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Herbie Hancock spielte in Memmingen, Wayne Shorter in Mannheim und Paul Wertico in Ingolstadt – auf dem JazzFest Berlin waren alle drei nicht anzutreffen. Das ist natürlich kein Zufall, denn Festivalchef Peter Schulze ist explizit mit dem Vorsatz angetreten, seinen Etat nicht an teure amerikanische Stars zu verpulvern, sondern sein Publikum auch mit einem schmaleren Budget, als es seinen Vorgängern George Gruntz oder Albert Mangelsdorff zur Verfügung stand, anzulocken. Der Verzicht auf große Namen bedeutete dennoch keinen „Pleitejazz“, wie es vielleicht der Titel des jetzt in Berlin uraufgeführten Jazzfilms von Leo van Maaren nahelegt.
Im Gegenteil: Statt Bekanntes in neuem Aufguss zu erleben, konnte man auf dem JazzFest echte Entdeckungen machen. Das von Schulze zusammen mit seinem Produktionsleiter Ihno von Hasselt konzipierte JazzFest 2006 zog mit 22 Veranstaltungen in 5 Tagen 11.000 Besucher an. Wenn ein Konzept so deutlich aufgeht, dann nimmt es nicht wunder, wenn bereits am Tag nach dem Abschluss des JazzFestes 2006 die Meldung an die Presse ging, dass der Vertrag des künstlerischen Leiters, Peter Schulze, für ein Jahr verlängert wurde. Filme zum Jazz, Jazz zum Film, Film über Jazz – der Schwerpunkt des Festivals 2006 war das bewegte Bild. Julian Benedikts neuer Film „Play Your Own Thing – Eine Geschichte des Jazz in Europa“ sorgte für einen restlos ausverkauften Saal im Delfi – und für angeregte Diskussionen während der nächsten Tage. Benedikts Blick auf den europäischen Jazz ist ein subjektiver von Beginn an. Doch während er die Anfänge des Jazz in Paris und im ausgebombten Berlin noch aus der kritischen Distanz des professionellen Filmemachers beschreibt, sind seine Kameraflüge über norwegische Fjorde mit der Stimme von Jan Garbarek aus dem Off mehr oder weniger die Anschauungen eines Fans. Subjektivität ist aber noch keine qualifizierte Meinung. Das größte Manko des Films ist, dass er die Geschichte des europäischen Jazz in Europa vor 20 Jahren enden lässt. Anders dagegen „New Orleans Music in Exile“ von Robert Mugge. Sein Film spielt ganz in der Gegenwart – Mugge zeigt die Auswirkungen einer Naturkatastrophe auf das Leben der Jazz- und Bluesmusiker in der Musikstadt New Orleans. Die Stärke von Mugges Film liegt dabei sicher nicht in seiner Machart, eher in der Nähe, die er und seine Kamera zu den Protagonisten aufbauen. Die Erlöse des Films, der in Deutschland auch von der Deutschen JazzFöderation unterstützt wird, kommen der Tipitina’s Foundation zugute, die vertriebene Musiker und ihre Familien unterstützt sowie den Wiederaufbau von Schulmusik-Programmen fördert. Obwohl das Drehbuch zu „Der Pleitejazz“ aus dem Berlin der 20er-Jahre stammt, war der Film des belgischen Regisseurs Leo van Maaren reinste Gegenwart. Van Maarens Film basiert auf einem Dada-Filmszenario des flämischen Dichters Paul van Ostaijens, in dem er „Ich bin pleite“ durch sämtliche handelnde Personen konjugiert und unter anderem feststellt: „Jazz ohne Musik: ein bedenklicher Zustand.“ Eine wunderbar erfrischende Kinostunde mit Livemusik im großen Saal des Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz. Im Anschluss an den Film zelebrierte Stephan-Max Wirth ein Tanz, Film und Jazzprojekt auf der Grundlage von Paul von Ostaijens „Pleitejazz“. Ein originelles Sujet, virtuoser, aus der Improvisation entwickelter Ausdruckstanz und kraftvoller moderner Jazz gingen hier eine Symbiose ein. Ein Verdienst des JazzFestes Berlin, Paul van Ostaijens Dada-Jazz wieder entdeckt zu haben. Zeitgenössischer intelligenter Jazz von den Bands um die Performerin
Erika Stucky und den Trompeter Dave Douglas stach aus der Vielzahl der
22 Konzerte heraus. Für die intelligente Machart des Gebotenen sprach
insbesondere, dass trotz komplexer musikalischer Strukturen die Unterhaltung
dabei nie zu kurz kam. Nicht ganz so einleuchtend waren dagegen die Arrangements von Colin Towns, der Mahavishnu für die hr-Bigband entdeckt hatte. Bei aller Klangkraft der Hessen, Towns konnte nicht an die Qualität seiner Zappa-Arrangements anschließen. Dass man sich dennoch gerne in die Welt von Mahavishnu entführen ließ, war auch den Beiträgen von Gitarrist Martin Scales oder den McLaughlin -Weggefährten Billy Cobham und Jerry Goodman zu verdanken. Indirekt war mit diesen Festivalhighlights doch wieder Amerika als Wiege des Jazz vertreten – und gleichzeitig wurde daran erinnert, dass der Jazz kein Wiegenkind mehr ist, sondern längst die Welt erobert hat. Ein JazzFest-Jahrgang, der neugierig darauf macht, welche Jazzgeografien wohl 2007 in Berlin erkundet werden. Andreas Kolb |
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