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Jazzzeitung

2008/04  ::: seite 13-14

rezensionen

 

Inhalt 2008/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 4 / Cat Anderson / Zum Tod von Esbjörn Svensson


TITEL - Generation Swing
Hugo Strasser ist Preisträger der German Jazz Trophy 2008


DOSSIER
- Erst das Fressen, dann der Jazz
Stipendien und Fördermaßnahmen in Deutschland

Berichte
Jazz an der Donau 2008 // Pat Metheny im Juli in der Oper Halle // Jazzsommer 2008 im Bayerischen Hof // Till Brönner und Band bei den Regensburger Schlossfestspielen 2008 // 26. Südtirol Jazzfestival Alto Adige // Preview: International Stride Piano Summit am 31. Oktober im Münchner Amerika Haus


Portraits

Torsten Goods // Niels Klein und seine Arbeit mit dem European Youth Jazz Orchestra // David Sanborn mit neuem Album und im Interview


Jazz heute und Education
Die Politikerin Monika Griefahn im Interview // Wolfram Knauer über seine Zeit an der New Yorker Columbia University // Johnny Griffins Solo über „The Boy Next Door“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Rezensionen CD

Jörg Brinkmann Trio
Ha!

Act 9662-2 – Young German Jazz

„HA!” ist ein äußerst interessantes Debut des Jörg Brinkmann Trios in der konsequenten wie erfolgreichen Act-Label-Reihe „Young German Jazz“. Mit der ersten Live-Version von „HA!“ gewannen der Cellist Jörg Brinkmann und sein Trio verdientermaßen den jazzwerkruhr Wettbewerb 2007. Nicht allein durch sein facettenreiches Cellospiel hebt sich der Sound von einem klassischen Piano-Trio ab. Durch das äußerst kreative Mitspiel des Schlagwerkers Dirk-Peter Kölsch und den virtuosen Einsatz von Oliver Maas an Piano und Fender Rhodes finden auch ungewöhnliche Klänge Einzug, die den Stücken einen eigenen, selbstständigen Charakter verleihen. Musikalisch lässt sich „HA!“ nicht in einer bestimmten Schublade ablegen. Traditionelle Balladen wie „Sirius B“ oder „September“ wechseln sich ab mit schrägen Salon-Miniaturen, jazz-rockigen Kompositionen oder Hardbop-Anklängen. Dabei werden die Kompositionen immer wieder unterbrochen von Intermezzi, um dann im nächsten Stück zu neuen Stil-Ufern aufzubrechen. Eine „Introduktion“ zu „Ha!“ bekommt der Hörer erst zum Schluss im vorletzten Stück, bevor die CD mit einem wundervoll lyrischen „Song“ ausklingt. Irgendwie ist das Album bewusst konzeptionell aufgebaut und konterkariert konventionelle Hörgewohnheiten. Gleichzeitig sorgen intelligente Arrangements und harmonische Brüche mit Witz, ohne ausufernde Soli, für musikalische Abwechslung im Trio. „HA!“ ist der beste Beweis dafür, dass man stilistisch sicher fortschreiten und dabei Horizonte weiter spannen kann.
Thomas J. Krebs

Laia Genc & Liason Tonique
Strandgut

Jazzhausmusik JHM 168

Verstreut an einem Ort ist „Strandgut“, von einer ruhigen Dünung ans Ufer gespült. Den Salzgeruch in den Klavierklängen, wandert Laia Genc in spähender Erinnerung über den Sand, lässt langsam Metaphern aus der Improvisation wachsen. Rund, vielleicht ist erlaubt zu sagen: feminin spielt sie Töne, die sich empathisch ihrem Thema zuneigen, gerade auch beim melodisch sanften Porträt „Ida Lupino“ von Carla Bley. Lyrisch verführt Gastsaxophonist Christophe Panzani „Sometimes Not“ zu angenehmen Gefühlen. Doch Strandgut hat nicht nur impressionistische Stilistik parat, die kann „If Love Leaves“ durchaus in einem Dreh zu repetitiven Deklamationen im Crescendo vergeblich sein, zumal Nils Tegen am Schlagzeug die angestrebte Erlösung durch impulsive Gegenrhythmen verweigert. Plötzliche Wendungen sind typisch für die Triokonzeption der Liason Tonique, so dass ein orientalisches Motiv zu „Shivas Traum“ im seufzenden Bass von Matthias Novak per Accelerando zu entspanntem Cool Jazz mutiert. Ebenso wird das rasante Postbopriff zu „Contemporis“ von Hervé Sellin vertikal zu freien Assoziationen demontiert oder ein vulkanisches Saxsolo sprüht „Bleu Liquide“ in ein heftiges Bassostinato. Was zunächst willkürlich erscheint, haben Laia Genc & Liason Tonique aus den Spektren des zeitgenössischen Jazz zu einem kohärenten Konzept gefügt. Gleichberechtigt und zugleich mit individuellen Freiheiten ausgestattet, hat sich dieses Jazzklaviertrio zu einer stabilen Formation entwickelt.
Hans-Dieter Grünefeld

