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Jazzzeitung
2010/02 ::: seite 13
rezensionen
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Stefano Battaglia – Michele Rabbia
Pastorale
ECM 2120 2713764
„Pastorale“ von Stefano Battaglia und Michele Rabbia ist
nicht nur ein Fest für alle Fans von Piano-Drum Duos. Nach seinen
beiden ECM Veröffentlichungen „Raccolto“ und „Re:Pasolini“ beschreitet
Battaglia gemeinsam mit seinem vertrauten Percussionisten Rabbia auf „Pastorale“ nun
wieder Duo-Pfade, die er bereits vor Jahren (mit Tony Oxley und Pierre
Favre) begann. Eindrucksvoll ruft Battaglia dem Hörer mit seinem
Spiel ins Gedächtnis, dass das Klavier auch eine Art Perkussionsinstrument
ist, während Rabbia seinen Becken und Trommeln wiederum luzide Töne
und Klänge entlockt. „Pastorale“ besticht im Höreindruck
vornehmlich durch lyrische, tonal vielschichtige Klanginseln, die schwebend
luftig, fast sakral, daherkommen und trotzdem geprägt sind durch
einen freien experimentell improvisatorischen Ansatz. Dabei wirkt das
Zusammenspiel der beiden niemals zerrend oder aufgesetzt, trotz enormer
Komplexität der Kompositionen. Es wird mit Pausen und Stille gearbeitet,
präpariertem Klavier und/oder zum Teil, sparsam eingesetzten, elektronischen
Klängen. Das Spektrum der Themen wechselt zwischen folkloristischen
Motiven, abstrakten Soundscapes, frei angelegten Improvisationen und
zum Teil meditativ rhythmisch melodischen Phrasen. Beeindruckend: mit
dem Titelstück „Pastorale“, inspiriert von Rilkes erstem
Sonett aus dem Zyklus „Die Sonette an Orpheus“, und „Tanztheater“,
einer als Suite angelegten Hommage an Pina Bausch, verbeugen sich beide
Musiker ehrfürchtig vor zwei großen Meistern.
Thomas J. Krebs
Pascal Schumacher & Jef Neve
Face to Face
enja 2010
Konzerthäuser sind zurzeit sehr engagiert, die Grenzen zwischen
Jazz und E-Musik aufzubrechen. Da kommt ihnen der Vibraphonist Pascal
Schumacher gerade recht, denn dieser vermag so vieles, um sich jeder „jazzpolizeilich“ korrekten
Schablonenhaftigkeit erfolgreich zu verweigern. Zusammen mit seinem Landsmann
Jef Neve am Piano hat er sich nun auf eine Duo-Begegnung eingelassen.
Der Titel „Face to Face“ könnte nicht programmatischer
sein. Vielversprechend markiert der Auftakt die hohe Spielkunst, aber
auch die künstlerischen Ideale der beiden: Weit sind die Tore offen
zur Minimal Music mit ihren ruhelos pulsierenden Pattern und Texturen.
Erstaunlich, wie sich beide Klangwelten hier vereinen und nie miteinander
in Konkurrenz treten – wie es in der Besetzung Klavier plus Vibrafon
nur zu oft passiert. Aus der stilistischen Hommage entwickeln sich expressive
Ausbrüche, tosende Crescendi und pulsierende Synkopengrooves. Das
treibt voran, wirkt aber zuweilen auch wie impressionistisch aufgeladene
Filmmusik. Vereinzelt wird es jedoch gar zu süßlich – dabei
ist ein Wohlklang um jeden Preis wirklich nicht das, was dieses Duo nötig
hätte. Doch schon im nächsten Moment geht es wieder auf konzentrierte
Höhenflüge. Ganz groß, wie sich Pascal Schumachers vertrackte
Tongirlanden mit Jef Neves virtuosen Flügelstürmen in pochender,
vibrierender Rhythmik immer wieder verzahnen! Und ein nicht minder beflügelter
melodischer Erfindungsgeist kreiert so manches Thema, das auch für
einen schönen Popsong taugen würde, weil es schon beim ersten
Hineinhören sehr vertraut wirkt.
