichten, punktgenauen und kreativen Spiel viel zu einem rundherum gelungenen Musikereignis beiträgt.
Diese CD ist eine Jazz-Party, die von hervorragenden Kompositionen, exzellenten Musikern und viel Spielwitz lebt. Herz, was willst du mehr?
Bernhard Nagel

Francis Drake
Stories

Double Moon DMCHR71087

Hinter dem Bandnamen „Francis Drake“ stecken der Gitarrist Max Frankl, Max von Mosch am Saxophon und der Bassist Henning Sieverts. Mit ihrem Album „Stories“ begeben sie sich, wie einst der schillernde Admiral aus dem 16. Jahrhundert, auf eine abenteuerliche musikalische Reise und navigieren dabei kompetent in Gefilden von Melodien, Polyrhythmen und Klängen. Durch die an sich ungewöhnliche Besetzung finden sich immer wieder leichte Anklänge an das klassische Jimmy Giuffre Trio oder auch entfernt anmutende Oregon-Sounds, ohne vordergründig zu kopieren. Im Gegenteil – da die Musiker nicht erst seit gestern kompetent in ihrer Klasse aufwarten, bringen sie die bisher gesammelten Erfahrungen ein und kombinieren diese zu einem spannenden musikalischen Abenteuer. Jazz, Groove, Kammermusik – bei „Francis Drake“ gibt es weder Schubladen noch tonale Grenzen. Gleich der Opener „North End“ startet mit Mosch-typischen Grooves. Frankls von Rilke inspirierte Suite „Der Panther“ spannt einen Bogen von eingängigen Melodielinien bis hin zu zeitgenössischer Kammermusik, und Sieverts „Sum sumus mus“ bietet klassischen Modern Jazz mit herrlichen Klarinettenexkursen. Melancholische Themen wechseln mit Reflexionen erlebter Begebenheiten und Erfahrungen. Dabei stehen konsequent swingende Kompositionen und der homogene Sound der Gruppe im Vordergrund. Man darf gespannt sein, wohin die Reise mit „Francis Drake“ weiter geht. Auf jeden Fall ist diese Produktion ein absoluter musikalischer Volltreffer.
Thomas J. Krebs

Caecilie Norby
Arabesque

ACT 9723 – 2

Mit ihrer aktuellen CD „Arabesque“ debutiert die großartige skandinavische Sängerin Caecilie Norby beim ACT-Label. Als Tochter klassischer Musiker reflektiert sie mit diesem Projekt zum einen frühe Einflüsse ihrer Kindheit und verbindet diese gleichzeitig mit Jazz- und Pop-Elementen. Für inspiriert eingespiel­te Kompositionen von Ravel, Satie oder Debussy hat sie eigene Texte verfasst! Eine große Herausforderung, mutig umgesetzt und souverän gelungen. Es überwiegen klassisch impressionistische Stücke, die Norby mit ihrer lyrischen Stimme vorträgt, sowie eine bewusste Verneigung vor Michel Legrand in zwei Originals. Die Bandbreite begeistert und verzaubert den Hörer von Anfang an mit Melodien. Gemeinsam mit ihrem Ehemann und Bassisten Lars Danielsson produziert und eingespielt, hat Norby ein who is who der nordischen Musik­szene um sich versammelt. Dazu gehört neben der klassischen Pianistin Katrine Gislinge auch Ulf Wakenius, Hans Ulrik, Anders Engen, Xavier Desandre-Navarre, Palle Mikkelborg und Bugge Wesseltoft, der mit filigranem elektronischen Fingerspitzengefühl aus dem Standard „Bei mir bist du schön“ eine mitreißende Funknummer aus dem Hut zaubert. Beeindruckend auch „Women of Santiago“, ein zeitloser Popsong, kammermusikalisch instrumentiert. Alles in allem ist „Arabesque“ ein wegweisendes abwechslungsreiches Album, das, fernab von Genregrenzen, facettenreich vielseitig aufwartet und damit viele Hörer begeistern wird, egal ob aus der Jazz-, Pop- oder Klassikecke.
Thomas J. Krebs

