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Jazz ist, in mancher Hinsicht, Amerikas Geschenk an die Welt. Überhaupt ist amerikanische Musik eine starke Kraft in der internationalen Entwicklung. Sie wird eines Tages als einer unserer wichtigsten Beiträge zur Weltkultur wahrgenommen werden. Die Ironie bei der Sache ist andererseits, dass kaum ein Jazzmusiker von seiner Musik in Amerika leben kann. Sie müssen woanders hingehen, um zu überleben. Gründe dafür gibt es viele, der Prophet im eigenen Lande, die Musik sei zu anspruchsvoll, es gibt Tausende von Theorien. Seit Jazz aufgehört hat, Tanzmusik zu sein, die Tanzpaläste mit den Konzertsälen getauscht hat, hat er seinen Reiz für die Masse verloren. Das ist vielleicht auch ein Grund für die vielen Bestrebungen heute, an diese Vergangenheit wieder anzuknüpfen, um wieder mit dem verbunden zu sein, was einmal war, Tanz, Party und so weiter... Der Journalist ist zu früh, David Sanborn steht noch unter der
Dusche. Ein Tee wird gereicht, zur Überbrückung der Wartezeit.
Langweilig wird es eh nicht. Der Salon des Hauses im Londoner Stadtteil
Notting Hill ist vollgepackt mit einer wilden Mischung aus Bildern und
Statuen, Kunsthandwerklichem und Instrumenten. „Das war der Arbeitsraum
von Michael Kamen“, meint Sanborn später, „Sie kennen
ihn vielleicht von einigen seiner Filmmusiken, ‚Stirb langsam‘ zum
Beispiel. Er war ein guter Freund von mir und wenn ich in London bin,
habe ich das Glück, hier in seinem Haus wohnen zu dürfen.“ Spricht‘s
und blitzt hinter seiner Sonnenbrille hervor. Als Musiker wie Michael Brecker oder ich groß wurden, gab es für Instrumentalisten viele Möglichkeiten, aufzunehmen und live zu spielen. Es war eine Atmosphäre, die uns ermutigt hat, hie und da auch mal zu experimentieren, Verschiedenes zu kombinieren und zu sehen, was dabei herauskommt. Ich spreche jetzt von den Sechzigern und Siebzigern. Damals war auch das Publikum nicht so daran interessiert, genau das zu hören, was man schon auf der Platte gespielt hat. Viele kamen, um Neues zu erleben im Unterschied zu heute. Da geht es eher darum zu spielen, was das Publikum schon kennt. Für mich ist das die Antithese zu dem, was Musik eigentlich sein sollte, nämlich Überraschung. Für Musiker also, die von ihrer Kunst leben wollen, ist der Druck inzwischen wesentlich größer, das zu reproduzieren, was bereits gemacht wurde. Es gibt nur noch selten eine Stimmung, die Leute dazu ermutigt, anderes zu versuchen. David Sanborn beklagt sich nicht. Er hat auch keinen Grund dazu, denn für ihn lief es ein Leben lang ganz gut. Von dem Tag an, als die Mutter dem etwas dünnbrüstigen Knaben auf Geheiß eines Doktors ein Saxophon zur Stärkung der Lungen in die Hand drückte, bis zur Gegenwart, wo der inzwischen 63-jährige alte Hase auf seine Karriere zurückblickt, gibt es kaum Momente, die ihn wirklich an seinen künstlerischen Fähigkeiten haben zweifeln lassen: „Es ist eine Frage des Glücks und der Bestimmung. Ich glaube, wenn man wirklich liebt, was man tut, bleibt einem immer etwas über das Leben hinweg, das einen bei der Stange hält. Fokussiert man sich auf den Erfolg, wird man enttäuscht. Es gibt so viel Auf und Nieder in einem Musikerleben, ich habe die Phasen auch erlebt, wo ich für lange Zeit keine Arbeit hatte. Mich hat da immer die Liebe zur Musik motiviert und die Tatsache, dass ich einfach ungeeignet war, irgend etwas anderes zu machen.