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Jazzzeitung

2006/12  ::: seite 18-19

Erroll Garner

 

Inhalt 2006/12

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
jäzzle g’macht: Die Blechtrommeln des Jazz
jazzfrauen: Francesca Tanksley
Farewell: Thomas Stöwsand


TITEL

Die Klangaufspürer
Quadro Nuevo feiert zehnjähriges Bestehen mit großer Tour


DOSSIER
- Erroll Garner
Ernst Burger im Gespräch über seine Erroll-Garner-Biografie
Anlässlich des 50. Todestags von Art Tatum · Auszug aus Ernst Burgers Garner-Buch


BERICHTE
/ PREVIEW
Jazzfest Berlin 2006 || Al Porcino und sein Orchester im Audi Forum || 17. Jazzfest München || Keith Jarretts erster von zwei Solo-Abenden in der Salle Pleyel, Paris
Kurz, aber wichtig: „München swingt“-Gala || Das neue naTo-Festival || Musik fürs Auge


 PORTRAIT / INTERVIEW
Sonny Rollins meets Steve Lacy || Gebhard Ullmann und seine Projekte || Septett „Windstärke 4“ von Mathias Götz || Der Mann hinter Roger Cicero: Keyboarder Lutz Krajenski

 JAZZ HEUTE
Ein Jazz-Schaufenster
In Stuttgart eröffnet der Jazzclub „Bix“


 PLAY BACK / MEDIEN

CD.
Critics Choice
CD.
CD-Rezensionen 2006/12
CD. Scheffners Liste
Bücher: Claire Gordon:My Unforgetable Jazz Friends - Luke Miner: Paris Jazz


 EDUCATION
Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 46. Red Mitchell mit einem Pizzicato-Solo über „Jim‘s Blues“
Jazzpreis für Rabus
„Jugend jazzt“ Landeswettbewerb Bayern 2006
Refugium der Popularmusik
10 Jahre Music College Regensburg

Alles von Anfang an DA

Ernst Burger im Gespräch über seine Erroll-Garner-Biografie

Seine materialreichen, luxuriös ausgestatteten Bände über Liszt, Chopin und Schumann genießen unter Musikfreunden und Liebhabern guter Bücher beinahe schon Kultstatus. Nun hat der Münchener Pianist und Autor Ernst Burger in einem ähnlich aufwändigen Band dem populärsten Jazzpianisten seiner Generation, Erroll Garner, ein Denkmal gesetzt. Andreas Kolb sprach mit Ernst Burger über Garner, über das Sammeln und das Büchermachen.

Der Autor Ernst Burger (rechts), hier mit Dick Hyman, im Oktober in München. Foto: Felix Burger

Bild vergrößernDer Autor Ernst Burger (rechts), hier mit Dick Hyman, im Oktober in München. Foto: Felix Burger

Jazzzeitung: Herr Burger, Sie sind Pianist und Autor und in gewisser Weise auch Sammler und Archivar. Wie sind Sie zum Garner-Biografen geworden?
Ernst Burger: Mein erstes Buch galt Franz Liszt und da waren die Beweggründe eigentlich die gleichen wie bei Erroll Garner. Liszt wird immer ungerecht behandelt, wird verurteilt und wird falsch eingeschätzt, von Leuten, die sich eigentlich kaum mit ihm befassen. Das war die Motivation, das Liszt-Buch zu machen. Eigentlich trifft das auch auf Erroll Garner zu. Garner war ein unglaublich begabter Musiker, er wurde auch von seinen Kollegen und sogar von seinen Konkurrenten wie Peterson, Monk, Shearing, Brubeck hoch geschätzt, und heute ist er fast vergessen. Die ältere Generation kennt ihn natürlich noch, die jungen Leute aber kennen seinen Namen nicht mehr, und dies, obwohl Garner zum Beispiel von Dan Morgenstern als der erfolgreichste Jazzmusiker seiner Generation bezeichnet wird.