Stefan Pieper
Mulo Francel & Evelyn Huber
Songs of Spices
GLM/Fine Music FM 142-2
Wer Mulo Francel von Quadro Nuevo ist, das weiß ein einigermaßen
Musikkundiger inzwischen mit 100-prozentiger Sicherheit. Dass der Saxophonist
und Multiinstrumentalist aber auch bereits seine vierte CD mit der Harfenistin
Evelyn Huber aufgenommen hat, das sollte auf alle Fälle bekannt
werden. „Songs of Spices“ ist nämlich wie die übrigen
Alben ein überaus hörenswertes und ungewöhnliches Werk
geworden. Wie der Titel aussagt, geht es den beiden hier um die Welt
der Gewürze: Kakao, Koriander, Paprika, Safran, Rosmarin, Lavendel,
Knoblauch und so manch anderem wohl riechendem Kraut erweisen die beiden
eine musikalische Referenz. Das gelingt manches Mal mit schmissiger Treffsicherheit – zum
Beispiel im feurig-scharfen „Paprika“, einem Lied, das man
sich in geselliger Runde in Ungarn ausdachte, mal etwas rätselhaft
wie beim sowieso etwas weniger bekannten „Liebstöckel“,
dem so genannten Maggi-Kraut, dem eine Hommage an die Kindheit gewidmet
wird. Das von Evelyn Huber komponierte „Lavendel“-Lied bezaubert
mit einer beruhigenden Saxophonlinie, durchsetzt mit konturiert gezupften
Harfentönen: rein und frisch wie das blau blühende Kraut. Überhaupt – was
die Weltmusik-Harfenistin ihrem ansonsten eher klassisch verwendeten
Instrument für Töne entlockt, das ist absolut bemerkenswert:
mal glaubt man, eine Gitarre zu hören, mal benutzt sie die Seiten
rhythmisch wie ein Schlagzeug, mal klingt es wie eine Lyra. Ein akustischer
Ohrenschmeichler, der den hoffentlich lauen Frühlingsabenden sicherlich
die nötige Würze verleihen wird.
Ursula Gaisa
Colin Towns & HR-Bigband
Visions of Miles – The Electric Period of Miles Davis
In + Out Records 77101-2
Reduktion auf aphoristische Sentenzen ist die
Signatur für „The
Electric Period Of Miles Davis“ zum Ende der 1960er, als er mit „Bitches
Brew“ die Rockbeats in den Jazz holte. Einige von diesen hypnotischen
Motiven hat Colin Towns zu seinen „Visions Of Miles” für
die HR-Bigband arrangiert.
Den eigentlich relativ kargen Lineaturen hat Colin Towns mehr harmonisches
Rückgrat hinzu gefügt, dem er sukzessive sozusagen orthopädische
Stabilität gibt. So wird das Riff zu „Black Satin“ durch
die Reprisen wie in einem Kanon verdichtet, wobei der hart pulsierende
Rhythmus von Wolfgang Haffner an den Drums und Farouk Gomati an diverser
Perkussion nachhaltigen Druck bekommt. Die Trompetensektion ist dabei
zentrales Klangorgan, multipliziert mit den Aktionen am Elektropiano
von Vladislav Sendecki den Trance-Effekt der Phrasen, so die Echosignale
des „Spanish Key“. Solisten wie Axel Schlösser imitieren
nicht den Stil von Miles Davis, sondern treiben die asketischen Floskeln
etwa in „Moja“ zu ekstatischen Empfindungen. Außer
um elektrische Aufladungen hat sich Colin Towns aber auch um lyrische
Ruhepole wie „He Loved Him Madly“ gekümmert und das
Ensemble in kontemplative Momente aus raffiniert verteilten Klangfarben
geführt. Er hat ein untrügliches Sensorium für die expliziten
und vor allem impliziten Facetten dieser Musik, weshalb seine Retrospektive
einer äußerst kreativen Zeit in Miles Davis‘ Biographie
nicht anders als kongeniale Aktualisierung zu bezeichnen ist.
