 |
 |
 |
|
Jazzzeitung
2011/01 ::: seite 15
rezensionen
|
|
 |
 |
 |
 |
 |
|
John Coltrane
1960 Düsseldorf
Jazzline
Als 1960 Norman Granz sein tourendes Konzertunternehmen nach Europa
schickte, waren neben dem Miles Davis Quintet auch Stan Getz und seine
Gruppe und
das Oscar Peterson Trio im Paket. Pläne einer Fernsehaufzeichnung
des Quintetts scheiterten an der Unlust des Trompeters. Da filmte man
dessen Tenoristen John Coltrane, der ohnehin dabei war, das Quintett
zu verlassen, kurzerhand mit Wynton Kelly (p), Paul Chambers (b) und
Jimmy Cobb (b). Obwohl Trane erst Monate später ein festes, das
legendäre Quartett leitete, ist auf dem Album ein altbewährtes
Team zu hören: das schon 1959 in „Coltrane Jazz“ verewigte
Quartett aus Davis-Kollegen. Die Chance ihre ohne Miles erarbeiteten
Stücke wie „Like Sonny“ oder „Harmonique“ aufzugreifen,
wurde nicht ergriffen; man spielte wie jeden Abend bei Miles „On
Green Dolphin Street“ und „Walkin’“, freilich
hervorragend. Im Ballad-Medley tritt Stan Getz hinzu (der nicht, wie
der Begleittext will, schon 1953, sondern erst 1957 mit Kelly aufgenommen
hatte). In „Rifftide“, als Spitzentreffen mit Getz ein Unikat
wie „Tenor Madness“ mit Rollins, löst Oscar Peterson
Kelly ab.
Ein „neues“ Album von John Coltrane ist immer von großer
Bedeutung, mag es sich auch nicht um einen giant step in seiner Diskographie
handeln, mögen Jazzfreunde Teile davon sogar als Video kennen – eines
der hörenswertesten Alben von 2010 ist es allemal.
Bud Powell
1960 Essen, Grugahalle
Jazzline
„The Cologne Broadcasts“ nennt sich eine Reihe historischer Jazzaufnahmen
des WDR. Im Gegensatz zur Düsseldorfer Coltrane-Archivalie wurde
das vorliegende Konzert seit Jahrzehnten unter Titeln wie „The
Essen Jazz Festival Concert“ oder „Hawk in Germany“ oft
veröffentlicht. Nur bei dieser einen Sternstunde der Jazzgeschichte
kam es zu gemeinsamen Aufnahmen der vier Musiker: Bud Powell, der König
des Bebop-Pianos, war diesmal in vorzüglicher spielerischer Verfassung
und saß (damals auch ein Glücksfall) vor einem guten Instrument.
Der Bassist Oscar Pettiford, nominell der Leader, und der Drummer Kenny
Clarke hatten zwei Jahrzehnte zuvor auf ihren Instrumenten die Wende
vom Swing zur Jazzmoderne eingeleitet. Die drei Wahleuropäer passten
vorzüglich zu Coleman Hawkins. Der Vater des Tenorsaxophons, auf
vier Stücken Stargast des Trios, hatte mehr als jeder „Alte“ die
jungen Bebopper gefördert. Zur Zeit des Konzertes hatte er, wie
Joachim Ernst Berendt treffend ansagt, eine „Vitalität entwickelt,
mit der er viele seiner jüngeren Nachfahren und Schüler an
die Wand bläst“. Was mag Jazzline bewogen haben, groß „Unreleased“ auf
die Vorderseite zu drucken und die Applause mit Tracknummern zu versehen,
womit flüchtig der Eindruck entsteht, es seien 17 und nicht die
bekannten 9 Aufnahmen? Neu ist nur die klangliche Verbesserung und das
Herausschneiden der Ansagen Berendts.
Jo Jones
Jo Jones Special
Poll Winners Records
Der Schlagzeuger „Papa“ Jo Jones wäre heuer 100 Jahre
alt geworden. Als er 1985 starb, vier Tage nach Bop-Schlagzeuger „Philly“ Joe
Jones, war er zuletzt allzu oft mit diesem verwechselt worden. Heute
dürfte das noch häufiger passieren. Grund genug, sich seiner
wegweisenden Bedeutung zu entsinnen und seine eigenen Alben kennenzulernen.
