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Background: Im August 1959, auf einer ersten Woge des Erfolges, hatte sich der Tenorsaxophonist Sonny Rollins auf unbestimmte Zeit von der Jazzszene mit ihrer geschäftigen Hektik verabschiedet und alles, was sein Berufsleben in den letzten Jahren ausmachte, hinter sich gelassen: Auftritte in Klubs, Plattenaufnahmen, Tourneen, Interviews … Mit seiner zweiten Frau Lucille bezog er ein kleines Apartment ohne Telefon in der Lower East Side Manhattans. Rollins begab sich auf eine Suche – nach sich selbst, nach einer eigenen Sprache auf dem Saxophon, nach innerer Ruhe. Sich nach einem geeigneten Ort für seine täglichen Übungsstunden umsehend, entdeckte er die nahegelegene Williamsburgh Bridge, die Manhattan und Brooklyn verbindet. Dort, auf deren Gehsteig, über dem Autoverkehr, hoch über dem East River, soll der einsame Wanderer gelegentlich einem anderen Solitär, dem Sopransaxophonisten Steve Lacy, begegnet sein.
Sonny Rollins: Hi Steve, hab dich vermisst, warst seit vier Wochen nicht mehr hier oben. Steve Lacy: Ich habe jetzt ein Quartett mit Dennis Charles und Roswell Rudd, wenig Gigs, aber wir können bis ans Ende der Welt spielen. Es gibt so viel zu spielen, Sonny, ich meine Musik, nicht Gigs. Rollins: Diese Brücke ist wie das Dach der Welt. Dabei misst sie nur 1.600 Fuß. Weißt du, was das Schönste ist: Wenn du hier im Nebel entlanggehst, hast du den Eindruck, die Brücke führt immer weiter, endlos, irgendwohin. Zu einem Ziel, das sich nicht benennen lässt oder zu keinem Ziel. Lacy: Wir spielen jetzt nur noch Kompositionen von Monk. Das Zeug ist wahnsinnig. Vertrackt und logisch, und voller Geheimnisse. Rollins: Ich weiß. Ich war mit Monk im Studio, an einem Freitag, den dreizehn. Da hab ich das Fliegen gelernt. Kam mir vor wie Ikarus unter den Schwingen des Dädalus. Nur nicht der Sonne zu nahe kommen. Friday, the 13th. Lacy: Die Old-Time-Typen, mit denen ich in meiner Jugend gejammt habe, wussten es immer mit einem einfachen Spruch zu sagen: Let’s play, man. Rollins: That’s it. Und weitergehen und dir selbst treu bleiben. Was bedeutet es, auf dem Cover eines Jazzmagazins zu erscheinen? Sie haben mich gefeiert und einen „Saxophone Colossus“ genannt. Aber ich weiß genau, wie man „Without A Song“ oder „Why Was I Born?“ spielen muss; und ich weiß auch, dass ich davon meilenweit entfernt bin. Vielleicht werde ich am Ende meines Lebens nicht einmal annähernd so spielen können, wie ich es mir vorstelle. Lacy: Du glaubst an ein langes Leben, Sonny? Rollins: Nun, ich arbeite daran. Das Spielen hier oben ist gut für die Lungen. Und du musst laut spielen, sehr laut, um all das Getöse von unten, das Hupen der Autos und der Schiffe zu übertönen. Lacy: Du warst auf Drogen? Rollins: Ja, wie Miles. Parker hat mir ins Gewissen geredet und gesagt, dass das alles nichts bringt. Kein Mensch spielt besser mit diesem Zeug. Ich bin nach Chicago gegangen, um davon loszukommen, habe tagsüber als Hausmeister gearbeitet und nachts geübt, Lastwagen beladen und so etwas. Lacy: Einsame Jobs. Und wen triffst du hier auf dem Weg, wer ist dein Freund? Rollins: Die Möwen, der Wind. Lacy: Und was ist, wenn es stürmt und dir nur noch Wasser entgegenkommt? Rollins: Da müssen wir durch, Lacy, da müssen wir durch. Lacy: Schon seltsam, dass wir auch in der Musik von Bridge sprechen. Der B-Teil, die Freiheit, die Entgegensetzung, die Kür, die Invention. Rollins: Wusstest du, dass Cecil Taylor Bücher über Brücken sammelt? Lacy: Er war es, der mich einst gefragt hat, warum ich als ein so junger Mann eine so alte Musik wie Dixieland spiele. Es gibt Fragen, die mehr in Gang setzen als Antworten. Rollins: Du gibst Solokonzerte? Lacy: Ich spiele solo. Wenn du so willst, sind wir beide Solisten. Rollins: Würde gern in einem Garten spielen, wandelnd zwischen Plastiken, die Musik selbst zur Skulptur werden und sie dann in der nächtlichen Stille verschwinden lassend. Aber irgendwann, glaube ich, brauche ich auch wieder eine Band. Lacy: Weißt du, was ich immer sage, wenn wir im Quartett spielen? Let’s lift the bandstand. Rollins: Ja, und das mit einem dieser Killer an den
Drums oder mit einem Gitarristen, dem man nichts mehr zu erklären
braucht. Rollins: Nein, ich muss. Ich habe Zahnprobleme und fürchte, den Dentisten nicht bezahlen zu können. Lacy: Ist es die Realität, die dich einholt? Oder brauchst du diese Wirklichkeit, um ihr deinen Ton einzuhauchen? Rollins: Es ist viel simpler, Steve. Das Spielen auf
dem Saxophon, ich muss es wie du jeden Tag neu erfinden. Nachsatz: 27 Monate nach seinem rätselhaften Verschwinden, tauchte
Sonny Rollins wieder der Jazzszene auf. Er ging daran, eine neue Platte
aufzunehmen. Bert Noglik Im Hörfunk
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