Hans-Dieter Grünefeld
Tord Gustavsen Ensemble
Restored, Returned
ECM
Zunächst war er nur der Begleiter. Als sich der norwegische Pianist
Tord Gustavsen dann von Silje Nergaard emanzipierte, merkte man erst,
welches Kaliber da wieder einmal aus dem hohen Norden kam: Ein magischer
Melodiker, ein Großmeister eines bittersüßen Wohlklangs,
der doch jede Klippe des Klischees traumwandlerisch umschifft. Und ein
Klangstrukturalist, der dem klassischen Klaviertrio eine Alternative
zur stilbildenden Dynamik des Esbjörn Svensson Trios aufwies. Nach
drei Trio-Alben bei ecm und einigen persönlichen Verwerfungen aber
suchte Gustavsen nach neuen Wegen, experimentierte mit Big Band, Streichern,
und als Begleiter ganz unterschiedlicher Projekte. Nun ist er mit seinem
vierten ecm-Album „Restored, Returned“ sozusagen am Ausgangspunkt
angelangt, an dem er für seine wie immer hörbar dem Innersten
entsprungenen Geschichten nun erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten
gefunden hat, indem er sie in seinem nicht zufällig „Ensemble“ benannten
Quintett auch anderen überantwortet: dem warmen Tenorsaxophon Tore
Brunbergs; der eigenwillig betörenden, zugleich nordisch wie schwarz
klingenen Stimme von Kristin Asbjørnsen; und nicht zuletzt den
Gedichten des englischen Poeten W.H. Auden, die den gesungenen Stücken
wie dem sehr treffenden CD-Titel zugrundeliegen. Was alles zusammen Gustavsen
erst recht als einen der ganz großen kreativen Köpfe des europäischen
Jazz in Szene setzt.
Oliver Hochkeppel
Matthias Goebel
Q-Train, Brooklyn Bounce
Jazzsick 5029 JS
Einige Fäden der Jazzgeschichte sind noch nicht zu Ende gesponnen
und werden für Muster der Gegenwart wieder aufgehoben. So ist Matthias
Goebel, Vibraphonist aus Deutschland, bei seinem Debüt-Album vom
Dave Pike Set beeinflusst, dessen melodischer Jazz-Rock-Stil aus den
70ern schon zu Beginn „C-aro“ bis in typische Harmoniewechsel
hervor scheint. Nur, Philipp van Endert setzt durch verzerrten Gitarrensound
eigene Kontraste zu den dezenten Vibraphonlineaturen. Auch Trance-Akkorde
aus Punk-Reservoir über dem rapiden Bassostinato von André Nendza
und den Staccato-Punkten vom Vibraphon zu „This Is Edgar W.“ haben
einen ähnlichen Effekt. Doch die Spannungsbögen bleiben meistens
relativ flach, sind von diskreten Rhythmen, insbesondere beim Wiegenlied „Good
Night And Good Luck“, stabil gestützt. Zumal Kurt Billker
am Schlagzeug, außer bei seinem impulsiven Solo während der
turbulenten U-Bahnfahrt im „Q-train, Brooklyn Bounce“, mehr
integrativ als fordernd spielt. Darüber hinausweisendes Energiepotenzial
zeigt sich allerdings in der abstrakten Free Jazz Episode in „Beyond
My Faces“ und der offenen Latinstruktur von Marimba/Vibraphon Interplays
für „Friends?“, bei denen das Quartett am besten individuelles
Profil erreicht. Hier wird Jazzgeschichte produktiv weiter entwickelt,
hat Matthias Goebel als Komponist und Solist klare Eigenständigkeit.
Sein Vibraphon-Stil orientiert sich eben an langsamer Evolution.
Hans-Dieter Grünefeld
Hans Lüdemann – Trio Ivoire
Across the Oceans
enja
Als der deutsche Pianist Hans Lüdemann vor elf Jahren in Abidjan
erstmals mit dem von dort, also der Elfenbeinküste, stammenden Balafon-Spieler
Aly Keita spielte, war das die Keimzelle für ein bemerkenswert unaufgeregtes,
wohlklingendes und stimmiges Weltmusikprojekt. Das „Trio Ivoire“ – bis
vor zwei Jahren mit dem britischen Schlagzeuger Steve Argüelles,
nun mit dem Holländer Chander Sardjoe – lebte und lebt vor
allem von der spielerischen Freude am gegenseitigen Aufgreifen und Fortspinnen
von einfachen Melodien, bunten Klangfarben und Rhythmen. Der erfreulich
respektvolle Austausch der Kulturen bedeutet allerdings auch eine Harmonisierung.
Und so kommt auch auf dem neuen Album „Across The Oceans“ manches
recht schaumgebremst und harmlos daher, nicht zuletzt, wenn es bei „The
Virtual Piano“ auch mal über den Atlantik in Richtung USA
und Jazz geht. Statt einer bedächtigen Schau aller Facetten der
Band wie schon auf den Vorgängeralben hätte sich eine pointiertere,
engagiertere Gangart nicht zuletzt deswegen angeboten, weil „Across
The Oceans“ nicht nur geografisch gemeint ist: Das Album ist „dem
Volk von Zimbabwe gewidmet“, wo man noch 2007 und 2008 unter schwierigsten
Bedingungen spielte; das Traditional „Siwo“ mit der Sängerin
Chiwoniso deutet an, dass die CD mehr als eine nur halbherzig genutzte
Chance, mehr als ein wieder unzweifelhaft klangvolles, „schönes“ Album
hätte werden können.