Zentralquartett/Synopsis: Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil
Intakt Records CD 142

Was wird aus Legenden, wenn sie plötzlich gegenwärtige Wirklichkeit werden? Die Wiederbegegnung mit dem Ost-Berliner Free Jazz Quartett „Synopsis“ und seiner ersten Aufnahme aus dem Jahr 1974 ist so ein Fall. Auch jenseits der Mauer pflegte man die Auslotung der Grenzen für eine freie Improvisation sehr nachhaltig und ernsthaft. Das kann man sich jetzt mit der neuerlichen Wiederveröffentlichung der ursprünglichen FMP-LP vergegenwärtigen. Was John Corbetts Reissues der alten Schlippenbach-, Brötzmann- oder Schoof-Meilensteine war, wird in zunehmendem Maße Patrick Landolts Intakt Records in Zürich für die Veröffentlichungen des alten Kollektivs aus der DDR, das nach dem Auseinandergehen 1975 Ende der 80erJahre wiedererstand unter dem neuen und bis heute existierenden Namen „Zentralquartett“. Die 1974er Aufnahme erschien nur im Westen und dank Intakt auch die neuen und sehr überzeugenden Aufnahmen des Quartetts schon mehrfach in Zürich. Vieles hat die alte Aufnahme mit denen der West Free Jazzer gemein, die hemmungslose Freiheit, die Spannung und Kraft, die allerdings durch fein gesponnene Kanäle sich langsam aber stetig aufbaut. Große Virtuosität, die das Spiel von Konrad Bauer, Ernst-Ludwig Petrowski, Ulrich Gumpert und Günter Sommer bis heute auszeichnet, macht alles möglich wie auch hymnenartige Ausbrüche, ganz im scheinbaren Gegensatz zu dem dadaistischen Anstrich, der sich schon in den Titeln „Krisis eines Krokodils“ oder dem Titelstück „Auf der Elbe schwimmt ein rosa Krokodil“ ausdrückt.
Hans-Jürgen von Osterhausen

Mathias Eick
The Door

ECM 2059 (Universal)

Der Titel „The Door“ bezog sich im Grunde am Anfang lediglich auf die eigene Tür in seinem kleinen Heimstudio. Interpretationen wie „Door Opener“ kamen erst später mit dazu. Und dennoch: mit dieser CD öffnet der norwegische Trompeter die Tür zur Welt des europäischen Jazz nicht nur einen Spalt breit, er stößt sie ganz weit auf! Eicks Vorbilder sind Keith Jarrett, aber auch Jan Garbarek und Tomasz Stanko – alle genannten sind Repräsentanten des Münchner Labels ECM. Da ist schnell klar, wieso es Eicks größter Wunsch war, bei der Plattenfirma der so heißgeliebten Künstler ein Album herauszubringen. Jetzt ist sein Traum Wirklichkeit geworden. Hoffentlich hat Eick noch mehr Wünsche und Träume auf Lager, damit ihm und uns nicht langweilig wird!? Denn mit „The Door“ stellt Mathias Eick uns eine – ausschließlich seine eigene – geniale Musik vor: es sind Instrumentalstücke, die ganz große Gefühle transportieren – und Kitsch ist hier nicht gemeint! Von herzzerreißender Melancholie über gelassene Langsamkeit ohne die Not zuvieler Töne bis zu experimentellen Passagen überzeugt Eick als Komponist und Bandleader. Ein Lob an dieser Stelle auch an Jon Balke, Audun Erlien, Audun Kleive und Stian Carstensen, die gekonnt dazu beitragen, dass diese Musik eine runde Sache ist. Nicht zu vergessen: Mathias Eicks mal schmachtendem, mal kühl distanziertem Trompetenton wird sich wohl kaum jemand entziehen können. Bei so einem kunstvoll-gekonnten Debüt verbleiben wir in nahezu angstvoller Erwartung auf die Live-Konzerte und das nächste Album – lässt sich das noch toppen?
Carina Prange

