Anzeige

Startseite der Jazzzeitung

Anzeige

Startseite der JazzzeitungZum Archiv der Jazzzeitung (Datenbanken und pdf)Zur Rezensionsdatenbank der JazzzeitungZur Link-Datenbank der JazzzeitungClubs & Initiativen Die Jazzzeitung abonnierenWie kann ich Kontakt zur Jazzzeitung aufnehmen
 

Jazzzeitung

2008/04  ::: seite 3

berichte

 

Inhalt 2008/04

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig / Die Abenteuer des Werner Steinmälzl, Teil 4 / Cat Anderson / Zum Tod von Esbjörn Svensson


TITEL - Generation Swing
Hugo Strasser ist Preisträger der German Jazz Trophy 2008


DOSSIER
- Erst das Fressen, dann der Jazz
Stipendien und Fördermaßnahmen in Deutschland

Berichte
Jazz an der Donau 2008 // Pat Metheny im Juli in der Oper Halle // Jazzsommer 2008 im Bayerischen Hof // Till Brönner und Band bei den Regensburger Schlossfestspielen 2008 // 26. Südtirol Jazzfestival Alto Adige // Preview: International Stride Piano Summit am 31. Oktober im Münchner Amerika Haus


Portraits

Torsten Goods // Niels Klein und seine Arbeit mit dem European Youth Jazz Orchestra // David Sanborn mit neuem Album und im Interview


Jazz heute und Education
Die Politikerin Monika Griefahn im Interview // Wolfram Knauer über seine Zeit an der New Yorker Columbia University // Johnny Griffins Solo über „The Boy Next Door“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Klänge über dem Weinberg

Das 26. Südtirol Jazzfestival Alto Adige mit neuem Konzept

Aus den Lauben kommend, stößt man auf die Bozener Wassermauerpromenade und muss diese bis zum Ende bergauf gehen. Dann darf man nicht denselben Fehler machen wie der Autor und nach links abbiegen, sonst wird der Besuch eines Jazzkonzerts zur Bergtour wider Willen. Also rechts den Berg hinauf, Richtung Castel Roncolo und nach fünf Minuten kann man sich auf sein Gehör verlassen und den Klängen von Klarinette, Posaune und Akkordeon nachgehen, die über die steilen Weinberge wehen. Mauro Ottolini, Fausto Beccalossi und Daniele D’Agaro sitzen vor ein paar Weinfässern und verzaubern ein kleines Publikum, das sich aus eben diesen Fässern mit einem roten Lagrein Riserva ausgerüstet hat, mit modernem, mitreißenden Jazz. Charlie Haden, Don Cherry und Duke Ellington heißen die Komponisten, deren Musik das Trio adaptiert und virtuos zelebriert.

Birelli Lagrene

Bild vergrößernBirelli Lagrene

Außergewöhnliche Spielorte und verrückte Locations sind das Erkennungsmerkmal des 26. Südtirol Jazzfestival Alto Adige. Gleichgesinnte durchqueren das Gartenlabyrinth im Kränzelhof und finden sich in einem kleinen grasbewachsenen Amphitheater wieder, wo Paolo Angeli und Hamid Drake im Duo spielen. Sie fahren mit der Kohlerer Seilbahn, der ältesten Personenseilbahn der Welt 800 Meter über Bozen hinauf, um dort einem inspirierten Konzert des Giovanni Guidi Quartetts zuzuhören. Wie die Rattenfänger von Hameln zieht die portugiesische Street Marching Band Farra Fanfarra durchs historische Zentrum von Bozen, im Schlepptau Kinder, Mütter, Passanten und alle, die temperamentvollen Jazz und Clownerei lieben. In der Fertigungshalle Prinoth in Sterzing, wo sonst Seilbahnen und Gondeln hergestellt werden, versammeln sich Angestellte und Mitarbeiter der Firma in Abendkleid und Anzug, um einem eigens für das Festival zusammengestellten Quartett um die Sängerin Silvana Deluigi zuzuhören.