Oliver Hochkeppel
Hiromi
Place to be
TELARC CD 83695
Seit mehr als sieben Jahren begeistert die 1979
geborene Pianistin Hiromi Uehara nun die Jazzszene. Bekannt geworden
durch virtuose Jazz-Rock-Fusion
Grooves, zeigte sie sich in den nachfolgenden Jahren auch bereits von
ihrer akustischen, „leisen“ Seite im Duo mit Chick Corea
oder im Trio mit Stanley Clarke und Lenny White. Nun ist es an der Zeit,
auch mit einer Soloaufnahme aufzuwarten. Kein einfaches Unterfangen,
sind die Erwartungen aller an eine solche Aufnahme und an die Auswahl
von Kompositionen hoch gesteckt. Bis auf „Berne, Baby, Berne!“,
einem Louie Bellson Standard, stammen alle Songs der Solo-CD „Place
To Be“ aus Hiromis Feder. Sie erzählt mit ihrem Spiel wundervolle
Geschichten von den portugiesischen „Island Azores“, widmet
dem quirligen Verkehr des Brooklyn Queens Expressway „BQE“ verrückt
virtuose Läufe oder erinnert sich an Situationen mit Freunden, Chips
und Süßigkeiten, die sie einfach mag. Melodien sind ein wichtiger
Bestandteil ihres Spiels und stehen, unabhängig von technischen
Finessen, bei Hiromis Kompositionen im Vordergrund. Ihr Stil groovt hier
im Fusion-Sinn weniger, dafür perlen Läufe und Harmonien am
Yamaha CFIIIS Concert Grand, dem Hiromis Anschlag eine ungeheuere Dynamik
entlockt, und der eine fantastische Plattform bietet. Mit begeisterlichem
Spiel stellt Hiromi unter Beweis, dass virtuose Technik zwar wichtig,
Musik ohne Seele oder ohne Melodie aber wenig Sinn macht.
Thomas J. Krebs
Rigmor Gustafsson & radio.string.quartett.vienna:
Calling You
ACT 9722-2
Das Wiener Radio String Quartet ist schon eine Schau. Mit ihrem Mahavishnu-Programm
haben sie – live noch zwingender als auf CD – einen neuen
Maßstab in Sachen Jazz für Streicherensemble gesetzt. Nahe
liegend, dass man bei ACT die vier großartigen Musiker nun mit
einer der vielen erfolgreichen Sängerinnen aus dem eigenen Stall
zusammenbringen wollte. In den ersten drei Nummern ergibt das auch gleich
eine feine Mischung: Rigmor Gustafssons Stimme schmiegt sich ganz natürlich
in die harmonisch und klanglich erstklassigen Arrangements („Still
crazy after all these years“) ein, einen herrlich altmodischen
Stampf-Swing zupft das Quartett zu „Goodbye for now“, der
besten Nummer auf der Scheibe. In den Vokalisen von „Makin’ Whopee“ deuten
sich freilich die vokalen Grenzen der charmanten Schwedin an, eine Tendenz
zum Säuseln oder zum Nachdrücken, die sich in einigen gefühligen
Pop-Songs unangenehm bemerkbar macht („I just don’t know…“, „If
it’s magic“, „Wherever we go“). Am Titelsong „Calling
you“, das Jevetta Steele für „Out of Rosenheim“ so
unnachahmlich gesungen hatte, scheitert sie entsprechend. Herrlich dann
aber wieder die locker hingeworfenen Nummern „Please don’t
stop“ oder „Nothing’s better than love“, und
für jene, die’s ein wenig abgedrehter mögen, spielt das
RSQ im „Dry Cleaner from Des Moines“ noch einmal so richtig
auf.
Juan Martin Koch
Pablo Held
Music
Pirouet-Records 2010
Pablo Held strotzt vor Selbstbewusstsein – sonst würde er
sein aktuelles, zweites Album wohl kaum einfach nur „Music“ nennen.
Die wahre Essenz, das authentische Aufgehen im Ganzen will sich offenbaren.
Und dafür bietet der 23-jährige Pianist zusammen mit seinen
ebenbürtigen Mitstreitern einiges auf in Sachen modernem Klavierjazz,
der sich aus der Flut zahlloser Jazz-Klaviertrio-Einspielungen mit gutem
Wiedererkennungswert heraushebt. ?
