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Am 20. Oktober 2005 starb in ihrer Heimatstadt Washington, DC, an den Folgen eines Schlaganfalls die Sängerin und Pianistin Shirley Horn. Ihr Tod kam nicht eben überraschend, war sie doch schon seit einigen Jahren durch Krankheit an den Rollstuhl gefesselt und musste aufs Klavierspielen verzichten. Auf ihrem letzten veröffentlichten Studioalbum zählte Ahmad Jamal zu ihren Begleitern, und George Mesterhazy wurde ihr ständiger Pianist. Doch die Magie der Shirley Horn lebte von der Interaktion ihrer Stimme mit ihrem perfekt sensiblen Klavierspiel, sie lebte in ihrem Trio mit dem Bassisten Charles Ables und dem Schlagzeuger Steve Williams (ein Trio, das gelegentlich auch zur Begleitung anderer Sängerinnen gebucht wurde). Erst hier fand ihre Stimme eine Heimat, die ihr wahre Kraft, Sicherheit und Originalität gab. Und so setzte schon mit dem Tod von Charles Ables 2001 Horns langsames Ende ein. „Langsamkeit“ ist ein Wort, auf das man fast zwangsläufig stößt, wenn man sich mit Shirley Horn beschäftigt. Da ist die nahe liegende Langsamkeit ihrer Musik. Horn war eine der größten Balladeninterpretinnen im Jazz. Sie lebte Tempi, die bei anderen quälend gewesen wären und verwandelte sie in erregende Felder voll blankem Gefühl. Was bei anderen wie bloßes, peinliches Pathos gewirkt hätte, war bei ihr glaubhaft und folgerichtig. Wo andere in Sümpfen der Langeweile versunken wären, sorgte bei ihr gerade die Langsamkeit für Spannung. Wie die klassischen japanischen Maler setzte sie überlegt ihre Linien in die Leere (ein Bild, das auch bei ihrem großen musikalischen Alter Ego Miles Davis immer wieder in den Sinn kam). „Langsamkeit“ trifft aber auch den Verlauf ihrer Karriere. Shirley Horns Biographie verlief nicht so gradlinig wie bei vielen anderen Jazzern ihrer Qualität. Immer wieder unterbrach sie ihre Laufbahn, um sich um ihre Familie, besonders ihre Tochter Rainy zu kümmern, immer blieb sie auch ihrer Heimatstadt Washington, DC, treu und arbeitete in den Clubs dieser Stadt, statt ihr Heil in New York zu suchen. Offenbar zog sie solche Kontinuität den Verwicklungen und Umwälzungen anderer Jazzmusiker vor, liebte die feine Nuance, nicht das brachiale Pamphlet. Und so unterscheiden sich zumindest ihre Alben der letzten 25 Jahre – der Zeit ihrer späten Renaissance – nur in Nuancen, bestimmend ist das Gleichbleibende: die Sicherheit des Begleittrios, ihre nackte Stimme, die in perfekter Phrasierung und makelloser Artikulation ein faszinierendes Repertoire interpretiert. Auf nahezu jeder ihrer Platten findet sich zumindest ein Stück, das sie neu ins Jazzrepertoire bringt, und in jedem Fall wundert man sich, dass es dort nicht längst war. Shirley Horn wurde am 1. Mai 1934 in Washington, DC, geboren in eine
Familie des schwarzen Mittelstandes, ein ähnliches Milieu also, dem
auch Duke Ellington einige Dekaden vorher entstammte. Sie besuchte eine
der traditionsreichen schwarzen Universitäten, die Howard University.
Mit einem eigenen Trio arbeitete sie seit 1954 in den Jazzclubs ihrer
Heimatstadt. Dort nimmt sie auch 1959 an ihrer ersten Plattensession teil,
für den Violinisten Stuff Smith. Sie singt auf drei und spielt auf
nahezu allen elf Titeln eines Gershwin-Tributes, eigentlich ein idealer
Start in eine Karriere, doch die Plattenfirma veröffentlicht lediglich
vier der Titel und nennt auf der LP einen anderen Pianisten. Erst 1999
kommen dann die kompletten Aufnahmen auf den Markt und zeigen, dass Horn
schon damals eine ähnlich reife und überlegene Phrasierung hat
wie in ihrer späteren Zeit und als Sängerin zunächst Ella
Fitzgerald nacheifert. Die setzt Ende der Siebziger ein, als Horn einige Alben für die Plattenfirma Steeplechase einspielt. Statt überladener Orchester begleitet sie nun ihr eingespieltes Trio, und die Musik klingt wie direkt aus dem Club. Diese Intimität, in der Horn ihre größten Stärken offenbart, bleibt das Gefühl ihrer letzten Jahre. Gelegentlich verlässt sie die Sicherheit des Trios und begegnet neuen Begleitern. Zunächst Buster Williams und Billy Hart, später war auch mal Elvin Jones der Schlagzeuger, dann Ron Carter und Al Foster, aber ihr Trio blieb das Herz ihrer Musik. Selbst auf „Here’s to Life“ von 1992, ihrer vielleicht überzeugendsten Platte, ist das Trio präsent: Johnny Mandel arbeitete für seine Arrangements auf der Grundlage ihrer Aufnahmen mit dem Trio und übertrug so deren Intimität auf ein 49-köpfiges Orchester. Spätestens damit war Horns Comeback vollendet, das 1987 mit ihrem Vertrag bei Verve und dem Livealbum „I Thought About You“ begonnen hatte. Erst die klassischen CDs „You Won’t Forget Me“ mit den Gästen Miles Davis, Wynton Marsalis und Toots Thielemans und „Here’s to Life“, auf der noch einmal Marsalis mitspielte, brachten den endgültigen Durchbruch bei einem größeren Publikum. Der Geheimtipp war zum Star geworden. „No complaints and no regrets, I still believe in chasing dreams and placing bets, but I have learned that all you give is all you get, so give it all you’ve got“, singt sie – über diskreten Akkorden ihres Pianos und schillernd lumineszierenden Streichern – eine Hymne an das Über-Leben. Eine glänzend langsame Sängerin. „So here’s to life and every joy it brings. Here’s to life, to dreamers and their dreams.“ Stephan Richter |
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