Till Brönner
At The End Of The Day

Island 0602527513683/Universal

Wer den Jazztrompeter Till Brönner mag und sich über dessen abgeblasene Quotenshow im Kommerz-TV wunderte, wird die CD „At The End Of The Day“ mit wachsendem Befremden anhören. Geneigte Ohren attestieren dem einstigen Shootingstar womöglich chamäleoneske Wandlung. Puristen sorgen sich um unersetzliche Hörorgane. Und sowieso um den guten Geschmack. Till Brönner ist nicht nur der energiegeladene Jazztrompeter, sondern auch ein Virtuose leiser Töne mit dem Vermögen, sich singend einem Quotenpublikum einzuschmeicheln. Der smarte Viersener entfaltet sich kreativ in viele, in zu viele Richtungen. Auf dem Album „At The End Of The Day“ sind Popsongs aller Epochen vereint, mit denen ein in die siebziger Jahre Hineingeborener aufwuchs und scheint passabel als Ersteinrichtung jeder profillos liberalen Villa Kunterbunt. Jugenderinnerungen stolpern durch die Charts der Vergangenheit und schlittern über Sound-Teppiche, denen lediglich Tischfeuerwerk und Glitzersternchen fehlen. Aufnahmequalität und Abmischung sind so perfekt, dass die Songs unterschiedlicher Handschrift weitgehend homogen klingen. Böse Zungen nennen das weichgespült. Geruchsneutral. Oder geschmacklos. Wer das in Fahrstühlen hört, steigt lieber Treppen. Haben die einstigen Hits von Beatles, Bowie und Bach das verdient? Mit flirrendem Streicherklang schmelzen sie unter dem singenden Trompeter dahin. Am Ende mancher Tage wird nicht auf Feinheiten geachtet. Soll dies die Ansage sein? Wer das für sich akzeptiert, den kann das Scheibchen erfreuen.
Michael Ernst

Ring-Ensemble
ENJ-9566 2

Barockmusik und Jazz sollte mehr sein als launiges Besenwischen, ab und an gepaart mit dräuendem Septakkord zum wimmernden Bass. Alte Musik kann im Jazz sogar vollkommen neu sein! Das beweisen drei junge Musikanten aus Dresden, die dort als Ring-Trio fungieren und nun als Ring-Ensemble aufspielen. Für dieses Experiment gingen die Instrumentalisten – Pianist und Keyboarder Simon Slowik, Bassist Felix Otto Jacobi und Schlagzeuger Demian Kappenstein – einen gewagten Schritt nach vorn zurück in musikalische Vergangenheit. Zusammen mit einem auf Alte Musik spezialisierten Streichquartett – Musiker renommierter Ensembles wie La Risonanza, Freiburger Barockorchester und Chapelle Rhenane – schlagen die Jazzer einen Bogen quer durch die Zeiten. Violine, Viola, Gambe und Laute bereichern das Klangspektrum des Trios und führen mit Simon Slowiks zu diesem Projekt entstandenen Kompositionen in ganz neue Welten. Raffinessen klassischer Musikentwicklung verschmelzen meditativ mit den Offenheiten von Improvisation, um in stilistisch einzigartigen Resultaten zu köcheln. Im Spiel mit der Geigerin Ulrike Slowik, dem Bratscher Raquel Massadas, Diethard Krause an Cello und Viola da Gamba sowie dem Instrumentalisten und Komponisten Andreas Arend an Laute und Theorbe gelingt den Jazzern originäre Klangwelt. Endlich mal ein Verschmelzen von Genre und Stil, das sich nicht auf merkantilen Schmusesound zu Barockoriginal beschränkt.
Michael Ernst