“ Vorsichtiges Taxieren des Gegenübers, ob es den Anflug von Ironie verstanden hat. David Sanborn ist ein Filou, groß geworden in einer Ära, die vieles erlaubt hat, wenn man sich traute, sozialisiert im Umfeld der Stadt seiner Jugend St. Louis und dem Rhythm & Blues der Bands von Hank Crawford bis Paul Butterfield, in denen er seine Lehrjahre über spielte. Und an die er sich jetzt mit „Here And Gone“ musikalisch erinnert. Ich war dabei, Musik auf meinen iPod zu schaufeln, von CD und anderen alten Aufnahmen. Dabei habe ich Sachen gefunden, die ich schon beinahe vergessen hatte. Stücke von Hank Crawford etwa. Ich habe sie immer wieder angehört und festgestellt: Das ist tatsächlich der Sound, mit dem es auch für mich losging. Ich war sofort wieder in die Essenz dieser Musik verliebt, die weder Jazz, noch Soul, noch Gospel oder Rhythm‘n‘Blues war, sondern alles auf einmal. Es ist diese Art, die Elemente zu verbinden, die amerikanische Musik ausmacht. Das hat einfach viele inspiriert und ich fühlte mich in diesen Geist zurückversetzt. Dabei geht es jetzt nicht nur um Hank Crawford, sondern um die Einstellung, die Offenheit, Sensibilität ermöglichte. Wieder half es, viele Freunde zu haben. Denn auf diese Weise musste Sanborn nur zum Telefon und Terminplaner greifen, um sein Dream Team zusammenzustellen: „Die Rhythm Section ist die gleiche wie auf früheren Alben. Mit Christian McBride und Russell Malone arbeite ich häufig und Steve Gadd, den kenne ich eigentlich schon immer. Gil Goldstein war mit mir zusammen bei Gil Evans. Howard Johnson gehört zu meinen ältesten Freunden, Lou Marini kenne ich aus Teenager-Tagen. Es ging wirklich darum, Leute um mich zu haben, mit denen ich eine ‚Vibe‘ kreieren konnte.“ Hinzu kamen noch die Gäste, Derek Trucks und Eric Clapton, Joss Stone und Sam Moore, die die überwiegend nostalgischen Songs ohne Sentimentalität reaktivierten. Der Kern ist, die richtige Person für das richtige Stück zu finden. Das ähnelt dem Casting für einen Film. Jemand wie Derek Trucks etwa hat unglaublich weite Interessen. Unlängst haben wir lange über Sun Ra gesprochen. Oder vor kurzem hat er mit McCoy Tyner aufgenommen. Jemand wie er oder Eric Clapton sind Fährtensucher. Sie forschen ständig, gehen raus, wollen lernen, besser werden. Es sind Schüler der Musik. Und das macht ihren Charakter aus. Joss Stone ist ähnlich. Eine junge Frau aus England, die mit so viel Reife singt. Sie hat auf der Platte einen Song ausgewählt, der für einen Mann geschrieben war, ihn komplett umgedeutet und zu dem ihren gemacht. Und Sam Moore? Er ist der Pavarotti des Blues, hat diese unglaubliche, seelenvolle Stimme ... David Sanborn hat noch einen Termin. Das Telefon wartet, ein deutscher Journalist hat das mit dem Zeitunterschied nicht bedacht und muss dazwischen geschoben werden. Der Mann mit der Sonnenbrille wird dann einiges noch einmal erzählen, ohne dass sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung das Gefühl hat, einer unter vielen zu sein. Denn Sanborn ist Profi, im positiven Sinne, er liebt, was er macht, einschließlich der Promo, die dazugehört. Das hört man seiner Musik an, die mit „Here And Gone“ keine Mauern niederreißt, aber schöne, swingende, bluesige Geschichten erzählt. Ralf Dombrowski
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