Quadro Nuevo
Antakya

GLM/Fine Music FM 132-2

Der Ruf, den sich Quadro Nuevo als Experten für folkloristische Musik vieler Länder und Regionen erworben haben, hat dem Quartett nun ein Filmprojekt eingebracht. Für den deutsch-türkischen Regisseur Servet Ahmet Golbol vertonten die Musiker dessen Film „Zwei halbe Leben sind kein Ganzes“, eine dokumentarische Geschichte über Menschen in der türkischen Stadt Antakya. Gut ist ihnen das gelungen, denn die Musik klingt, wie auch jedes Mal zuvor, überraschend authentisch. Und damit ist nicht etwa eine hundertprozentige Übereinstimmung mit traditioneller türkischer oder orientalischer Musik gemeint, sondern die Leichtigkeit, mit der sich die Musiker in diese neue musikalische Umgebung einpassen, als wäre sie ihnen seit langem vertraut. Die Stücke sind einfach und wiederholen sich in den harmonischen Grundmustern, wie es oft in Konzeptalben der Fall ist, wirken aber nie plump. Vielleicht ist die Nähe zur Stadt Antakya der Schlüssel zu diesem Geheimnis, denn die Musik ist direkt während eines Aufenthalts der Band in Antakya, komponiert und dann an verschiedenen Orten der Stadt, wie zwei antiken Kirchen, aufgenommen worden. Eine Inspirationsquelle, die sicher wirksamer ist als ein steriles Münchner Studio. Beeindruckend ist, wie Gitarrist Robert Wolf neben der Gitarre in recht überzeugender Weise mit orientalischen Saiteninstrumenten wie Oud, Qanun, Cümbüs oder auch der griechischen Bouzouki umgeht.
Jörg Lichtinger

Willie Nelson & Wynton Marsalis
Two Men With The Blues

Blue Note

Zunächst waren es nur zwei Konzerte, gespielt Mitte Januar 2007 im Panoramasaal „Allen Room“ des New Yorker Lincoln Centers. Angekündigt war der damals 73-jährige Willie Nelson, jener unverwüstliche alte Herr der diskreten ästhetischen Verweigerung, dem während seines wechselhaften Künstlerlebens gelungen war, den Nashville-Zwängen erfolgreich die lange Nase zu zeigen. Nicht mit auf dem Plakat stand jedoch, dass der Chef des Jazz@Lincoln Center-Departements Wynton Marsalis ebenfalls mit seinem Quintett auf der Bühne stehen würde. Natürlich war das eine kleine Sensation. Zwei Heroen ihrer Sparten wagten den Schulterschluss, das versprach Neues. Nur bestand das Frische in der Fundamentierung des Alten. Nelson und Marsalis einigten sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der amerikanischen Popularmusik und spielten Blues und Standards à la „Georgia On My Mind“. Das machten sie auf künstlerisch exzellentem Niveau, der eine raustimmig die Authentizität der eigenen Person einfordernd, der andere schelmisch mäandernd, mit plaudernden Linien das Country-Monument umgarnend. Der Lonesome Rider und der urbane Networker trafen sich zum Sound der Baumwollfelder. Aus der Perspektive der Alten Welt ist das vor allem unterhaltsam, aus der der Neuen aber ein klingendes Zeichensystem, das mit jeder Note nun auch auf CD in Richtung historischer Eigenständigkeit weist.
Ralf Dombrowski

Georg Breinschmid
Wien bleibt Krk

Zappel Music ZM 0009-2/CODAEX

Der österreichische Bassist Georg Breinschmid hat ein Album eingespielt, dessen Bezug zu Wien und der Wiener Mundart nicht nur seine fixe Idee, sondern ein intensiv geplantes Unterfangen darstellt. Seine eigenen Kompositionen sind es, die, vom Dialektgedicht bis zum Bassinstrumental, Wiener Lebensart, Wiener Schmäh und Wiener Lied in zeitgenössische Kunstmusik verwandeln. Kunst im besten Sinne selbstverständlich. In unterschiedlichsten Besetzungen wird auf „Wien bleibt Krk“ musiziert, gesungen, gesprochen und geschmunzelt – Thomas Gansch, Agnes Heginger und Stian Carstensen seien stellvertrend für alle übrigen Musiker genannt. Das „Fußball-Aversions-Wienerlied“ sprach sicher nicht allen aus der Seele, ist aber auch ein Stück Breinschmid‘sche Befindlichkeit. Dass die Grenze zu Volksmusik und traditionellen Klängen immer wieder von Neuem überschritten wird, versteht sich von selbst. Insbesondere Stück fünf, „A klanes Brabitschek“ präsentiert Breinschmids ungewöhnliche eigene Fantasiesprache, zu der er durch Dialektgedichte von H.C. Artmann und Gerhard Rühm angeregt wurde. Und die Zeile „Weu mi kana fasteht, weu so komisch ich red“ verdeutlicht, dass wir Breinschmid sprachlich nicht überallhin folgen können müssen, um an diesem Album unsere Freude zu haben: allein diese fremden Worte und Klänge zu genießen, ist eine große Inspiration. Und die Musik hat einen hohen Qualitätsgrad...
Carina Prange