Aufnahmen als Sideman sind ja fast so häufig wie Sand am Meer,
wirkte er mit seiner neuartigen, relaxten und ökonomischen Spielweise
von 1933 bis 1948 bei Count Basie stilbildend: Von „Papa“ übernahmen
die Drummer einen leichten federnden Beat, da vor allem er das Markieren
des Grundmetrums von der Basstrommel auf die Hi Hat verlegte. Die Basstrommel
wurde nun frei für Akzente. Außerdem hatte keiner vor ihm
Besen eleganter und musikalisch sinnvoller eingesetzt. Max Roach: „Von
drei Schlägen eines Drummers gehören zwei Jo. Er ist der größte
Drummer aller Zeiten.” Für seine erste Langspielplatte kam
1955 mit Count Basie, Walter Page und Jones wieder die berühmte
All American Rhythm Section zusammen. Unter den zwölf zu unterschiedlichen
Septetten kombinierten Basie- und Ellington-Musikern sind Emmett Berry
(tp), Lucky Thompson (ts) und Bennie Green (tb). Als Bonus-Album enthält
der Silberling auch Jones’ Sextett-Album „Vamp Till Ready“ von
1960, mit „Sweet“ Edison, Tommy Flanagan (p) und wiederum
Green. Ungetrübtes swingendes Vergnügen.
Dave Brubeck
Southern Scene + The Riddle
Solar Records
Dass Brubeck 1959, in dem er nicht nur so erfolgreich, sondern auf
durchweg hohem Niveau auch über die Maßen fleißig war, kurz nach „Time
Out“ auch die zwei hier auf einer CD vereinten Alben aufnahm, entging
wohl auch aufmerksamen Sammlern, die hier zugreifen sollten. „The
Riddle“, hier erstmals (!) auf CD erhältlich entstand im gleichen
Sommer, „Southern Scene“ (bislang nur einmal auf einer vergriffenen
japanischen CD veröffentlicht) im frühen Herbst. Mit „Southern
Scene“ versuchte das Dave Brubeck Quartet in seiner berühmtesten
Besetzung – Paul Desmond (as), Dave Brubeck (p), Eugene Wright
(b) und Joe Morello (dr) – an einen großen Erfolg anzuknüpfen:
Nein, nicht an „Time Out“, sondern an das mit fünf Sternen
im Down Beat ausgezeichnete „Gone with The Wind“, eine Sammlung
von Stücken, die mit dem amerikanischen Süden verbunden sind.
Das unerwartete Material zeitigt inspirierte Momente, doch weniges, etwa
das inspirierte Titelstück „Southern Scene“, hält
einem Vergleich mit dem Vorgänger aus. Witzig ist die ohne Brubecks
Wissen eingespielte, im Geist alter Entertainer gebotene Warmspielnummer „At
The Darktown Strutters Ball“. Das faszinierendere Album ist „The
Riddle“, in dem der Klarinettist Bill Smith, schon in den 40er-Jahren
ein wichtiger Weggefährte Brubecks, Desmond ersetzt. Alle Stücke
stammen von Smith und basieren ausgerechnet auf dem englischen Volkslied „Hey,
Ho, Anybody Home?“.
Vienna Art Orchestra
The Minimalism Of Eric Satie
Hatology
Viele haben versucht, den bisweilen gar nicht so kurzen Miniaturen
Eric Saties („Vexations“, hier Grundlage dreier Duo-Versionen,
wird im Original 840 mal wiederholt) ein Jazzgewand anzupassen. Niemand
tat dies überzeugender als VAO-Leiter Mathias Rüegg 1983 und
1984 in seiner bewundernswerten Balance aus Respekt vor den Originalen
und eigener Erfindungsgabe. Schon seine ausgeklügelten Arrangements
sind Klangfarbenzauberei: Das Instrumentarium einer Big Band (aber ohne
den gängigen Rhythmusgruppen-Instrumenten Schlagzeug, Bass, Gitarre
und dem mit Satie assozierten Klavier) wird erweitert um die im Satz
mitsingende Lauren Newton, Woody Schabatas delikaten, sehr präsenten
Vibraphon, sowie Weltmusik-Instrumentarium, das wie Kalimba, Tambura
oder Tarabuka mit Fingerspitzengefühl und nur punktuell eingesetzt
wird und die orientalisierende Komponente der Vorlagen (z.B. der „Gnossienes“)
akzentuiert. Die Solisten, darunter die Saxophonisten Roman Schwaller,
Harry Sokal, Wolfgang Puschnig und der früh verstorbene Trompeter
Bumi Fian reagieren nicht nur inspiriert auf die ungewöhnlichen
Vorlagen, sie spielten mit der Beseeltheit von Menschen, die gerade mit
etwas Kostbaren, Heiligen oder Bedeutenden beschäftigt sind. Schade,
dass die Outtakes unveröffentlicht bleiben: Art Farmer mit Satie
hätte man schon mal gerne gehört. Ein Klassiker von fast jenseitiger
Schönheit! |