Jazzzeitung: Erfolgreich in welcher Beziehung?
Burger: Er war der populärste und auch kommerziell erfolgreichste Jazzmusiker, was seine Platten, seine Konzerte anbelangt. Wie Sie wissen, kommt der Erfolg nicht von ungefähr. Diese Geschichte, dass jemand wenig kann und trotzdem großen Erfolg hat, die gibt es vielleicht manchmal in der Schlager- oder Popwelt, aber in dem Moment, in dem man ein Instrument spielt und diese Ansprüche in Jazz oder in der Klassik umsetzt, kann man sagen: Von nichts kommt nichts.

Jazzzeitung: Sie kennen sowohl Garner als auch Chopin, Schumann und Liszt nicht nur aus der Theorie, denn Sie sind Pianist. Welche Rolle spielt das für Ihre Arbeit als Autor?
Burger: Ich komme vom Klavier her und da ist es natürlich nahe liegend, dass man sich mit Klavierkomponisten beschäftigt. Und wenn man die Musik dieser Komponisten oft spielt, dann interessiert man sich natürlich für ihr Leben und für deren ganze Epoche. Dann sprachen Sie meine Tätigkeit als Sammler an. Ich bin kein Sammler, der sammelt, um Dinge zu besitzen, sondern der Impuls zu sammeln kam daher, dass ich diese Sachen im Buch abbilden wollte.

Jazzzeitung: Den größten Teil Ihrer Liszt-Sammlung haben Sie in ein Museum in Bayreuth eingebracht. Gibt es das ähnlich vielleicht bald zu Erroll Garner?
Burger: (lacht) Was soll man schon bei Garner sammeln oder ausstellen! Mit Sicherheit hat Garner außer Autogrammen kaum jemals Briefe geschrieben. Das hat alles seine Managerin gemacht. Er war auch nicht sehr eloquent. Und da Garner keine Noten kannte, keine Noten schreiben konnte, gibt es auch keine Autographe. Es gibt natürlich Fotos von ihm, aber diese Fotos sind ja nicht alt. Was man bei Garner sammeln könnte, wären die alten Schallplatten aus den 40er-Jahren. Die sind sicher rar.

Jazzzeitung: Dem Buch ist eine CD beigelegt, die mit Sicherheit den Wert eines historischen Dokuments hat.
Burger: Aus der Zeit von 1946 bis 1955 habe ich 18 Aufnahmen ausgewählt. Manfred Scheffner hat dann aus meiner Liste die CD gemacht. Es ist ja so, nicht alles, was die Jazzpianisten gespielt haben, muss man unbedingt hören. Und auch Garner hat oft im Stil eines Cocktail-Pianisten gespielt … Aber manche Stücke sind eben toll, wie die aus der ersten Epoche, in der er noch überwiegend Stride-Piano spielte, bis zu „Concert by the sea“, dieser fast schon legendären Aufnahme von 1955.

Jazzzeitung: Was zeichnet Garners Spiel aus, was fasziniert so an ihm?
Burger: Es ist zunächst zu sagen, dass Garner ein großer Melodiker war. Er hat immer schön gespielt, sein Spiel ist immer melodiös. Das ist der eigentliche Grund, weshalb er so beliebt war, auch bei einem Publikum, das sich sonst nicht so für Jazz interessiert hat: Die schönen Melodien, seine melodiösen Chorusse. Dann gehört zu den besonderen Merkmalen seine linke Hand, die er immer als Rhythmusinstrument gebraucht, das ist fast seine Erfindung. Zudem dieses merkwürdige Rubato, das es im Piano-Jazz nur bei Garner gibt: Die rechte Hand spielt selten mit der linken genau zusammen, was eine unglaubliche Spannung erzeugt. Die rechte Hand hängt sozusagen hinterher und komischerweise macht das den ganzen Beat noch spannender, weil die linke Hand eisern im Takt bleibt. Außerdem die Akzente, die Garner immer während des Spiels setzt, meistens mit der linken Hand, nach vier oder acht Takten. Das kann man ungefähr mit einem Schlagzeuger vergleichen, der mittendrin einen besonderen Schlag macht. Ein weiteres Garner-Kennzeichen sind seine Einleitungen, die ganz unterschiedlich sind. Manchmal haben sie mit dem Stück, das anschließend kommt, überhaupt nichts zu tun. Niemand käme dabei auf die Idee, welches Stück sich da anbahnt. Auch der begleitende Bassist wusste meistens nicht, was jetzt kommt, wahrscheinlich wusste es Garner selber nicht.