Vince Mendoza
Blauklang

ACT 9465-2

Mit hochkarätigen Musikern wie Nguyên Lê, Peter Erskine und Frank Sackenheim war Mendozas Ensemble auf dem Traumzeit-Festival 2007 besetzt, zu dem er eine Auftragskomposition des WDR beisteuerte und deren Live-Aufnahme jetzt vorliegt. Blauklang, eine Suite mit sechs Movements und Hommage an den Maler Ernst Wilhelm Nay, gibt Zeugnis von Mendozas kunstvoller Tonmalerei, seiner Fähigkeit, mit verschiedenen Klangfarben zu spielen und unterschiedliche Stile miteinander zu verweben. „Bluesounds Mov. I“ lässt den Hörer eintauchen in die Unendlichkeit der Farbe Blau. Gitarre, Streicher und Harfe weben einen sphärischen Klangteppich, über den die von Markus Stockhausen weich und melancholisch gespielte Trompete einen herrlichen Bogen spannt. Kontrast- und abwechslungsreich setzt Mendoza seine Suite fort, orchestrale Passagen wechseln sich ab mit Cool-Jazz und filmmusikalisch anmutenden Abschnitten, bei denen die für den Jazz zum Teil ungewöhnlichen Instrumente stets eine harmonische Synthese eingehen. Abschließend lässt Mendoza sein 15-köpfiges Ensemble noch einmal jazzig wild grooven, fetzige Bläser und Streicher wechseln sich hier ab mit improvisierender Gitarre. Klarinetten-, Saxophon-, Bass-, Trompeten- und Schlagzeug-Soli münden in ein fulminantes Tutti-Klangfeuerwerk. Abgerundet wird die Veröffentlichung durch die zum Thema passenden Miles-Davis-Klassiker „All Blues“ und „Blues For Pablo“.
Charlotte Schick

Sheila Cooper
Tales of Love and Longing

Panorama Records 004/Candid Rec.

Es ist eine äußerst seltene Kombination – die singende Altsaxophonistin Sheila Cooper und Österreichs „grand ole man“ Fritz Pauer am Piano. Der Gedanke an Chet Baker taucht – fast zwangsläufig – auf. Aber auch wenn das Duo mit den „Liebes- und Sehnsuchtsliedern“ ein klassisches Repertoirealbum mit Standards von Carmichael, Berlin, Hammerstein, Porter und Ellington bis hin zum modernen Klassiker von Ornette Coleman (Lonely Woman) vorgelegt hat – bei Cooper ist tatsächlich nur Cooper drin, weit entfernt vom coolen James-Dean-Verschnitt. Dennoch ist ein Vergleich statthaft, hier wie dort Balladen, ein lyrisch-warmer Ton und ein großes Gespür für Melodien. Wobei auch nicht jede Ballade, das sei zugunsten von Cooper-Pauer gesagt, in Melancholie versinkt. „How deep ist the ocean“ ist ein gutes Beispiel für eine heitere, spielerisch verliebte Interpretation, die Laune macht.
In „Body And Soul“ verbindet Cooper in einem unbegleiteten Solo Hawkins´sche Wendungen mit einem Ansatz, der an ihren Bewunderer Lee Konitz erinnert. Cooper präsentiert sich gleichermaßen als seelenvolle Sängerin mit klarer Stimme und kaum Vibrato, die den Songs mit Herzenswärme und Charme zu Leibe rückt und ihnen einen persönlichen Schimmer verleiht. In Pauer hat die Austro-Amerikanerin einen idealen Partner gefunden – zurückhaltend, reduziert und charaktervoll.
Michael Scheiner