Das Südtirol Festival gehört seit einem Vierteljahrhundert zu den ersten Adressen unter den europäischen Festivals, nur keiner wusste es. Zumindest nicht „draußen“ in Deutschland und Österreich. Draußen sagen die Südtiroler zu den Regionen außerhalb ihrer engen Täler. Drinnen im Alto Adige haben die Jazzer jetzt den Kulturtourismus entdeckt und bringen ihre Musik in einen Austausch mit neuen Partnern, mit Gourmet-Köchen, mit Weinbauern, mit anderen Kultureinrichtungen der Region und auch mit unterschiedlichen Kulturen, wie etwa der Subkultur der Rapper. Kommerz zu diesem neuen Konzept zu sagen, wäre zu kurz gegriffen, denn das Erfreuliche an der neuen Ausrichtung ist, dass qualitätsvoller Jazz als Hauptbestandteil erhalten bleibt. Er wird nur in anderen Zusammenhängen präsentiert. Kommerzielles wie es andere Festivals bieten, die nur dem Namen nach noch Jazzfestivals sind, sucht man in Bozen und Südtirol vergebens. Ein Konzept, das durchaus mit Risiko behaftet ist, denn noch waren nicht alle Konzerte gut besucht.

Festivalchef Klaus Widmann hatte dieses Jahr seinen Freund Biréli Lagrène mit dem Eröffnungsprogramm auf Schloss Sigmundskron betraut. Unter dem Titel „A Night with Bireli Lagrene & Friends“ konzipierte der französische Gitarrist einen Abend mit verschiedenen Besetzungen. Er begann mit einem akustischen Ensemble, war dann Stargast der örtlichen Big Band, dem New Project Orchestra, und beschloss die lange Nacht mit der Elektroband „The Game Boyz“ und dem jungen französischen E-Bassisten Hadrien Feraud. Ein Oper Air Konzert, das trotz schlechter Witterung nicht ins Wasser fiel, weil Lagrène in allen Besetzungen, und trotz unterschiedlicher Qualität seiner Mitspieler immer überzeugte. Schneller, schöner, swingender spielt keiner.

Ebenfalls ein gelungenes Starkonzert war die Hommage an den Dichter und Chanson-Sänger Léo Ferré (1916–1993). Den Abend nach einer Idee des Pianisten Roberto Cipelli gestalteten der italienische Cantautore Gianmaria Testa sowie der Trompeter Paolo Fresu und Cipellis Trio mit Philippe Garcia, Schlagzeug, und Attilio Zanchi, Bass. Die musikalisch-literarische Soirée lebte von der authentischen Begegnung zwischen virtuosem Jazz und authentischem Chanson – Testa stellte sich mit mutigen Gitarrenakkorden unerschrocken den jazzenden Kollegen, diese wiederum ließen sich von der Poesie seiner mit rauchiger Stimme vorgetragen Texte inspirieren. Ein Abend, dem man nur wünschen kann, dass er auch den Weg über die Alpen in die nördlichern Konzertsäle und Theater findet. Das Gleiche kann man dem Trio des Posaunisten Ottilini wünschen: In seinem Trio verdichtet er in einer ganz modernen und trotzdem unterhaltsamen Sprache Jazzgeschichte in Musik für Zeitgenossen.

Unter der in Bozen naheliegenden Kategorie Jazz on the Mountains war etwa das Giovanni Guidi 4tet auf dem Uhlhof an der Kohlerer Seilbahn mit modernem Jazz in amerikanischer Tradition zu Gast. Das Festival feierte so den 100. Geburtstag der ältesten Schwebeseilbahn der Welt, und an diesem wie an ähnlichen Konzerten am Berg war zu beobachten, wie neugieriges Publikum sich offen mit der für sie ungewohnten Jazzmusik auseinandersetzte. Das Bozener Spielstättenkonzept ist eine Form des audience development, die Schule machen sollte.

Improvisierte Musik ist immer Wagnis, und so konnte auch beim Südtiroler Jazzfestival nicht alles aufgehen. Etwa Silvana Deluigis Projekt „Yo“: Großartige Solisten wie Jean Louis Matinier oder Renaud Garcia Fons garantieren nicht automatisch große Musik – zu sehr zusammengewürfelt wirkte diese Formation. Auch Ausflüge in die Welt der Oper, wie der Klavierabend „Puccini in Jazz“ von Riccardo Arrighini, klangen in Jazzer-Ohren doch recht skurril. Dem Publikum gefiel es dennoch. Schöne Orte, herausfordernder Jazz – das Jazzfestival Südtirol hat einen neuen Weg beschritten, den es sich mitzugehen lohnt.

Andreas Kolb

| home | aktuell | archiv | links | rezensionen | abonnement | kontakt | impressum
© alle texte sind urheberrechtlich geschützt / alle rechte vorbehalten / Technik: Martin Hufner