Christian Weidner
The Inward Song

Pirouet PIT3052

Ein Fest der leisen Töne, auch in den Momenten, in denen Wohlklang und Harmonie im temperamentvoll freieren Spiel der Kräfte hintanstehen. Seit seinem Debüt „Choral“ (PIT3009) hat sich Christian Weidner konsequent fort entwickelt. Im Quartett mit Colin Vallon, p, Henning Sieverts, b, und Samuel Rohrer, dr, bleibt viel Raum für das gemeinsam zu entdeckende, sperrig und kantig zuweilen auf der einen Seite in „St. Paul“, „Lyra“ oder dem Groove betonten „Drawn Ones“, in einfacher, sanglich einprägsamer Melodiosität auf der anderen im „Abendlied“, „Psalm“, „Ave“ oder im Titelstück „The Inward Song“. Komposition und Interaktion, Geschriebenes und Gespieltes, Durchdachtes und Spontanes stehen in überzeugender Balance zueinander, ergeben in transparent strukturierter Klarheit und atmosphärischer Dichte ein zart verästeltes, ungemein ästhetisches Ganzes mit Luft zum Atmen in wohldosierter Intensität. Beliebigkeit ist der Musik des 34-jährigen Weidner fremd, die Lehrjahre nicht zuletzt im BuJazzO und bei Kenny Werner sowie die Zusammenarbeit mit Albert Mangelsdorff und Gunter Hampel verpflichten. Was in besonderer Weise fasziniert, ist das traumwandlerische Miteinander, in dem das Quartett jenen farbenprächtigen „Abenteuerraum“ durchmisst, in dem – wie Weidner sagt – „die Musiker sich begegnen, während sie alle den Moment erfinden, improvisieren, sich zeigen: nackt, beseelt, kreativ“.
Tobias Böcker

Renaud García-Fons
Méditerranées

Enja ENJ-9563-2

Seit Jahrtausenden ist der Mittelmeerraum ein Schmelztiegel der Kulturen, bis heute nun wirklich nicht immer und überall in friedfertigem Miteinander. Um so wichtiger, wenn einer sich auf die Reise macht, Bindeglieder zu suchen zwischen Ost und West, Nord und Süd. Re­naud García-Fons, französischer Paganini des 5(!)-saitigen Kontrabasses mit spanischen und italienischen Wurzeln, setzt auf die Macht der Melodie als des wesentlichen verbindenden Elements der Völker. Emotionen, Düfte, Stimmungen, Rhythmen, Instrumentierungen, Klangfarben, Bilder, Sprachen, nicht zuletzt jene vergessene Sprache Aljamiado, arabisch geschrieben und spanisch gesprochen, welche dereinst islamische und christliche Kulturgrenzen zumindest im Ansatz zu überbrücken vermochte, das sind die Eindrücke, die er uns mitgibt auf seinem Trip. Der führt von Spanien die nördliche Küste entlang an den Bosporus, über den Libanon, Ägypten und Nordafrika nach Gibraltar. Eine Traumreise, sonnendurchflutet, von Licht erfüllt, tänzerisch, schwärmerisch, üppig und von neugieriger Offenheit geprägt. Mitreisende sind Claire Antonini an Laute, Theorbe, Zither und Bouzouki, David Venitucci am Akkordeon, Kiko Ruiz an der Flamencogitarre, Adel Shams el-Din an Rik und Derbouka, Bruno Sansalone an der Klarinette, Henri Tournier an Flöten, Bass und dem überdimensionalen Octobass, sowie García-Fons‘ Tochter Solea in der wunderbaren Ballade „Los Secretos“.
Tobias Böcker

