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Weder beruflich noch privat gehörte er je zu den Redseligen. Vor allem in seinen Anfängen schien der verschlossene, maulfaule Clint Eastwood die Einheit von Leben und Werk zu verkörpern. Wortlos schoss er einen Mann vom Galgen wie in Zwei glorreiche Halunken, und genauso schweigend und einsam wie als rätselhafter Westernheld gab sich der Schauspieler auch als Mensch und Kollege. Ein Foto aus den frühen 60er-Jahren zeigt ihn in einer Drehpause seiner CBS-Fernsehserie Cowboys: Er sitzt auf der Veranda einer Ranch, wippt auf einem Holzhocker, lässig, ganz allein, in sich gekehrt, den Blick in die Ferne geheftet, die Beine übergeschlagen; sein Hut hängt auf der Fußspitze. In dieser Zeit, den ersten 16 Jahren seiner Karriere, hat Clint Eastwood sein Geheimnis nie gelüftet.
Allerdings gab sich auch nie jemand die Mühe, es aus ihm herauszuholen. Eastwood war kein begehrter Interviewpartner. Er war nicht Bogart und auch nicht John Wayne. Keine Kim Novak und keine Marilyn Monroe hätte sich auf dem Gelände der Traumfabrik nach ihm umgesehen. Dass Burt Lancaster oder Kirk Douglas je mit ihm einen trinken gingen, ist nicht bekannt. Er lebte sein eigenes Leben, fern vom Party-Trubel Hollywoods. Und die Kritiker bekamen Magenschmerzen, wenn sie seine Filme zu begutachten hatten. Das einzige, wofür sie ihm dankbar gewesen sein müssen, war, dass sie an ihm so richtig schön die Messer wetzen konnten. Pauline Kael, die berühmte Schreiberin des New Yorker, hat, als sie vor einigen Jahren in Rente ging, öffentlich bedauert, dass sie nun nicht mehr Clint Eastwood quälen könne, wie sie das ihr gesamtes berufliches Leben lang getan hat. Das sei der einzige Nachteil ihres Ruhestandes, seufzte sie. Westernheld mit süßem Geheimnis1971 hatte Clint Eastwood in 22 Kinofilmen gespielt, vornehmlich in B-Movies von Don Siegel und Spaghetti-Western von Sergio Leone. Sieben Jahre lang war er außerdem seinen Landsleuten als Fernseh-Cowboy in die Wohnstube geritten. Zwar umwehte ihn bereits die Aura des Außenseiters, der sich nicht beirren lässt. Dennoch: Viel mehr konnte nicht kommen, würde er ewig so weitermachen. Die Zeit war also reif, sein Geheimnis preiszugeben: Clint Eastwood war dem Jazz verfallen. Ein Doppelleben hatte er all die Jahre geführt, man rieb sich die Augen. Noch war er nicht so weit, dass er, wie Jahre später, anmerken konnte, Western und Jazz seien die einzigen wahren Kunstformen, die Amerika hervorgebracht hat. Solche tiefschürfenden Aussagen waren ihm, dem großen Schweiger, damals noch nicht zu entlocken. Doch gleich mit dem ersten Film, den der immerhin schon 41-Jährige
als Regisseur hinlegte, einem Thriller, bewies er seine offenbar tief
sitzende Abhängigkeit von der Droge Jazz: In Play Misty For
Me (Deutscher Titel: Sadistico - Wunschkonzert für einen
Toten) peitschten keine Pistolenschüsse mehr in felsigen Schluchten.
Stattdessen rollte aufreizend Erroll Garners Klavier. Zwar führte
auch der Trip des von Eastwood gespielten Radio-DJs Dave Garland nach
Westen. Dies aber nicht, wie früher, auf dem Rücken eines Pferdes
hinein in den Sonnenuntergang, sondern am Steuer eines Cadillacs nach
Kalifornien zum Monterey-Jazzfestival, wo die Gebrüder Adderley mit
Soul-Jazz der Hippiejugend einheizten.
Aber immerhin, der andere, der swingende Eastwood war aus dem Schatten getreten und dachte nicht daran, es mit diesem einmaligen Auftritt bewenden zu lassen. Im Melodram Honky Tonk Man (1982) , spielte er, wieder in eigener Regie, den so begabten wie versoffenen, Pillen schluckenden Country & Western-Helden Red Stovall nachempfunden dem legendären Hillbilly-Helden Hank Williams. Und erneut gab Eastwood zum Staunen Anlass: Er konnte singen und Gitarre spielen. Kein Playback, kein synchrones Bewegen der Lippen zur Stimme eines anderen, wie das meistens geschieht, wenn Schauspieler Musiker abgeben müssen. Der Mann am Klavier Zwei Jahre später wieder eine faustdicke Überraschung: Clint
am Klavier, jazzig, bluesgesättigt, auch hier selbst spielend. Die
Kamera erfasste seine langen feingliedrigen Hände auf den Tasten.