Robert Landfermann am Bass und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel bilden die
perfekte Verzahnung mit dem in Witten-Herdecke geborenen und heute in
Köln bei Hubert Nuss studierenden Überflieger-Pianisten. Held
wollte schon von kleinauf? Jazzpianist werden. Schon im zarten Alter
räumte er die „Jugend jazzt“-Preise nur so ab. Souverän,
wendig und kraftstrotzend ist seine Tastenkunst. Viele bevorzugte harmonische
Färbungen und Tonskalen zeugen von Pablo Helds großem Respekt
vor der amerikanischen Jazz-Moderne. Mit Miles Davis, Herbie Hancock
oder auch – vor allem in punkto unermüdlichem Forschergeist – Wayne
Shorter im Zentrum.
„Music“ legt nun eindrücklich Pflicht und Kür offen. Erstere
liegt im Verarbeiten, Weiterentwickeln, Hinterfragen eines immer weiter
wachsenden musikalischen Erfahrungsschatzes. Die Kür vollführt
das Pablo-Held-Trio im Anreichern eines solchen Kapitals mit eigener
Persönlichkeit. Hier ist überbordende Kreativität, ja
manchmal schwärmerische Emotionalität die Folge. Die Kompositionen
sind reich an raffinierten Details. Das garantiert entsprechende Kontrastprogramme:
Aus verspielten Arpeggien erwächst vertracktes modales Spiel, anderswo
markieren feinfühlige Klangmeditationen einen Prozess des Suchens,
bevor tiefempfundene Themen zu inneren Wesenskernen vordringen. Und es
rockt manchmal richtig, wenn die drei ein dynamisches Crescendo entfalten. „Music“ demonstriert überdies
ein raffiniertes Crossover. Jene verträumte „Ballade“ mit
ihrem verklärten, mystischen Farbenspiel scheint der sensiblen Ausdruckskunst
dieses Trios originär auf den Leib geschrieben. Dabei ist „O
Sacrum Convivum“ ursprünglich ein Chorstück von Olivier
Messiaen!
Stefan Pieper
A-Train:
Take the A-Train
CHAOS CACD 8324 rec. 12.–14.3.09
„A-Train“ ist der Name der „Landes-Akkordeon-Big-Band Hessen“,
heute aus 31 MusikerInnen bestehend, die Wolfgang Russ im Jahr 2000 auf
Initiative des Landesverbandes Hessen im Deutschen Harmonika Verband
gründete und seither leitet. Kein herkömmliches Akkordeonensemble
mit traditionellem Repertoire, sondern ein an Big Bands orientiertes
Orchester mit in Jazz/Rock/Pop-Workshops geschulten Mitgliedern, einer
guten Rhythmusgruppe, einem Sänger mit Stimme und Feeling und einem
Gast (Trompete), die Jazzstandards und andere Titel spielen. Wolfgang
Russ, im Jazz sehr versierter Musiker und Dozent, hat alle Stücke
bis auf zwei arrangiert und ein überzeugendes Ergebnis zustande
gebracht. Die Band geht richtig los. Zur „Nachahmung“ empfohlen.
Joe Viera
Manu Katché
Third Round
ECM
Anstatt Mutmaßungen darüber anzustellen, warum immer wieder
Alben mit Bezug zu den 1980er-Jahren auftauchen, ist anzunehmen, dass
Manu Katché freiwillig keinen Hehl daraus macht, in diesem Jahrzehnt
musikalisch sozialisiert worden zu sein. Seit den Lehrjahren in den Bands
von Sting und Peter Gabriel beherrscht er das Schlagwerk des Pop erfolgssicher.
Von erstklassigen Jazzern umgeben hat er bei ECM bereits mit zwei Alben
bewiesen, dass er seinem Instrument vielschichtigere Klänge abgewinnen
kann.