Der Rote Bereich
7

Intakt Records 2010

Sich nach 17 Jahren noch so viel zu sagen zu haben – nicht alltäglich ist sowas! Bassklarinettist Rudi Mahall, Gitarrist Frank Möbus und Schlagzeuger Oliver Steidle improvisieren sich auch auf ihrem siebten Album kompromisslos in den „Roten Bereich“ hinein. Der Bandname des heute in Berlin lebenden Dreigestirns ist Manifest für praktizierte geistig-kreative Freiheit jenseits irgendwelcher Schubladen, ebenso die ungewöhnliche Besetzung, die allen drei Musikern so viel Luftigkeit und Entfaltungsraum bietet. Da sondern nicht etwa irgendwelche Freejazzer narzisstische Egotrips ab – vielmehr steht die hohe Kunst des Zuhörens und Ausredenlassens im Raum! Denn erst dadurch entfalten sich Ideen, entsteht Nähe, werden große Momente geboren. Und diese drei ernsthaften Spaßvögel lassen auch mal die Spielweise etwas unaufgeräumt zurück. Hingetupfte Signale der Bassklarinette markieren zaghaftes Suchen, während die elektrische Gitarre Signale aus dem Äther sendet. Und schon kommen aufgeweckte Geister miteinander in Fahrt, fragen, antworten, kommentieren – und provozieren einander auch. Mahall lässt sein Horn gurren und glucksen, jubeln, sphärisch umspielt Gitarrist Möbus die verwinkelten Linien – Schlagzeuger Oliver Steidle moderiert nicht nur zwischen diesen Gegenpolen, sondern funkt auch mit wildem Synkopenstakkato dazwischen. Jazz? Punkrock? Neue Musik? Einfach „Roter Bereich!“
Stefan Pieper

Dominik Glöbl Quintett feat. Caroline von Brünken: Halteverbot
Conception Records 2010

Passend zur stillen Jahreszeit hat das Dominik Glöbl Quintett, bestehend aus Absolventen der Hochschule für Musik und Theater München, seine erste CD „Halteverbot“ veröffentlicht. Glöbl unterrichtet am Music College in Regensburg Jazz-Trompete und ist Mitglied der Bayerischen Löwen. Hört man ihn live, so weiß man, dass er sein Instrument beherrscht, es facettenreich und kontrastierend spielen kann. Die CD fällt dahingehend ruhiger und spärlicher aus. Poppiger Jazz mit eingängigen Melodien, festen Schemata, leisen und einfachen Motiven und einem zurückhaltenden Glöbl an Trompete und Flügelhorn. Das Album enthält zehn Songs mit Texten des Lyrikers Manfred Peringer und es ist interessant zu hören, wie Sängerin Caroline von Brünken Wörter wie „Sprechstunde“, „Brummschädel“ und „Armaturenbrett“ mit ihrer glasklaren und glatten Stimme vertont. Der erste Titel heißt „Verschiebebahnhof“. Genau wie der Titelsong „Halteverbot“ beginnt er mit einem kleinen Intro, gefolgt von einem Motiv, das vom Saxophon durchgeführt wird, schlicht und schnörkellos. Gerade bei so geradlinigem Jazz, wäre ein dazu kontrastierender Gesang sicher provokanter gewesen. Musikalisch interessant, weil anders, verrauchter, düsterer mit brummendem Cello ist „Und leise fällt der Schnee“. Das Quintett mag es ruhig und melancholisch, dennoch scheint das erste Album noch nicht das Ende einer Stilfindung gewesen zu sein.
Nadine Lorenz

Das Kapital
Ballads and Barricades

Wizmar Records 2010

Hanns Eisler wurde von den Nazis verfolgt, von amerikanischen Antikommunisten vertrieben und später vom DDR-Kulturbetrieb in der eigenen Kreativität so weit zurechtgestutzt, so dass er heute den meisten nur als Urheber der relativ einfältigen DDR-Hymne bekannt ist. Dabei gehörte der Schönberg-Schüler zu den zentralen Gestalten einer musikalischen Moderne, in der sich gesellschaftlicher Idealismus als zentrale Triebkraft widerspiegelte.
„ Das Kapital“ macht all dies neu erfahrbar – und ruft vielleicht manchen Hörer auch wieder auf die Barrikaden hinauf. Besagtes deutsch-dänisch-französisches Trio schwingt sich auf seinem neuen Album zu dramaturgischen Geniestreichen auf und macht damit die Botschaft von nicht weniger als 15 von Eislers politischen Songs auch ohne gesungene Worte verständlich.
Mal vertrackt improvisierend, zuweilen latent rockig, dann wieder entwaffnend und intim führt das Spiel dieses Trios jenen Facettenreichtum vor, mit dem sich Eisler zwischen die Stühle sämtlicher Stilschubladen und kulturellen Mileus setzte.
Und jenseits aller flammenden politischen Pose verbreiten die Arrangements auch Momente von berührender Innerlichkeit. Zärtlich mutet die Saxophon-Linie im „Lied von den Moorsoldaten“ an – bevor alles im Malstrom wütender Freejazz-Rebellion versinkt. Sowohl im „Einheitsfront“- als auch im „Solidaritätslied“ formieren Daniel Erdmanns bohrende Saxophonfanfaren und Hasse Poulsens farbenreicher Gitarrensound einen vielstimmig aufmarschierenden Arbeiterchor. Dank bewusst „unsauberer“ Intonation werden die wütenden Kehlen der Straße assoziierbar und nähren den Wunsch, angesichts heutiger zugespitzter gesellschaftlicher Wirklichkeiten in solche Gesänge sofort einzustimmen.
Stefan Pieper