Der Bulle und der Schnüffler hieß dieser Film.
Den deutschen Hollywood-Regisseur Wolfgang Petersen muss die Szene so
beeindruckt haben, dass er Clint Eastwood Jahre später, 1993, noch
einmal und noch überzeugender ans Klavier holte: als Barpianisten
und reaktivierten Sicherheitsbeamten Frank Horrigan in In the Line
of Fire die zweite Chance. ein von Liebe, Leidenschaft und Sachkenntnis durchdrungenes Opus Bird, die Lebensgeschichte des genialen, selbstzerstörerischen Bebop-Altsaxophonisten Charlie Parker, war kein behutsamer Ausflug ins andere Lager mehr. Dies war die große Session, bigbandhaft inszeniert, ein Fest für Cinéasten und Jazz-Insider. Nicht ohne quälende Elemente freilich für den Zuschauer, da
Eastwood gnadenlos fast drei Stunden Konzentration forderte. Mit Bird,
für dessen Soundtrack sein musikalischer Direktor Lennie Niehaus,
selber ein bedeutender Saxophonist und Lehrer, die Originalsoli von Parker,
Dizzy Gillespie und anderen Heroen der 40er-Jahre verwendete, erlangte
der einstige Revolverheld ein Renommee in der Jazzszene, wie es vor ihm
noch kein Filmschaffender hatte. Musikalische Jugend in KalifornienGeboren 1930 in San Francisco, verbrachte er den größten Teil seiner Jugend in diversen kalifornischen Regionen. Bei den Eastwoods, einer hochmusikalischen Familie, stand ein Klavier, auf dem der Junge früh herumklimperte, zunächst fasziniert vom Boogie Woogie Albert Ammons und Meade Lux Lewis. 1943, als Clint 13 war, kam seine Mutter nach Hause, einen Stapel Platten des gerade verstorbenen Stride-Piano-Meisters Fats Waller im Arm. Dieser Mann war der Größte, schwärmte sie und empfahl: Nimm Dir ein Beispiel an ihm!, was beim Sohn auf fruchtbaren Boden fiel.
Er übte wie besessen. Mit seinen Schulfreunden zog der Teenager
durch die zahllosen kalifornischen Klubs. Er hörte die Big Bands
von Stan Kenton, Woody Herman und Count Basie. Er stand starr vor
Staunen, was die jungen Wilden wie Parker und Gillespie, Coleman
Hawkins und Lester Young auf dem Horn hinbekamen. Und er lernte
den jungen Pianisten Dave Brubeck schätzen, dessen Karriere in den
Aulen der Universitäten begann. 1995 hat Eastwood den für ihn so wichtigen musikalischen Impulsen seiner Jugendjahre im Film Die Brücke am Fluss kleine Denkmäler gesetzt Leckerbissen für Eingeweihte. Nicht nur als Hintergrundmusik, sondern als diskrete dramaturgische, die erotische Spannung zwischen ihm und Meryl Streep steigernde Elemente setzte er die Balladen seiner frühen Lieblingssänger ein: Dinah Washington, Barbara Lewis, Johnny Hartmann. Einen Nachtklub, in dem das Bluesleben pulsiert, nannte er Blue Note Hommage an das legendäre Schallplatten-Label, auf dem in den 40er-, 50er- und 60er-Jahren jeweils die neuen Zeitalter des Jazz eingeläutet wurden. Drei berühmte Leute tun in diesem Land etwas für Jazz, hat der Trompeter Wynton Marsalis 1998 in einem Interview gesagt: Bill Clinton, Bill Cosby und Clint Eastwood. Der ehrende Satz, so wurde aus Eastwoods Freundeskreis kolportiert, habe ihn mindestens so glücklich gemacht wie der Oscar für Erbarmunglos. Ehre für Johnny MercerIm selben Jahr schmunzelte man in Hollywood und auf der Jazzszene über Clint Eastwoods entweder echte oder kokettierende Naivität. Der Produzent und Regisseur sprach über die Enstehungsgeschichte seines neuen Thrillers Mitternacht im Garten von Gut und Böse und gab treuherzig ein nicht unbedingt glaubhaftes Detail preis. In der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellers von John Berendt geht es um einen mysteriösen Mordfall in einer Villa in Savannah/Georgia. Als