Diese dritte Runde als Bandleader wird Erwartungen an improvisationsgeleitete
Ensemblearbeit jedoch enttäuschen. Folgerichtig attestiert das Label
dem Album unverblümt ein „Jazz-Feeling“. Dass der Franzose
eine komplett neue Band mit Musikern aus Norwegen, London und den USA
um sich versammelt, wirkt eher unverbindlich und so will es auch nach
einem Dutzend Durchläufen nicht gelingen, einen einzigen Song im
Gedächtnis zu behalten. Wohl sind verschiedene Rhythmen und Arrangements
auszumachen, ebenso wie Spuren der Funk-Grooves, die Katché live
so genussreich ausspielt. Aber wenn die Sängerin Kami Lyle vom Mond
und den Sternen piepst und ihre Trompete auch nur mit Dämpfer dahinschweben
darf, sei die Frage angebracht, ob eine Öffnung zum Pop hin der
Musik wirklich einen Dienst erweist. Ebenso scheinen die Saxofone an
den Hintergrundmusiken amerikanischer Vorabendserien geschult. Einzig
der englische Pianist Jason Rebello bewahrt seine Integrität mit
eigenem Anschlag und Melodieführung.
Franziska Buhre
Fjoralba Turku Quartett
Joshua
Traumton
Sie ist noch jung, hat erst spät zum Gesang gefunden und dennoch
schon etwas Eigenes zum Jazz beizutragen: das albanische Element könnte
man nennen, was die bis zum neunten Lebensjahr in Albanien aufgewachsene,
heute in München lebende Fjoralba Turku da ins Great Songbook einführt.
Archaisch und melancholisch, in unseren Ohren mitunter fast wortspielerisch
klingen die albanischen Volkslieder und eigenen Texte, die Turku – aufgelockert
durch ein paar Stücke und Standards auf Englisch – auf ihrem
bei Traumton erschienenen Debütalbum „Joshua“ vorträgt,
benannt nach ihrem kleinen Sohn. Erstaunlich ist die Kraft und die Reichweite
der zierlichen jungen Frau, die mal nordisch hell, dann wieder sehr dunkel,
fast wie eine südosteuropäische Zarah Leander („Beautiful
Man“) klingen kann. Für den überraschenden und erfrischenden
Eindruck von Turkus Gesang dürfte außerdem keine geringe Rolle
spielen, dass sie aus einer Geigerfamilie stammt und zunächst selbst
Violine lernte. „Ich denke beim Singen immer daran, wie ich es
auf dem Instrument intonieren würde, ich singe sozusagen wie eine
Geige”, sagt sie selbst. Nicht minder eindrucksvoll sind die Arrangements,
für die meist die Pianistin (und auf zwei Stücken kongeniale
Gesangspartnerin) Andrea Hermenau verantwortlich zeichnet.
„Max.bab“-Bassist Benny Schäfer und der polyrhythmisch sehr
versierte junge Drummer Johannes Jahn runden den positiven Gesamteindruck
ab.
Oliver Hochkeppel
Carsten Daerr Trio
Wide Angle
Traumton 4537
Seit seinem Debüt-Album 2003 bricht das Carsten Daerr Trio die vielfach
herrschende Trennung von Solist und Begleiter auf; 2009, auf der vierten
CD, ist es nicht anders. Nur, dass bereits alle Ecken der Welt bespielt
wurden und unterschiedliche Erfahrungen aufgenommen. Mit Notizbuch und
Kamera festgehalten, dienen sie den neuen Aufnahmen, wie es heißt,
als „Assoziationsanker“. Komplexer ist das Spiel des Berliner
Trios nicht, eher transparenter, klarer strukturiert. Eng verzahnt sind
nach wie vor Komposition und Improvisation, die Klangsprache bleibt eigen.
Da die elektrische Orgel nicht mehr zum Einsatz kommt, ist Daerrs Spielweise
auf dem Klavier flächiger, perkussiver. Sounds und Stimmungen erzeugt
er jetzt eher mit minimalistischen Motiven, die ihre magische Wirkung
selten verfehlen. Cluster lösen sich in perlende Melodiegirlanden
auf, stehen neben gezielter Rücknahme der Opulenz und hingetupften
Motiven. Gestreift werden wieder alle möglichen Spielarten des Jazz,
von Bop oder Free bis Swing oder Ethno. Die Stücke, die oftmals
Reiseeindrücke vom Orient bis Hinterasien reflektieren, gerieren
vielfältige Atmosphären und machen den schillernden Klangcharakter
des Albums aus. Neben Leader Daerr sind selbstredend Oliver Potratz (b)
und Erich Schaefer (dr) gleichberechtigte Partner mit eigenen Ideen.
So wie letzterer keinen Stillstand kennt, von straightem Spiel bis zu
frei flottierenden Rhythmen, kann Potratz rhythmisch mithalten. Alles
andere als ein erstarrtes Klavier-Trio geben die Mannen um Carsten Daerr
ab.
Reiner Kobe
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