George Russell
The Complete Bluebird Recordings

Lone Hill Jazz LHJ 10177

Diese Aufnahmen von 1956 stellen einen ersten Höhepunkt der Combo-Arbeit George Russells dar: komplexe Melodien, hochspannend arrangiert und den Musikern, vor allem Art Farmer (Trompete), Hal McKusick (Altsaxophon, Flügelhorn), und Barry Galbraith (Gitarre), viel abverlangend, die mit präzisem Zusammenspiel und eindrucksvollen Soli glänzen.
Schon die ersten Stücke faszinieren: „Ye Hypocrite, Ye Beelzebub” (quicklebendig), „Jack’s Blues“ (far out), „Living­stone I Presume” (rätselhaft), „Ezz-Thetic” (vielleicht sein schönstes Thema).
Und so geht es weiter: „Concerto for Billy the Kid” ist eine Featurenummer für Bill Evans, der seinem Vorbild Bud Powell alle Ehre macht; „Round Johnny Rondo” kommt hochtänzerisch daher (wo sind die Tänzer, die sich mit solcher Musik beschäftigen?); „Witch Hunt” (nicht mit dem späteren gleichnamigen Thema von Wayne Shorter zu verwechseln) ist ein schwieriger, aber dennoch eleganter Slalom durch viele Tonarten.
Zeitlos schöne, sehr eigenständige Musik.
Joe Viera

Slagr
Straum, stille

Ozella OZ 033/www.ozellamusic.com

„Straum, Stille“, das zweite Album des norwegischen Kammerfolk-Trios „Slagr“, ist in der Sofienberg-Kirche in Oslo mit feinem Hall und schönem Raumklang auf­ge­nommen worden. Es verbindet sprö­de, zerbrechlich-poetische Themen aus der heimatlichen Tradition der Musiker mit der Subtilität des Jazz und einem rhythmischen Pulsieren, wie wir es von den Minimalisten her kennen. Waren es vor über dreißig Jahren Terje Rydal und Co., die mit neuartigen, elektrischen Klängen bei ECM die Weite und ruhige Erhabenheit ihres Landes musikalisch erfahrbar gemacht haben, gehen Anne Hytta (hardanger fiddle), Sigrun Eng (cello) und Amund Sjolie Sveen (vib) mit akustischen Instrumenten diesen Weg noch eine ganze Ecke weiter. Das gesamte Album ist von einer getragenen, dunklen Stimmung geprägt, die sich fast im Zeitlupentempo aus meist einfachen Themen und rauhen Klängen entwickelt. Langsam, beinahe unmerklich entfalten sich die Stücke, bis auf eines, alle von Geigerin Hytta komponiert. Gleich das erste, „Drifting out of sleep“, ist ein passendes Bild für diesen konzentrierten, fast schon religiösen Prozess mit lange angehalte­nen Vibraphon-Klängen, perkussiven Ober­ton-Schwingungen und meditativ wirkenden melodischen Motiven und Harmonien auf Fiddle und Cello. Stilistisch bewegt sich das Trio, das auch Werke zeitgenössischer norwegischer Komponisten interpretiert, zwischen Folk – im weitesten Sinne – und zeitgenössischer Klassik, am ehesten noch mit den Sounds eines Arvo Pärt verwandt.
Michael Scheiner

