Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Er wirkt gütig, sendungsbewusst, ernsthaft, aber keinesfalls humorlos, beflügelt vom eigenen Schaffen, einem „Work in progress“. Zweimal habe ich ihn getroffen und befragen dürfen, beide Male verabschiedete er sich nach geduldig gewährter Audienz mit dem Hinweis, nun doch wieder komponieren zu müssen. Unter-wegs, im Hotel, zwischen Soundchecks und Konzertterminen. Was er einem jungen Jazzmusiker mit auf den Weg geben wolle: „Wenn er bereit ist, so wie ich, aus dem Koffer zu leben und all die Strapazen auf sich zu nehmen, nur um diese Musik zu spielen, dann ist er in diesem Metier richtig und sollte dabei bleiben.“ Brubeck, der Jubilar, geboren am 6. Dezember 1920 in Concord/Kalifornien, hat einen vollen Terminkalender: die laufende Europa-Tournee umfasst 20 Konzerte im Zeitraum vom 11. November bis zum 20. Dezember. Was die Strapazen anbelangt, so lebe er ja heute vergleichsweise luxuriös. „Aber die frühen Jahre, Tausende von Kilometern, oft zu viert und mit Instrumenten in einem Van, zwischen West- und Ostküste pendelnd, und nicht mal Geld für eine Übernachtung im Motel!“ Dave Brubeck, der Mann mit dem Image eines Hochschulprofessors, weiß, was das Jazzleben bedeutet. Vorurteile und Klischees. In unserem Gespräch beharrt er darauf, einige ausräumen zu wollen. „Cool“ sei ein Begriff, den die Kritiker erfunden haben. In seinen Anfangsjahren habe er durchaus sehr, sehr „hot“ gespielt. „West Coast“ wolle er nur als geographische, nicht als stilistische Ortung anerkennen. Doch zugleich meldet sich sein Westküstenbewusstsein zu Wort: „In vielem waren wir bereits Mitte bis Ende der Vierzigerjahre weiter als die Musiker von der Ostküste.“ Und erwähnt natürlich sein Oktett von 1946, das schon vor dem Miles Davis Capitol Orchestra eine für die damalige Zeit vergleichsweise jazzuntypische und hochinnovative Musik gespielt habe. Er sei nun mal schwer einzuordnen mit seinen so vielfältigen musikalischen Ambitionen. Zum Glück habe er nun lange genug gelebt, um endlich als Komponist anerkannt worden zu sein. Kammermusik, Werke für Orchester und Chöre, oft geistlichen Charakters – die Liste von Brubecks Kompositionen ist lang. Die zwei Seelen in seiner Brust – komponieren und improvisieren – widerstreiten nicht, sie ergänzen sich. All das hat mit seiner Biographie zu tun. Die Mutter, klassische Pianistin und Musikpädagogin, hielt ihn als Kind zu Klavierstunden an. Seine älteren Brüder spielten Jazzmusik. Einer, Howard, profilierte sich als Komponist. Dave entschied sich zunächst – der Vater, Eigentümer einer Ranch dürfte sich gefreut haben – für ein Studium der Veterinärmedizin. Doch die Liebe zur Musik erwies sich als stärker. Als man während seines Musikstudiums mitbekam, dass er keine Noten lesen konnte, wollte man ihn vom College relegieren. Seine Begabung rettete ihn. Man ließ ihn gewähren, unter einer Bedingung: er dürfte nie unterrichten! In den Vierzigerjahren – unterbrochen vom Militärdienst, den er u.a. in Süddeutschland verbrachte – studierte Brubeck am College of the Pacific und am Mills College bei Darius Milhaud. Zu den Episoden, die Dave Brubeck auch heute noch immer wieder gern in Erinnerung ruft, zählen Gespräche mit Arnold Schönberg und Darius Milhaud. In einem „klassischen“ Kompendium von Jazzmusiker-Statements, dem von Nat Shapiro und Nat Hentoff herausgegebenen Band „Jazz erzählt“ sind Erinnerungen an beide Begegnungen festgehalten. „Ich habe zwei Unterrichtsstunden bei Schönberg gehabt. Als ich zur zweiten Stunde kam, zeigte ich ihm ein Komposition, die ich inzwischen geschrieben hatte. Er sagte: ‚Das ist sehr gut. Und nun gehen Sie nach Hause und schreiben sie so etwas nicht wieder, ehe Sie nicht von jeder Note wissen, aus welchem Grunde sie an ihrem Platz steht. Oder wissen Sie das jetzt?’, fragte er. Ich sagte: ‚Reicht es nicht völlig aus, wenn es gut klingt?’ Er sagte: ‚Nein, Sie müssen wissen, warum.’ Das war meine letzte Stunde bei Schönberg.“ Dave Brubeck restituiert die Fundierung der Musik auf das Ohr, auf das Hören. „Es war Milhaud“, bekennt er, „der mich in meinem Wunsch, Jazz zu spielen, bestärkte. Er meinte, ein Musiker, der in Amerika geboren ist, sollte vom Jazz beeinflusst sein. Jedesmal, wenn er zu Semesterbeginn vor einer neuen Kompositionsklasse stand, stellte er als erstes die Frage: ‚Wer von Ihnen ist Jazzmusiker?’“ Darius Milhaud ermutigte den jungen Dave Brubeck, sich aus der Sicht eines Jazzmusikers mit barocken und klassischen Formmodellen, mit Kontrapunkt, erweiterten Harmonien, ungeraden Metren und zusammengesetzten Taktarten, Polyrhythmus und Polytonalität zu beschäftigen. Ersten musikalischen Ausdruck fand dieses Streben in dem 1946 gegründeten Dave Brubeck Octet, das sich, der Zeit vorauseilend, kommerziell nicht eben erfolgreich erwies. Nach einer Phase des Arbeitens mit einem Trio holte Brubeck den Altsaxophonisten Paul Desmond, der schon im Oktett mitgewirkt hatte, zurück und startete mit dem Dave Brubeck Quartet eine 17-jährige Erfolgsstory. „Time Out“ von 1959 ist Dave Brubecks bekannteste Platte, ein Klassiker und ein Dauerbrenner. Paul Desmond hatte mit „Take Five“ so etwas wie die Erkennungsmelodie beigesteuert. Und Brubeck schuf, korrespondierend zum Hit im 5/4- ein Stück im 9/8-Takt: „Blue Rondo á la Turk“. Die Idee dazu entstand, als er Straßenmusiker in Istanbul „ihre Art von Blues“ spielen hörte. Brubeck hat Anregungen aus vielen Kulturen aufgenommen – aus denen Afrikas, Asiens und des Balkans. Und er, der Westcoast-Apologet, betont im Gespräch, dass der Einfluss mexikanischer und vor allem indianischer Traditionen auf den Jazz noch immer unterschätzt werde. „Travel around, keep your ears open, listen to everything“, das war es, was ihm Darius Milhaud mit auf den Weg gegeben hatte. Zu den Großen dieser Traditionslinie zählt Dave Brubeck Béla Bartók, Aaron Copland und Charles Ives. Er liebt Art Tatum, und er verehrt Johann Sebastian Bach. Wie geht all das zusammen? In der oben erwähnten Fundierung auf das Ohr. In einem glänzenden Essay über Dave Brubeck beschreibt Hans-Jürgen Schaal dessen „pianistischen Eklektizismus“, an dem sich bis heute die Geister scheiden. Afrikanische Rhythmen und die Kunst der Fuge, ausgefeilte Kompositionen und der intuitive Lauf der Finger über die Tasten – wo andere Widersprüche sehen, hört Brubeck Ergänzungen. In den Fünfzigerjahren ist Dave Brubeck mit seinem Quartett durch die Hochschulen gezogen. Die Idee ist so einfach und genial, dass man sich wundert, warum sie heute keiner aufgreift: „Jazz Goes To College“. In jener Zeit hat er die Saat für seine spätere Popularität ausgesrteut. Die in der Jazzpublizistik beschriebene Verankerung Brubecks in der „weißen intellektuellen Mittelschicht Amerikas“ braucht der Meister nicht zu verleugnen. Doch er fügt hinzu: „Wir haben ja in jenen Jahren nicht nur in Colleges, sondern auch in schwarzen Klubs und Theatern gespielt.“ Wenn es rassistische Anfeindungen gab, hat sich Brubeck stets schützend hinter seinen afroamerikanischen Bassisten Eugene Wright gestellt. Integration ist eines der Schlüsselworte in seinem Schaffen.
|
|