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Das Schweizer Taktlos-Festival hat sich in den 22 Jahren seines Bestehens zu einem Ereignis entwickelt, das garantiert nicht die etablierten Stars präsentiert, sondern immer wieder neue Musikerinnen und Musiker und Projekte zu Tage fördert. Traditionell im täglichen Wechsel zwischen Basel und Zürich angesiedelt, beschränkte es sich dieses Mal auf Zürich, den Traditionsspielort Rote Fabrik, idyllisch am See gelegen und selbst die Inkarnation dieser Unruhe und des Freiheitsdrangs, die auch das Festival und die Szene der Improvisierten Musik in der Schweiz seit langem ausmachen. Die Statistiker stellten zum Eingang fest: „An drei Tagen ein Programm mit neun Gruppen zwischen Solo und Sextet. Insgesamt sind fünfundzwanzig MusikerInnen beteiligt, die zwischen 26 und 78 Jahre alt sind. Ihre Musik bewegt sich zwischen Jazz, Free Jazz, Improvisation, Musique concrète, Independent, Ambient und Elektronik, verbindet und kreuzt die einzelnen Stränge über drei Generationen hinweg.“ Wie gut, dass Statistiker das Geschehen immer nur sehr formal erfassen. Passiert ist über diese drei Generationen hinweg nämlich viel Spannendes, Neues oder Altes in ganz neuem Gewand, Überraschendes und so weiter und so weiter. Natürlich war die Schweizer Szene zugegen: Gleich zur Eröffnung präsentierte ein Klassiker der dortigen Szene, der Saxophonist Christoph Gallio sein schon 1988 gegründetes Ensemble Day & Taxi. Frisch und gerade geboren klangen die extatischen Saxophonausbrüche, begleitet von dem Bassisten Christian Weber und dem Schlagzeuger Marco Käppeli, der schon bei der ersten Ausgabe von Taktlos dabei war. Dann ein riesiger Kontrast: Einstieg in ein elektronisches Gewebe, das die Japanerin Ikue Mori höchst kunstvoll mit ihrer Partnerin Zeena Parkins und deren Sortiment von Harfen schuf. Eigentlich erkannte man viel Gewohntes, aber ganz neu inszeniert und verpackt. Deutlich dahinter zurück blieb das Karlsruher Kammerflimmer Kollektief des Gitarristen Thomas Weber, das bei allen interessanten Klangbildern nicht so recht deren Oberfläche durchbrechen konnte. Das Klavier als Kraftfeld bot der zweite Tag, zunächst auf skandinavische Art, eher als ein Kraftpaket, aus dessen Clustern sich elegische Bilder herausformten: das Sten Sandell Trio mit Johan Bertling, Bass, und dem Kraftgenie Paal Nilssen-Love am Schlagzeug. Der 78-jährige New Yorker Borah Berman war die Überraschung des Festivals. Auf ganz eigene Art bewegt er sich zwischen freien Partien und bekannten Floskeln des Jazz, erfüllt den Raum dazwischen mit kraftvollen, nicht enden wollenden Läufen, wobei die linke und die rechte Hand sich überkreuzen, ihre Rollen tauschen, gleich stark sind. „Die Musik des sanften Aufruhrs“ nannte eine Züricher Zeitung diese außerordentliche Performance des Klavierkünstlers, der nicht zu den großen amerikanischen Reisekadern gehört, daher völlig zu Unrecht viel zu wenig bekannt ist in Europa. Trotz seines Alters ist er wild entschlossen, dies noch zu ändern. Aktuellen Free Jazz, der seinen Ursprüngen verhaftet ist, aber viele neue, ja sogar harmonische Elemente einbaut, bot die Allianz Skandinavien-Chicago: Mats Gustafsson-Ken Vandermark, unterstützt von dem donnernden und schwungvollen Paal Nilssen-Love, der sich manchmal ganz in der Nähe des Avantgarde-Rock tummelte. Unter dem Namen „The Thing Sextet“ vereinigte man sich zum
Finale dann mit dem Sten Sandell Trio, gleichsam um die großen Klanggebirge
beider Formationen noch zu verdoppeln. Mit einem Augenzwinkern verabschiedete sich der Leiter des Festivals Fredi Bosshard vom Publikum, indem er in einer elektronischen Sitzung wie in einer Konferenz mit dem Amerikaner Jason Kahn und vier weiteren Schweizern, „digitalen“ und „elektronischen“ Fachleuten, einen Blick nach vorn oder vielleicht doch eher zurück in die Welt der nicht akustischen Klangerzeugung werfen ließ. Hans-Jürgen von Osterhausen |
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