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Die linke Hand springt in rasendem Tempo zwischen Grundton und darüberliegendem Akkord hin und her, die rechte zaubert dazu mit aller melodischen Freiheit – der „Harlem Stride“ ist wohl der virtuoseste klassische Jazz-Klavierstil. Wenn ihn Meister wie James P. Johnson, Willie „The Lion” Smith oder Fats Waller in Perfektion zelebrierten, ersetzte das eine ganze Band. Kein Wunder, dass die Faszination beim Publikum ungebrochen ist. Doch nur noch eine kleine, über die ganze Welt verstreute Pianistengemeinde beherrscht den Stride auf dem Niveau der alten Legenden. Für Fans ist es also fast ein Muss, wenn einige der Besten zum „International Stride Piano Summit“ zusammenkommen, den der Münchner Lokalmatador Bernd Lhotzky organisiert. Sinnigerweise findet das Münchner Gipfeltreffen am 31. Oktober (20 Uhr, Tel.089/54 81 81 81) diesmal erstmals im Amerika Haus am Karolinenplatz statt. Beim „Virtuosen Klassischen Jazz-Piano mit 4 Pianisten an 2 Flügeln“ treffen Lhotzky und sein langjähriger Wegbegleiter („Echoes of Swing“), der in Bochum lebende deutsch-amerikanische Pianist und Saxophonist Chris Hopkins, auf zwei europäische Könner, die natürlich auch schon lange zu ihrem Freundeskreis gehören. Da ist einmal Louis Mazetier. Der Pariser ist kein Tempobolzer, sein Spiel lebt von einer extensiven Arbeit mit Pausen und Verzögerungen, mit vertrackten Synkopen und ungewöhnlichen Phrasierungen. Freche und humorvolle Stücke liegen ihm deswegen besonders, also alles vom Ragtime über Jelly Roll Morton und Fats Waller bis hin zu Art Tatum, dessen buchstäblicher Spielwitz bis heute gerne übersehen wird. Vierter im Bunde ist schließlich der mit 33 Jahren zu den Jungen der Szene gehörende Italiener Rossano Sportiello, von Kollegen wie Fans gerne „Das Wunder von Mailand“ genannt. Sportiellos Credo lautet: „Mehr als alles andere will ich, dass die Leute lachen und Spaß haben”. Das schafft er einmal dank seiner technischen Brillanz: Die Präzision seines Idols Ralph Sutton findet sich bei ihm, die Leichtigkeit eines Teddy Wilson, das Tempo eines Fats Waller, aber auch die moderneren, bis hin zum Modalen reichenden Spielweisen eines Bud Powell, Tommy Flanagan oder seines Lehrers und Mentors Barry Harris, einem ausgesprochenen Bebop-Pianisten. Wenn das alles in der Summe trotzdem Sportiello pur ergibt, dann liegt das an seiner überbordenden Lust am Improvisieren. Der inzwischen in New York lebende Italiener ist nicht nur im traditionellen Jazzbereich einer der derzeit besten „instant composers”, mit Vorsatz tritt Sportiello „unvorbereitet” an den Flügel. Dort hat dann der gedankenschnelle Mix nach dem Motto „great melodies are great melodies” Methode: Mal verarbeitet er Volkslieder samt Puccinis „Turandot” zu fein gesponnener Tastenlyrik, mal kreuzt er eine Scarlatti-Sonate eindrucksvoll mit Irving Berlins „How Deep Is The Ocean”, selbst noch Chopin liefert ihm Material für wilde Stride-Eskapaden. Höhepunkt dieser Improvisations-Show ist, wenn sich Sportiello vom Publikum fünf Noten aufschreiben lässt, aus dessen Tonarten er ein Stück kreiert: Immer wieder verblüffend, wie traumwandlerisch er da aus dem Nichts einen Standard produziert. Nicht erst beim traditionellen großen Finale, wenn sich alle vier abwechselnd die Bälle zuwerfen, wird sich wieder zeigen, dass beim Stride Piano Summit alles andere als gegenwartsferne Nostalgiker am Werk sind. Fast schon wütend betonen Lhotzky, Hopkins und die anderen immer wieder, wie lebendig und zeitgemäß ihre Musik sei. Anders als in der Klassik gibt es hier kein Dogma der werktreuen Interpretation, die „demokratische” Hochmusik des 20. Jahrhunderts ist entgegen der allgemeinen Ansicht nicht ausgereizt, lädt zur Einverleibung, zur steten Veränderung und zur Erweiterung ein. Was zum Beispiel Sportiellos improvisatorische Parforceritte bestens beweisen, oder Mazetiers zugleich respektvolle wie frech in rhythmisches und harmonisches Neuland ausschreitende Eigenkompositionen. Oliver Hochkeppel |
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