Trio Dolce Vita
Amarcord

Jazzwerkstatt Berlin 082

Ehrfurchtsvolles Aneignen bekannter Vorlagen lebt vom Verfremden derselben. Kenner und Könner zerstören das Ursprungsmaterial nicht, sondern stellen es mit aller gebotenen Vorsicht in neues Licht. So entsteht künstlerisch ästhetischer Zugewinn. Wenn sich ein Trio um den Schweizer Klarinettisten Claudio Puntin „Dolce Vita“ nennt und dessen CD mit „Amarcord“ betitelt ist, so handelt es sich um eine sehr tiefe Verneigung vor Federico Fellini und Nino Rota. Die beiden Ausnahmetalente haben sich gegenseitig berühmt gemacht und waren bis zum Tod Rotas 1979 schier unzertrennlich. Dabei sah der sich gar nicht als Filmkomponist, sondern wollte in Ballett, Konzert und Oper punkten. Unsterblich wurden aber die emotionalen Melodie, eben zu „Amarcord“, „Dolce Vita“, „8½“, „La Strada“ und vielen anderen, gerade weil sie nie „gefühlig“ daherkamen. Das ist auch der Aneignung durch Puntins Trio gelungen. Er schmaucht in sein Instrument und zögert so manch Wiedererkennen hinaus, Pizzicati vom Kontrabassisten Johannes Fink sorgen für weitere Ablenkung und sind doch in Summa mit dem virtuosen Cellisten Jörg Brinkmann nur eine Hinwendung zum Ziel. Tempoverschiebungen brechen und ironisieren die Italianità-Reminiszenzen. Neun der brillanten Filmmelodien hat das Trio für sich entdeckt, jedesmal so stimmungsvoll, dass man Bilder zu hören vermeint. Die beiden Streicher leisten sich absichtsvoll mancherlei Schrägen, der Klarinettist gerät in geradezu intime Klangwelt – was fehlt, ist eigentlich nur ein Stück „8½“.
Michael Ernst

The Tigers of Love
Un Amour Fou

JazzHausMusik

Tiger gelten als kraftvoll und gleichzeitig elegant. Mit ebendiesen Eigenschaften gehen „The Tigers of Love“ ihrer Liebe zum akustischen Jazz nach, mit spannungsreichen Melodien, energiegeladenen Rhythmen und knackig komponierten Intros. Das in Berlin ansässige klavierlose Quartett um den Saxophonisten Alexander Beierbach und den Trompeter Steffen Faul startet mit kraftvollem Bebop; in geschmeidigen Parallelen tänzeln kantige Bläsermelodien über nervösen Rhythmen. Dann wieder erinnern ruhige, abgeklärte Passagen an den Cool Jazz des Quartetts von Gerry Mulligan und Chet Baker, das einst in derselben Besetzung wie die „Tiger“ spielte. Aber das Stil-Karussell dreht sich weiter. Mal werfen sich die Musiker hochvirtuos die Bälle zu; mal weben sie einen schillernden Klangfarbenteppich à la Ellington. Mikrotonale Nuancen werden ebenso ausprobiert wie experimentelle Klänge – ein Kratzen, Scharren, oder Rascheln, bei dem man zuweilen nicht mehr die Instrumente identifizieren kann. Die Bandmitglieder sind für solch einen Rundumschlag technisch versiert und stilsicher genug. Alle vier haben Kompositionen beigesteuert, in denen sie sich auch mal Ausflüge zu Drum‘n‘Bass und Klezmer gestatten. Schlagzeuger Uli Jennessen brilliert in seinem sich immer weiter verdichtenden Bravourstück „Pönk“. Den Abschluss bilden eine Blues-Elegie mit dem lapidaren Titel „tot“ und das karibisch tänzelnde Finale. Kurzum, die „Tiger“ sind ebenso neugierig, frei und unberechenbar wie eine Raubkatze auf Pirsch.
Antje Rößler

| home | aktuell | archiv | links | rezensionen | abonnement | kontakt | impressum
© alle texte sind urheberrechtlich geschützt / alle rechte vorbehalten / Technik: Martin Hufner