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Jazzzeitung
2006/12 ::: seite 18-19
Erroll Garner
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Seine materialreichen, luxuriös ausgestatteten Bände über
Liszt, Chopin und Schumann genießen unter Musikfreunden und Liebhabern
guter Bücher beinahe schon Kultstatus. Nun hat der Münchener
Pianist und Autor Ernst Burger in einem ähnlich aufwändigen
Band dem populärsten Jazzpianisten seiner Generation, Erroll Garner,
ein Denkmal gesetzt. Andreas Kolb sprach mit Ernst Burger über Garner,
über das Sammeln und das Büchermachen.
Jazzzeitung: Herr Burger, Sie sind Pianist und Autor
und in gewisser Weise auch Sammler und Archivar. Wie sind Sie zum Garner-Biografen
geworden?
Ernst Burger: Mein erstes Buch galt Franz Liszt und da
waren die Beweggründe eigentlich die gleichen wie bei Erroll Garner.
Liszt wird immer ungerecht behandelt, wird verurteilt und wird falsch
eingeschätzt, von Leuten, die sich eigentlich kaum mit ihm befassen.
Das war die Motivation, das Liszt-Buch zu machen. Eigentlich trifft das
auch auf Erroll Garner zu. Garner war ein unglaublich begabter Musiker,
er wurde auch von seinen Kollegen und sogar von seinen Konkurrenten wie
Peterson, Monk, Shearing, Brubeck hoch geschätzt, und heute ist er
fast vergessen. Die ältere Generation kennt ihn natürlich noch,
die jungen Leute aber kennen seinen Namen nicht mehr, und dies, obwohl
Garner zum Beispiel von Dan Morgenstern als der erfolgreichste Jazzmusiker
seiner Generation bezeichnet wird.
Jazzzeitung: Erfolgreich in welcher Beziehung?
Burger: Er war der populärste und auch kommerziell
erfolgreichste Jazzmusiker, was seine Platten, seine Konzerte anbelangt.
Wie Sie wissen, kommt der Erfolg nicht von ungefähr. Diese Geschichte,
dass jemand wenig kann und trotzdem großen Erfolg hat, die gibt
es vielleicht manchmal in der Schlager- oder Popwelt, aber in dem Moment,
in dem man ein Instrument spielt und diese Ansprüche in Jazz oder
in der Klassik umsetzt, kann man sagen: Von nichts kommt nichts.
Jazzzeitung: Sie kennen sowohl Garner als auch Chopin,
Schumann und Liszt nicht nur aus der Theorie, denn Sie sind Pianist. Welche
Rolle spielt das für Ihre Arbeit als Autor?
Burger: Ich komme vom Klavier her und da ist es natürlich
nahe liegend, dass man sich mit Klavierkomponisten beschäftigt. Und
wenn man die Musik dieser Komponisten oft spielt, dann interessiert man
sich natürlich für ihr Leben und für deren ganze Epoche.
Dann sprachen Sie meine Tätigkeit als Sammler an. Ich bin kein Sammler,
der sammelt, um Dinge zu besitzen, sondern der Impuls zu sammeln kam daher,
dass ich diese Sachen im Buch abbilden wollte.
Jazzzeitung: Den größten Teil Ihrer Liszt-Sammlung
haben Sie in ein Museum in Bayreuth eingebracht. Gibt es das ähnlich
vielleicht bald zu Erroll Garner?
Burger: (lacht) Was soll man schon bei Garner sammeln
oder ausstellen! Mit Sicherheit hat Garner außer Autogrammen kaum
jemals Briefe geschrieben. Das hat alles seine Managerin gemacht. Er war
auch nicht sehr eloquent. Und da Garner keine Noten kannte, keine Noten
schreiben konnte, gibt es auch keine Autographe. Es gibt natürlich
Fotos von ihm, aber diese Fotos sind ja nicht alt. Was man bei Garner
sammeln könnte, wären die alten Schallplatten aus den 40er-Jahren.
Die sind sicher rar.
Jazzzeitung: Dem Buch ist eine CD beigelegt, die mit
Sicherheit den Wert eines historischen Dokuments hat.
Burger: Aus der Zeit von 1946 bis 1955 habe ich 18 Aufnahmen
ausgewählt. Manfred Scheffner hat dann aus meiner Liste die CD gemacht.
Es ist ja so, nicht alles, was die Jazzpianisten gespielt haben, muss
man unbedingt hören. Und auch Garner hat oft im Stil eines Cocktail-Pianisten
gespielt … Aber manche Stücke sind eben toll, wie die aus der
ersten Epoche, in der er noch überwiegend Stride-Piano spielte, bis
zu „Concert by the sea“, dieser fast schon legendären
Aufnahme von 1955.