Marc Ribot‘s Ceramic Dog
Party Intellectuals

yellobird yeb-7707 2

Die Musik Ribots war immer schwer einzuordnen. Im Spektrum der populären Musik war er überall zu finden, außer vielleicht beim Musical. Was da aussehen könnte wie eine Art Unentschiedenheit ist in Wahrheit ein entschiedenes Bekenntnis zur musikalischen Freiheit. So wird aus den vielen Genres am Ende das Genre Ribot. „Party Intellectuals“ ist eine Platte mit zwölf denkbar verschiedenen Tracks, die alle vom Geist der Ironie tangiert sind. Nichts klingt so wie es klingt. Die Musik ist wie eine Art Vexierbild: sie ist komplett präsent, aber man sieht nichts. Ob da das Doors-Stück „Break on through“ als Jazzpunk gecovert wird oder bei „Digital Handshake“ eine sehr komplexe Geräuschreise über 10 Minuten erfolgt oder in „Bateau“ ein Klangfenster nach dem nächsten sich öffnet mit einer Wärme im Gitarrenklang, immer fühlt man sich musikalisch zu Hause aber nicht daheim. Wenn dann in „For Malena“ ganz offen ein Popsong hingekrümelt wird, dann weiß man endgültig, dass man keinen einzigen Ton des Trios für sich nehmen darf. Und das Trio mit Ches Smith (dr, percussion, electronics, vocals) und Shahzad Ismaily (bass, vocals, moog) findet unglaublich viele Töne, die ganz unverbraucht klingen oder so verbraucht, dass sie in diesem Zusammenhang einen neuen musikalischen Gebrauchswert erhalten. Doch wie immer man sich in diesem Klangstrom bewegt, es kommt irgendwo dann die Stelle, wo einem die Musiker den Boden unter den Füßen wegziehen. Wenn es eine Platte gibt, die man mit Grund ironisch nennen kann, dann ist es diese.
Martin Hufner

Frøy Aagre Offbeat
countryside

aim records

Wunderschöne Melodien entlockt Frøy Aagre ihrem Saxophon und stellt sich damit in eine mit jungen talentierten Skandinaviern, die den europäischen Jazz auf so unverwechselbare Weise bereichern. Beeinflusst von Kenny Wheeler und Wayne Shorter ebenso wie von Bach, Messiaen und Astor Piazzolla, bewegen sich Aagres Kompositionen zwischen klassischen Melodien und jazzigen Improvisationen mit zum Teil unerwarteten und überraschenden Rhythmen. Expressiv muten ihre Stücke an und klingen immer nach dem, was sie ausdrücken sollen: „The Wheel“ gleicht einem sich drehenden Rad, das mal bergab rast, mal über Stock und Stein holpert oder sich verlangsamt, „Rainy Afternoon“ versetzt den Hörer in einen melancholischen, trüben Nachmittag und „A Nice Walk“ gleicht einem Spaziergang in frühlingshaftem Grün. Und nicht nur Aagre weiß diese Stimmungen auszudrücken, sondern auch Offbeat, die hervorragende Band an ihrer Seite, bestehend aus den drei talentierten Norwegern Andreas Ulvo (p), Audun Ellingsen (b) und Freddy Wike (dr). Unterstützt werden diese zeitweise von Kari Ravnan, der mit seinem Cello besonders bei „Fastball“ durch seine Virtuosität überzeugt und dem Klarinettisten Morten Michelsen, der dem Klangspektrum des Albums einen Hauch von Orientalik verleiht. Das Album überzeugt jedoch nicht nur durch die schönen Kompositionen, sondern auch durch seine hervorragende Klangqualität, die auch feinste Nuancen wahrnehmen lässt und durch das herausragende Zusammenspiel der sechs Akteure.
Charlotte Schick

Hal Galper
Now hear this

ENJA 2102 2
mit Terumasa Hino (tp), Cecil McBee (b), Tony Williams (dr)
rec. 15.2.77

Hal Galper
Ivory For/est

ENJA 2106 2
mit John Scofield (g), Wayne Dockery (b), Adam Nussbaum (dr)
rec. 31.10. bis 1.11.79