Jazzzeitung: Wie kam Garner eigentlich zu seinem Klavierkönnen? Wer waren seine Lehrer? Wer seine Vorbilder?
Burger: Lehrer hatte Garner keine. Sowohl seine Familie als auch andere bekannte Jazzmusiker, die damals in seiner Umgebung lebten, zum Beispiel in Pittsburgh Billy Eckstine oder Dodo Marmarosa, sagten: Bei Garner war alles von Anfang an da. Das ist eines der großen Phänomene bei Garner: Er hat sich mit drei Jahren ans Klavier gesetzt und konnte mit zwei Händen spielen. Dann sprachen Sie seine Vorbilder an. Er sagte selber einmal, dass die Big Bands seine Vorbilder waren, von denen sein orchestrales Spiel kommt. Nachdem er alles, was er hörte, sofort am Klavier umsetzen konnte, entstand dieses vollgriffige, orchestrale Spiel.

Jazzzeitung: Wann sind Sie Erroll Garner zum ersten Mal begegnet?
Burger: Die erste Begegnung waren die Schallplatten, die in den 50er-Jahren erschienen. Sie kamen immer zuerst in den USA heraus, aber anschließend auch hier. Da hörte ich zum ersten Mal Stücke wie „Lullaby Of Birdland“ oder „Caravan“, „’S Wonderful“ oder „Memories Of You“. Diese Stücke haben mich von Anfang an fasziniert. Da habe ich Garner lieb gewonnen und habe alles mitverfolgt, was in den nächsten Jahren mit ihm passierte.

Jazzzeitung: Haben Sie einmal selbst mit ihm gesprochen?
Burger: Nein, leider nicht. Ich habe ihn live einmal gehört, war damals aber noch zu jung, um ihn anzusprechen. Und er selbst war sehr scheu. Wenn er irgendwo erkannt wurde, etwa auf der Straße, hat er sich umgedreht und ist weggegangen.

Jazzzeitung: Wie gehen Sie an so ein Buch heran?
Burger: Bei den klassischen Komponisten, von denen wir vorher sprachen, Chopin, Liszt oder Schumann, da gibt es ja Briefe, da gibt es zeitgenössische Urteile. Das heißt, über das Leben der Komponisten ist relativ viel bekannt. Bei Jazz-Pianisten spielt sich das Leben nachts ab und ihr Privatleben ist ziemlich unbekannt. Ich bin so vorgegangen: Die Jazz-Zeitschriften damals, Down Beat oder Metronome zum Beispiel, haben immer Notizen gebracht ab den 1940er-Jahren. Was die Materialsammlung angeht, so muss ich wirklich ein Loblied auf das Jazzinstitut in Darmstadt singen! Darin habe ich alles gesucht, was über Garner geschrieben wurde, wobei mir ein Index behilflich war.
Zum Beispiel: „Nächste Woche spielt Garner in Boston …“ oder „seine neue Schallplatte ist …“. Später, für die Zeit, als Garner in Europa war, kann man die Konzerttermine gut nachvollziehen. Das ist mit viel Arbeit verbunden, aber so baut man sich Jahr für Jahr zusammen, es entsteht allmählich eine Biografie. Zur chronologischen Gliederung im Buch treten dann noch Kapitel mit thematischen Schwerpunkten: über die Beziehung Erroll Garners zu Art Tatum etwa (siehe unseren Vorabdruck rechts, Anm. der Red.), über das „Concert by the Sea“, über Garners Kunst oder seine Klaviertechnik und natürlich die bebilderte Diskografie.