Jazzzeitung: Was zeichnet Garners Spiel aus, was fasziniert
so an ihm?
Burger: Es ist zunächst zu sagen, dass Garner ein
großer Melodiker war. Er hat immer schön gespielt, sein Spiel
ist immer melodiös. Das ist der eigentliche Grund, weshalb er so
beliebt war, auch bei einem Publikum, das sich sonst nicht so für
Jazz interessiert hat: Die schönen Melodien, seine melodiösen
Chorusse. Dann gehört zu den besonderen Merkmalen seine linke Hand,
die er immer als Rhythmusinstrument gebraucht, das ist fast seine Erfindung.
Zudem dieses merkwürdige Rubato, das es im Piano-Jazz nur bei Garner
gibt: Die rechte Hand spielt selten mit der linken genau zusammen, was
eine unglaubliche Spannung erzeugt. Die rechte Hand hängt sozusagen
hinterher und komischerweise macht das den ganzen Beat noch spannender,
weil die linke Hand eisern im Takt bleibt. Außerdem die Akzente,
die Garner immer während des Spiels setzt, meistens mit der linken
Hand, nach vier oder acht Takten. Das kann man ungefähr mit einem
Schlagzeuger vergleichen, der mittendrin einen besonderen Schlag macht.
Ein weiteres Garner-Kennzeichen sind seine Einleitungen, die ganz unterschiedlich
sind. Manchmal haben sie mit dem Stück, das anschließend kommt,
überhaupt nichts zu tun. Niemand käme dabei auf die Idee, welches
Stück sich da anbahnt. Auch der begleitende Bassist wusste meistens
nicht, was jetzt kommt, wahrscheinlich wusste es Garner selber nicht.
Jazzzeitung: Wie kam Garner eigentlich zu seinem Klavierkönnen?
Wer waren seine Lehrer? Wer seine Vorbilder?
Burger: Lehrer hatte Garner keine. Sowohl seine Familie
als auch andere bekannte Jazzmusiker, die damals in seiner Umgebung lebten,
zum Beispiel in Pittsburgh Billy Eckstine oder Dodo Marmarosa, sagten:
Bei Garner war alles von Anfang an da. Das ist eines der großen
Phänomene bei Garner: Er hat sich mit drei Jahren ans Klavier gesetzt
und konnte mit zwei Händen spielen. Dann sprachen Sie seine Vorbilder
an. Er sagte selber einmal, dass die Big Bands seine Vorbilder waren,
von denen sein orchestrales Spiel kommt. Nachdem er alles, was er hörte,
sofort am Klavier umsetzen konnte, entstand dieses vollgriffige, orchestrale
Spiel.
Jazzzeitung: Wann sind Sie Erroll Garner zum ersten
Mal begegnet?
Burger: Die erste Begegnung waren die Schallplatten,
die in den 50er-Jahren erschienen. Sie kamen immer zuerst in den USA heraus,
aber anschließend auch hier. Da hörte ich zum ersten Mal Stücke
wie „Lullaby Of Birdland“ oder „Caravan“, „’S
Wonderful“ oder „Memories Of You“. Diese Stücke
haben mich von Anfang an fasziniert. Da habe ich Garner lieb gewonnen
und habe alles mitverfolgt, was in den nächsten Jahren mit ihm passierte.
Jazzzeitung: Haben Sie einmal selbst mit ihm gesprochen?
Burger: Nein, leider nicht. Ich habe ihn live einmal
gehört, war damals aber noch zu jung, um ihn anzusprechen. Und er
selbst war sehr scheu. Wenn er irgendwo erkannt wurde, etwa auf der Straße,
hat er sich umgedreht und ist weggegangen.
Jazzzeitung: Wie gehen Sie an so ein Buch heran?
Burger: Bei den klassischen Komponisten, von denen wir
vorher sprachen, Chopin, Liszt oder Schumann, da gibt es ja Briefe, da
gibt es zeitgenössische Urteile. Das heißt, über das Leben
der Komponisten ist relativ viel bekannt. Bei Jazz-Pianisten spielt sich
das Leben nachts ab und ihr Privatleben ist ziemlich unbekannt. Ich bin
so vorgegangen: Die Jazz-Zeitschriften damals, Down Beat oder Metronome
zum Beispiel, haben immer Notizen gebracht ab den 1940er-Jahren. Was die
Materialsammlung angeht, so muss ich wirklich ein Loblied auf das Jazzinstitut
in Darmstadt singen! Darin habe ich alles gesucht, was über Garner
geschrieben wurde, wobei mir ein Index behilflich war.
