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Musikalische und gesellschaftliche Fragen in Zusammenhang zu stellen, bleibt meist dem Hörer im stillen Kämmerlein überlassen. Dass es auch anders geht, demonstrierte erneut das Darmstädter Jazz-Institut, das zum 7. Jazz-Forum geladen hatte. Unter dem Thema Jazz und Gesellschaft referierten namhafte Experten aus verschiedenen Bereichen über gegenseitige Einflüsse von Jazz und Gesellschaft, über Lebensumstände von Musikern aus den USA und Europa sowie über ästhetische Fragen. Eine lockere Atmosphäre und ein hohes inhaltliches Niveau kennzeichneten das Symposion. Gesellschaftliche Verhältnisse in den Staaten waren es, die zur Entwicklung einer Musik führten, die zugleich Ausdruck von Unterdrückung als auch eines immensen Freiheits- und Individualitätswillens war und ist. Die Einflüsse gesellschaftlicher Bedingungen auf die Entwicklung des Jazz sind vielfältig. Selbst im Swing, dessen Ära meist als Höhepunkt der Anpassung des Jazz an eine Macht betrachtet wird, gab es Bestrebungen, den Jazz mit den kulturellen Radikalismen der New-Deal-Zeit zu verknüpfen. Der Swing wurde, so Lewis Erenberg aus Chicago, als Vehikel benutzt, mit Hilfe dessen man zur Anerkennung afro-amerikanischer Kultur und zur Rassenintegration einen Beitrag leisten konnte. Wie sehr schwarze Musik danach als Ideal an Ansehen gewonnen hatte, referierte Kollegin Ingrid Monson. Wachsendes Bewusstsein von Afroamerikanern hatte auf eine schwarze Ästhetik Auswirkungen, was sicher noch stärkerer Thematisierung bedurft hätte. Immerhin wurden Parallelen zu klanglichen Entwicklungen in Europa gezogen. Einleitend nahm Wolfgang Sandner selbstkritisch die Jazz-Kritik aufs Korn, der er windige Kriterien vorhielt. Krampfhafte Klassik-Vergleiche und apologetische Tendenzen verhinderten oftmals die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Am Beispiel Björk würde außerdem deutlich, wie sehr die Musikindustrie ihre Finger im Spiel hat. Jazz-Kritiken als historische Quellen hat Ralf-Peter Fuchs gesichtet, um die Rezeption des Jazz im Nachkriegs-Deutschland deutlich zu machen. Sie bildete einen zentralen Punkt des dreitägigen Symposions. Während unmittelbar nach dem Krieg noch viele Fehlinformationen über den Jazz kursierten und ein junges Publikum auf der Suche nach Identität mit eben jener von den Nazis verfemten Musik sich der Gesellschaft entgegenstellte, verlief 1953 die Jazz-Debatte im akademischen Rahmen. Am Beispiel der Adorno-Berendt-Debatte hier Jazz als Wiederholung des immer Gleichen, dort als kreative Kunst verwies Christian Broecking auf den beginnenden kulturellen Stellenwert des Jazz. Immerhin fand die aus heutiger Sicht antiquiert wirkende Kontroverse in der angesehenen Kultur-Zeitschrift Merkur statt. Davon profitiert die heutige Jazz-Szene. Sie hat, wie In-stitutsleiter Wolfram Knauer ausführte, kreative Kräfte gebündelt, ist lebensfähig. Ernüchternd dann die Bilanz von Peter Niklas Wilson. Der Musikologe sprach von der sozialen Irrelevanz improvisierter Musik, womit er freilich nur einen Teil des Jazz meinte. In Fähigkeiten wie Flexibilität, Selbstorganisation und Kommunikation, Ingredienzien improvisierter Musik, sieht Wilson ein Survival-Training für die psychischen Anforderungen der post-industriellen Gesellschaft. Die Welt der Improvisation als beste aller Welten: Nur merkts eben wieder kein Schwein. Neben der Theorie hatte das Jazz-Forum auch wieder Praxis zu bieten. Die drei Konzertabende waren zwar nicht ganz so themengebunden wie in den Vorjahren, doch boten sie erstklassigen Jazz. Die Zuschauer waren aufgefordert, die HR-Bigband unter der Leitung von Bill Holman als urbanen Ort des Zusammenspielens zu erforschen und dem brillanten Gastsolisten Wycliffe Gordon auf der Posaune zu lauschen, was es dann auch tat. Anderntags dann war ein Trio um einen der spannendsten Pianisten Europas, Antonio Farao, zu hören, sowie Altmeister James Moody und das Pierre Dörge New Jungle Orchestra. Reiner Kobe |
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