Jazzzeitung: Neben Ihrem Text prägen ja die vielen Fotos das Buch ganz entscheidend.
Burger: Garner ist sehr oft fotografiert worden, gerade auch in der Konzertsituation. Das größte Kontingent im Buch stammt übrigens aus der Sammlung Ludwig Binder des Bayerischen Jazzinstituts in Regensburg, das sehr entgegenkommend war. Bis auf zwei, drei Fotos sind das Bilder, die noch nie veröffentlicht worden sind.

Jazzzeitung: Und wie entsteht das Zusammenwirken von Text und Bildern?
Burger: Da muss ich zunächst sagen, dass ich ganz altmodisch bin, dass ich meine Texte noch mit der Schreibmaschine schreibe. Das ist die erste Stufe: Ich mache mir ein Konzept dazu, wie das Buch aufgebaut ist, und schreibe die Texte. Diese verkleinere ich dann, klebe sie in das Buch und kombiniere sie mit Bildern. Das heißt, ich mache das Layout selbst. Das hat den großen Vorteil, dass ich beim Schreiben und wenn ich das Ganze montiere einen Mords-Spaß habe, weil ich sehe – anders als mit einem Karton voller Texte und einem voller Fotos: Es entsteht etwas.

Jazzzeitung: Sie sind für das Buch auch viel gereist?
Burger: Ich war einige Male in Amerika. Aber es hat keinen Sinn, hier in Euro-pa die Stätten abzureisen, an denen er konzertiert hat. Angenommen er hat in Frankfurt oder in Berlin gespielt. Wenn ich nachträglich dorthin reise, dann finde ich allenfalls eine Kritik in der Zeitung und die kann ich mir auf andere Weise auch beschaffen.

Jazzzeitung: Bücher schreiben ist sicher eine Herzensangelegenheit für Sie?
Burger: Ja, sonst würde ich es nicht machen. Ich könnte nicht über einen Komponisten schreiben, den ich als Menschen nicht besonders mag, Richard Wagner zum Beispiel, von dessen Charakterzügen ich nur seine große Tierliebe schätze. Auch ohne seine Opern, sieht man einmal vom „Tristan“ ab, konnte ich – bisher wenigstens – ganz gut leben. Oder, ohne da jemandem zu nahe treten zu wollen, ich kann auch auf manche Bebop-Musiker verzichten.

Jazzzeitung: Dass sich Erroll Garner eigentlich standhaft dem modernen Jazz gegenüber verweigert hat, gefällt Ihnen wahrscheinlich?
Burger: Auf der CD zum Buch ist auch ein Stück, es hat den Titel „Futuramic“, wo Garner reinen Bebop spielt. Er konnte das, was auch seine Kollegen bestätigten. Aber Garner hat sehr früh erkannt, dass er mit seiner Art zu spielen, die Leute anspricht. Dass er damit Erfolg hat, wenn er melodiös spielt. Deshalb hat er seinen Stil eigentlich nie grundsätzlich geändert.

Jazzzeitung: Sie haben lange an diesem Buch gearbeitet, Zeit für ein neues?
Burger: Nachdem sich 2010 Chopins Geburtstag zum 200. Mal jährt, habe ich mir überlegt, ob ich wieder zu meiner großen Liebe Chopin zurückkomme. Was mir zum Beispiel seit langem vorschwebt, ist ein zweites Buch über Chopin. Dann vielleicht etwas über Art Tatum, auch hierzu gibt es nichts Vernünftiges. Und was ich auf alle Fälle mache, was eine kleinere Arbeit sein könnte, ist das Thema „Franz Liszt in Rom“. Dazu werde ich einmal einige Monate in Rom leben.

Siehe auch: Art Tatum und Erroll Garner
Anlässlich des 50. Todestags von Art Tatum · Auszug aus Ernst Burgers Garner-Buch

Die Garner-Biographie können Sie beispielsweise über den nmz-shop beziehen.

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