Zum Beispiel: „Nächste Woche spielt Garner in Boston …“
oder „seine neue Schallplatte ist …“. Später, für
die Zeit, als Garner in Europa war, kann man die Konzerttermine gut nachvollziehen.
Das ist mit viel Arbeit verbunden, aber so baut man sich Jahr für
Jahr zusammen, es entsteht allmählich eine Biografie. Zur chronologischen
Gliederung im Buch treten dann noch Kapitel mit thematischen Schwerpunkten:
über die Beziehung Erroll Garners zu Art Tatum etwa (siehe unseren
Vorabdruck rechts, Anm. der Red.), über das „Concert by the
Sea“, über Garners Kunst oder seine Klaviertechnik und natürlich
die bebilderte Diskografie.
Jazzzeitung: Neben Ihrem Text prägen ja die vielen
Fotos das Buch ganz entscheidend.
Burger: Garner ist sehr oft fotografiert worden, gerade
auch in der Konzertsituation. Das größte Kontingent im Buch
stammt übrigens aus der Sammlung Ludwig Binder des Bayerischen Jazzinstituts
in Regensburg, das sehr entgegenkommend war. Bis auf zwei, drei Fotos
sind das Bilder, die noch nie veröffentlicht worden sind.
Jazzzeitung: Und wie entsteht das Zusammenwirken von
Text und Bildern?
Burger: Da muss ich zunächst sagen, dass ich ganz
altmodisch bin, dass ich meine Texte noch mit der Schreibmaschine schreibe.
Das ist die erste Stufe: Ich mache mir ein Konzept dazu, wie das Buch
aufgebaut ist, und schreibe die Texte. Diese verkleinere ich dann, klebe
sie in das Buch und kombiniere sie mit Bildern. Das heißt, ich mache
das Layout selbst. Das hat den großen Vorteil, dass ich beim Schreiben
und wenn ich das Ganze montiere einen Mords-Spaß habe, weil ich
sehe – anders als mit einem Karton voller Texte und einem voller
Fotos: Es entsteht etwas.
Jazzzeitung: Sie sind für das Buch auch viel gereist?
Burger: Ich war einige Male in Amerika. Aber es hat keinen
Sinn, hier in Euro-pa die Stätten abzureisen, an denen er konzertiert
hat. Angenommen er hat in Frankfurt oder in Berlin gespielt. Wenn ich
nachträglich dorthin reise, dann finde ich allenfalls eine Kritik
in der Zeitung und die kann ich mir auf andere Weise auch beschaffen.
Jazzzeitung: Bücher schreiben ist sicher eine
Herzensangelegenheit für Sie?
Burger: Ja, sonst würde ich es nicht machen. Ich
könnte nicht über einen Komponisten schreiben, den ich als Menschen
nicht besonders mag, Richard Wagner zum Beispiel, von dessen Charakterzügen
ich nur seine große Tierliebe schätze. Auch ohne seine Opern,
sieht man einmal vom „Tristan“ ab, konnte ich – bisher
wenigstens – ganz gut leben. Oder, ohne da jemandem zu nahe treten
zu wollen, ich kann auch auf manche Bebop-Musiker verzichten.
Jazzzeitung: Dass sich Erroll Garner eigentlich standhaft
dem modernen Jazz gegenüber verweigert hat, gefällt Ihnen wahrscheinlich?
Burger: Auf der CD zum Buch ist auch ein Stück,
es hat den Titel „Futuramic“, wo Garner reinen Bebop spielt.
Er konnte das, was auch seine Kollegen bestätigten. Aber Garner hat
sehr früh erkannt, dass er mit seiner Art zu spielen, die Leute anspricht.
Dass er damit Erfolg hat, wenn er melodiös spielt. Deshalb hat er
seinen Stil eigentlich nie grundsätzlich geändert.
Jazzzeitung: Sie haben lange an diesem Buch gearbeitet,
Zeit für ein neues?
Burger: Nachdem sich 2010 Chopins Geburtstag zum 200.
Mal jährt, habe ich mir überlegt, ob ich wieder zu meiner großen
Liebe Chopin zurückkomme. Was mir zum Beispiel seit langem vorschwebt,
ist ein zweites Buch über Chopin. Dann vielleicht etwas über
Art Tatum, auch hierzu gibt es nichts Vernünftiges. Und was ich auf
alle Fälle mache, was eine kleinere Arbeit sein könnte, ist
das Thema „Franz Liszt in Rom“. Dazu werde ich einmal einige
Monate in Rom leben.
Siehe auch: Art Tatum und Erroll Garner
Anlässlich des 50.
Todestags von Art Tatum · Auszug aus Ernst Burgers Garner-Buch
Die Garner-Biographie können Sie beispielsweise über
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