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Augustusplatz in Leipzig, am 13. August 2001: Vor dem Gewandhaus steht der große digitale Ü-Wagen des Mitteldeutschen Rundfunks. Eigentlich kein ungewöhnliches Bild. Oder doch: Denn das Gewandhausorchester hat in diesen Tagen Sommerpause. Und für Vorbereitungen zur 20-Jahr-Feier des Gewandhauses Anfang Oktober wäre es noch etwas früh. Ein neugieriger Blick in den Ü-Wagen löst das Rätsel: Harry Nicolai, Jazzredakteur beim MDR-Rundfunk, Tonmeister Jürgen Crasser und Toningenieur Matthias Sachers arbeiten konzentriert an einer Aufnahme mit der LeipzigBigBand, die den Gewandhauskonzertsaal großzügig für eine ganze Woche zur Verfügung hat.
Das Ensemble steht im Mittelpunkt der diesjährigen Jahresproduktion von MDR KULTUR. Konkret heißt das, für die LeipzigBigBand steht je eine Woche für Aufnahmen und für die Abmischung zur Verfügung. Bisherige Jahresproduktionen waren beispielsweise Verfemte Musik jüdischer Komponisten aus Theresienstadt, dann Orgel- und Kantatenausgrabungen sowie große Opern-Uraufführungen. Dass Steffen Lieberwirth, Leiter der Musikabteilung beim Hörfunksender MDR KULTUR, dem Jazz eine kostenaufwändige Jahresproduktion widmet, ist kein Zufall. Die Förderung von Jazz hält er für ebenso wichtig, wie die Neuer Musik: Hier sehe ich MDR KULTUR als Mäzen, hier hat der Rundfunk einen öffentlichen Auftrag im allerbesten Sinn zu erfüllen. Im Ü-Wagen geht die Aufnahmearbeit weiter, BigBand-Sound füllt das mobile Studio, beeindruckend bereits
in dieser ersten Abmischung, dem so genannten Rough Mix. Crassers Ansprüche an die Musiker sind hoch:
Nicht immer ist er auf Anhieb mit Timing oder Intonation zufrieden. Dann bittet er den Leiter der BigBand, den Altsaxophonisten
Frank Nowicky, um die Wiederholung einiger Takte des Titels Peel Me A Grape von David Frishberg, der heute
Nachmittag auf dem Produktionsplan steht.
Dass Harry Nicolai und Steffen Lieberwirth gerade die LeipzigBigBand porträtieren, macht Sinn. Wie kaum ein anderes Ensemble steht die erst zwei Jahre alte Band für die junge Jazzszene der Region. Jazz hatte in Leipzig schon immer einen festen Platz im Kulturleben der Stadt. Widerstände gab es dennoch genug: In der DDR galt Jazz als unangepasst und aufmüpfig, heute ist er als zu unkommerziell abgestempelt und leidet an finanzieller Ausblutung. Noch mehr als anderswo klagen in Leipzig Clubs und Veranstalter über fehlende Mittel und ausbleibende Besucher. Mittlerweile machen ausländische Künstler bereits einen Bogen um die Stadt. Selbst den renommierten Leipziger Jazztagen, die in der ersten Oktoberwoche 2001 ihr 25-jähriges Jubiläum feierten, wollte die Stadt wenige Wochen vor Beginn fest zugesagte Landeszuschüsse von etwa 40.000 Mark (mehr als ein Achtel des Gesamtetats) nicht auszahlen. Nur durch massive Proteste konnte dies verhindert werden. Wie kann eine BigBand, die ohne Subventionen auskommen muss, in einem derart schwierigen Klima leben und gedeihen? Dazu Frank Nowicky: Unsere Idee bestand darin, zweimal im Monat einen BigBand-Abend zu gestalten, bei dem die BigBand sich eine Stunde mit konzertanten Titeln ausprobiert und anschließend können die Besucher zwei Stunden zu kommerziellerer Musik tanzen. Gemeinsam mit den Machern der Leipziger Schaubühne Lindenfels gelang es Nowicky, dieses Konzept zu verwirklichen. Nach über einem Jahr regelmäßiger Auftritte scheint der Erfolg zu beweisen, dass die LBB in eine Marktlücke gestoßen ist und sich selbstbewusst als Initiator eines Leipziger Swing-Revivals bezeichnen kann. Inzwischen engagiert auch mal das Büro des sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf das Jazzorchester für einen Galaempfang oder das Dresdner Hotel Kempinski fragt die BigBand an. Wie die