Zwei weitere CDs aus der 24bit-master-Edition von Enja. Auf der ersten bilden Bass und Schlagzeug ein sehr starkes, ungemein swingendes Rhythmusteam; allerdings dominiert das Schlagzeug in den schnellen Titeln manchmal so sehr, dass Trompete und Klavier in der Entwicklung ihrer Ideen gehindert werden (so scheint es jedenfalls). Trotzdem die Höchstbewertung – nicht zuletzt auch wegen des Optimismus, den diese Musik ausstrahlt (wo sind heute die jungen Gruppen, die so spielen?).
Auf der zweiten Scheibe geht es ruhiger zu, aber dafür passiert mehr „zwischen den Zeilen“. Hal Galpers Stücke (vier von insgesamt sechs) haben Struktur und regen die Fantasie beim Improvisieren (und beim Hören!) an – wie es immer sein sollte, aber leider ist nicht jeder gute Musiker auch ein guter Themenkomponist. Höhepunkt der CD ist allerdings John Scofields Solofassung von ,,Monk‘s Mood“.
Der Sound ist bei beiden CDs hervorragend.
Joe Viera

Bartsch&Band
Wer weiß schon wie

Dunefisch/Edel

Wo findet sich eine Heimat für deutsche Songs, jenseits von Superstar, Volkstümelei und Schlager? Das fragt sich der Hallenser Liedermacher Paul Bartsch, dem die Sprache der Dichter und Denker ebenso am Herzen liegt wie anspruchsvolle Musik. Und Spaß haben will er außerdem! Da werden sich die Gralshüter und Puristen mal wieder fragen, ob denn echter Jazz so eingängig und witzig sein darf. Aber Paul Bartsch ist es inzwischen egal, wie man seinen Stil nennt. Schließlich ist er, in wechselnden Formationen, seit 1981 mit seinen Songs unterwegs. Bartsch&Band existiert seit 2002. Für den Jazz-Touch dieses Quintetts sind insbesondere der Keyboarder Sander Lueken und Ralf Schneider am Schlagzeug zuständig. Das nunmehr dritte Album von Bartsch&Band heißt „Wer weiß schon wie“. Wieder einmal arbeitet sich Paul Bartsch an jenen Ecken und Kanten ab, die ihn im Gesellschaftlichen ebenso wie im Privaten stören. Dabei modernisiert der Sänger Goethes alte Ballade vom Zauberlehrling ebenso wie den Hit der FDJ-Singebewegung „Wir sind jung, die Welt ist offen“. Musikalisch geht es eingängig und gleichzeitig äußerst facettenreich zu. Solide, handgemachte Jazz- und Rockklänge bilden die Basis. Einsprengsel von Folk, Reggae, Chanson, Blues und Samba sorgen für Abwechslung und die zuweilen angestrebte ironische Distanz zum Text. Gelegentlich wird das Stammquintett durch Farbtupfer von Saxophon, Querflöte, Schalmei oder Geige erweitert. Musikgenuss mit Witz und Anspruch – selten wird diese Balance so gut gemeistert.
Antje Rößler

Gianluca Petrella/Indigo 4
Kaleido

Blue Note

Selten klang so weit auseinander Liegendes so organisch zusammen: Der aus Bari stammende Gianluca Petrella, tb, mixt alt und neu, Oldtime und electronics, Tradition und psychedelics, volksmusikalische Splitter, Jazzballade und weit geschwungene Improvisation, Ener­gie, Spontaneität und freien Ausdruck in einem stets überraschenden Soundpuzzle zu einem musikalischen Kaleidoskop zusammen, dessen Farben nur so schillern. Groove und Raffinesse prägen den Unterhaltungswert eines im besten Sinne wahrlich abwechslungsreichen Albums.
Nicht von ungefähr gewann Gianluca Petrella nach der Anerkennung als bester italienischer Jazzmusiker 2005 in beiden Folgejahren den Down Beat Critics Poll als bester Nachwuchsposaunist. Solchermaßen hoch geehrt und in vielen Jahren weit gereist präsentiert er sich frisch und knackig, technisch on top mit markigen Soli und spannenden Arrangements, die vom straighten Unisono bis zum freien Fall ins Kreative mit so ziemlich allem aufwarten, was der geneigte Hörer nur erwarten kann. Mit dabei beim Farbenschütteln: Francesco Bearzatti, ts, cl, Paolino Dalla Porta, b, Fabio Accardi, dr, perc, und die special guests John De Leo, voc, Steven Bernstein, tp, slide tp, Michelle Papadia, Hammond B3, Wurlitzer, sowie Simone Padovani, perc. In 15 Schüttelgängen entsteht aus bunten Zutaten mitnichten ein Konglomerat, sondern immer folgerichtig und belebend ein wirkliches „kal’eidolon“, „schönes Bild“.
Tobias Böcker

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