man ihm das Drehbuch anbot, so Eastwood nun, habe er gar nicht gewusst, dass es sich um dieselbe Villa handelt, in der einst lange vor jenem Mordfall der berühmte Jazzballadentexter, -komponist und -sänger Johnny Mercer (1909 bis 1976) wohnte, Autor von Evergreens wie Jeepers Creepers, Moon River und Autumn Leaves. Erst als er es mit Verspätung erfuhr, habe er, Eastwood, beschlossen, der Jazzlegende Mercer qua Soundtrack die gebührende Ehre zu erweisen. Wers glaubt wird selig, lästerten die Leute aus seinem Team gutgelaunt hinter vorgehaltener Hand, Clint kennt den Mercer-Katalog auswendig und weiß jedes Detail aus dessen Leben. Wie auch immer: Eastwood huldigte dem Meister geradezu überschwenglich. Für den Soundtrack des Films wurden ausschließlich Mercer-Songs ausgewählt, gesungen unter anderen von Tony Bennett, Frank Sinatra, K.D. Lang, Cassandra Wilson und Alison Eastwood, seiner Tochter. Sie ist Clints ganzer Stolz, sieht hinreißend aus und hat eine wunderbare Stimme. Seinem Sohn Kyle dagegen, als Bassist und Bandleader kürzlich im Night-Club des Münchner Hotels Bayerischer Hof zu bewundern, bleibt die Stimme auf der Bühne meistens weg. Der schlaksige blonde Youngster mit dem Ziegenbärtchen scheint, auch was die Maulfaulheit betrifft, seinem Daddy nachzueifern. Conférence während des Auftritts ist seine Sache nicht doch dafür hat er in einem Interview bereitwillig erzählt, dass er alles im Leben und vor allem die Liebe zum Jazz seinem Vater verdanke. American HeroDessen einstiges Doppelleben hat sich inzwischen mit der Filmexistenz zu einem untrennbaren Ganzen verschmolzen. Unter Clint Eastwoods Firmendach Malpaso führen seine Filmproduktion, seine Schallplattenfirma und sein Musikverlag ein gleichberechtigtes Dasein. Längst muss der mittlerweile ergraute, 70 Jahre alte American Hero (so nannte ihn das Magazin Rolling Stone) keine geheimen Botschaften mehr aus dem Zauberreich des Jazz in seine Filme schmuggeln. Im Gegenteil: Immer wenn er sich zurückzieht und mit ungebrochener Energie Drehbücher liest, Produktionspläne erarbeitet und Schauspielerkollegen fragt, ob sie frei sind, einen Film mit ihm zu machen dann, so wissen seine Mitarbeiter, ist die spannendste Frage noch lange nicht beantwortet: Welche Musik wird wohl zu hören sein? Welche Überraschung wird er uns diesmal bescheren? Komponist: Clint EastwoodIn dem Justizdrama Ein wahres Verbrechen (1999) wartete die kanadische Sängerin und Pianistin Diana Krall mit einer solchen Überraschung auf: Sie steuerte die Ballade Why Should I Care zum Soundtrack bei Komponist: Clint Eastwood. Auch Eastwoods jüngstes Werk Space Cowboys ist wieder ein musikalisches Festmahl mit unterschiedlichsten Zutaten: das Leitmotiv, komponiert von ihm selbst, die kongeniale Filmmusik seines langjährigen Freundes und Mitstreiters Lennie Niehaus, eingesprenkelte Songs von Willie Nelson und Neil Young, Saxonphonsoli von Josua Redman. Am schönsten aber, nach den vielen Soul-, Blues- und Folkeinlagen, die einem in dieser hinreißenden Alte-Männer-Komödie das Herz wärmen, ist der letzte Titel, eingespielt zur Schlussszene, in der Cowboy Tommy Lee Jones an einem Mondkrater sitzend die letzte Ruhe gefunden hat: Frank Sinatra, begleitet von Count Basie, singt Fly Me To The Moon. Ein Lied aus der Zeit, als viele den Jazz noch am liebsten zum Mond geschossen hätten. Dass er dort nie landen wird, verdanken wir Leuten wie Clint Eastwood. Andreas Odenwald ServiceFilmografie
Clint Eastwood im Internet
Anspieltipps
Soundtracks (Auswahl)
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