Leipziger es schaffen, auf derart unterschiedlichen Hochzeiten zu tanzen, hat mehrere Gründe. Zunächst ist hier das überdurchschnittliche Engagement aller beteiligten Musiker zu nennen, das weit über die auch bei Jazzern verbreitete Telefonband-Mentalität hinausreicht. Weiter spielt natürlich das hohe musikalische Niveau der Band eine Rolle, deren Mitglieder fast ausschließlich Profis sind. Nicht unerheblich dürfte aber auch sein, dass Nowicky und seine Musiker ein Repertoire draufhaben, das dreigeteilt ist und damit auf den jeweiligen Spielort exakt zugeschnittene Programme erlaubt. Da gibt es die traditionelle BigBand-Literatur im Swingstil: In The Mood, Take The A Train, oder Satin Doll. Zum Langsamen Walzer, Tango, Cha Cha Cha und Disco Fox laden Quiet Lady, Tame Thy Pen, Oye Como Va oder Watermelon Man ein. Anspruchsvolles verbirgt sich im dritten Repertoireteil mit eher konzertanter BigBand-Literatur: Have You Heard von Pat Metheny, Prelude, Fuge And Riffs von Leonard Bernstein, Half Nelson von Miles Davis oder I Remember Bird von Oliver Nelson. Im Laufe der Zeit steuerten Frank Nowicky und andere Bandmitglieder immer wieder neue Kompositionen bei. Zu einer Art Markenzeichen hat sich die Arbeit mit Sängerinnen wie Die Wildflowers, Anke Lautenbach, Sabine Helmbold und Johanna Jellici entwickelt. Ein Avantgarde-Ensemble ist die LeipzigBigBand nicht, das gibt Nowicky unumwunden zu: Die Wurzeln liegen im Swing, Soul, Gospel und Rockjazz. In einer Zeit, wo die Rundfunkorchester immer weniger werden, große Jazz-Orchester nur noch projektbezogen arbeiten, ist es jedoch kein geringes Verdienst, ein neues Ensemble in der bundesdeutschen Jazzlandschaft zu installieren. Schließlich sind BigBands auch heute noch die wichtigsten Keimzellen der Jazzmusik. Nowicky weiß das, war er doch selbst einst Mitglied im Bundesjazzorchester (als erster Ostler wie er schmunzelnd anmerkt). Heute ist er zufrieden, dass es ihm gelingt, seine Band zusammenzuhalten und dass sie sich ein Publikum erspielt hat. Doch die Reise geht weiter: Ich möchte so modern und jugendgemäß wie möglich spielen, nicht nur eine traditionelle Schiene bedienen. Das war ja auch der Grund, warum ich mich beim Bundesjazzorchester so unheimlich wohl fühlte nämlich diese wunderbaren neuen Arrangements und Kompositionen von den Newcomer-Musikern spielen zu können. Wenn Nowicky mit einer Begeisterung, die sich auch auf den Zuhörer überträgt, von der LeipzigBigBand und seinen vielen weiteren Plänen und Projekten erzählt, dann ahnt man, dass man hier einem Menschen gegenüber sitzt, dem die Begabung für Musik nicht als einzige in die Wiege gelegt wurde: Über seiner Arbeit könnte das Motto stehen: Komponieren, Arrangieren, Dirigieren, Organisieren. Ohne sein Talent fürs (Selbst-)Management hätte Nowicky seine Ideen niemals so effizient in die Realität umsetzen können und sicher auch nicht ohne jazzbegeisterte Mitstreiter wie zum Beispiel dem doppelt begabten David Timm, Kirchenmusiker, Dirigent und Jazzpianist. Zusammen mit einigen Blechbläsern des Rundfunkblasorchesters Leipzig war Timm neben Nowicky treibende Kraft bei der Gründung der BigBand gewesen. Das war im Sommer vor zwei Jahren und man darf den Gründungs- und weiteren Bandmitgliedern dazu gratulieren, dass sie es geschafft haben, einem derartig komplexen Gebilde wie einer nicht subventionierten BigBand zu einem dauerhaften Leben zu verhelfen: Es bleibt dem Orchester zu wünschen, dass es weiterhin an Profil gewinnt, sich als Kristallisationspunkt der Leipziger Szene bewährt und annähernd zehn Jahre nach der Abwicklung der Radiobigband Leipzig zu einem der Motoren der mitteldeutschen Jazzlandschaft wird. Andreas Kolb Sendetermine
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