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Jazzzeitung

2010/02  ::: seite 13

rezensionen

 

Inhalt 2010/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Fletcher Henderson Farewell: Ed Thigpen


TITEL -
Gutes Echo auf den Jazz
Vom Überlebenswillen einer schlanken Musikrichtung


Berichte

Zweiter BMW Welt Jazz Award // Women in Jazz in Halles Oper // Pat Methenys „Orchestrion“-Auftritt in München // Preview: Zur Premiere des Festivals Elbjazz Hamburg // 28. Südtirol Jazzfestival Alto Adige


Portraits

Arbor Records Party und „Echoes of Swing“ in Florida – Teil 2 // Matthias Bublath // Harry Carney // Ornette Coleman // Rigmor Gustafsson und das radio.string.quartet.vienna // Herbie Hancock // Dieter Ilg // Mike Seltzer von „Manhattan Brass“ // Christoph Stiefel und sein Inner Language Trio // Die Augsburger Band „Swing tanzen verboten!“


Jazz heute und Education
Fünf Jahre Messe jazzahead // Christian Sommerer über seinen Posten als Leiter der Uni-Jazzensembles // Abgehört: Richard Bonas Bass-Solo zu „Play“ von Mike Stern

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

CDs

Stefano Battaglia – Michele Rabbia
Pastorale

ECM 2120 2713764

„Pastorale“ von Stefano Battaglia und Michele Rabbia ist nicht nur ein Fest für alle Fans von Piano-Drum Duos. Nach seinen beiden ECM Veröffentlichungen „Raccolto“ und „Re:Pasolini“ beschreitet Battaglia gemeinsam mit seinem vertrauten Percussionisten Rabbia auf „Pastorale“ nun wieder Duo-Pfade, die er bereits vor Jahren (mit Tony Oxley und Pierre Favre) begann. Eindrucksvoll ruft Battaglia dem Hörer mit seinem Spiel ins Gedächtnis, dass das Klavier auch eine Art Perkussionsinstrument ist, während Rabbia seinen Becken und Trommeln wiederum luzide Töne und Klänge entlockt. „Pastorale“ besticht im Höreindruck vornehmlich durch lyrische, tonal vielschichtige Klanginseln, die schwebend luftig, fast sakral, daherkommen und trotzdem geprägt sind durch einen freien experimentell improvisatorischen Ansatz. Dabei wirkt das Zusammenspiel der beiden niemals zerrend oder aufgesetzt, trotz enormer Komplexität der Kompositionen. Es wird mit Pausen und Stille gearbeitet, präpariertem Klavier und/oder zum Teil, sparsam eingesetzten, elektronischen Klängen. Das Spektrum der Themen wechselt zwischen folkloristischen Motiven, abstrakten Soundscapes, frei angelegten Improvisationen und zum Teil meditativ rhythmisch melodischen Phrasen. Beeindruckend: mit dem Titelstück „Pastorale“, inspiriert von Rilkes erstem Sonett aus dem Zyklus „Die Sonette an Orpheus“, und „Tanztheater“, einer als Suite angelegten Hommage an Pina Bausch, verbeugen sich beide Musiker ehrfürchtig vor zwei großen Meistern.
Thomas J. Krebs

Pascal Schumacher & Jef Neve
Face to Face

enja 2010

Konzerthäuser sind zurzeit sehr engagiert, die Grenzen zwischen Jazz und E-Musik aufzubrechen. Da kommt ihnen der Vibraphonist Pascal Schumacher gerade recht, denn dieser vermag so vieles, um sich jeder „jazzpolizeilich“ korrekten Schablonenhaftigkeit erfolgreich zu verweigern. Zusammen mit seinem Landsmann Jef Neve am Piano hat er sich nun auf eine Duo-Begegnung eingelassen. Der Titel „Face to Face“ könnte nicht programmatischer sein. Vielversprechend markiert der Auftakt die hohe Spielkunst, aber auch die künstlerischen Ideale der beiden: Weit sind die Tore offen zur Minimal Music mit ihren ruhelos pulsierenden Pattern und Texturen. Erstaunlich, wie sich beide Klangwelten hier vereinen und nie miteinander in Konkurrenz treten – wie es in der Besetzung Klavier plus Vibrafon nur zu oft passiert. Aus der stilistischen Hommage entwickeln sich expressive Ausbrüche, tosende Crescendi und pulsierende Synkopengrooves. Das treibt voran, wirkt aber zuweilen auch wie impressionistisch aufgeladene Filmmusik. Vereinzelt wird es jedoch gar zu süßlich – dabei ist ein Wohlklang um jeden Preis wirklich nicht das, was dieses Duo nötig hätte. Doch schon im nächsten Moment geht es wieder auf konzentrierte Höhenflüge. Ganz groß, wie sich Pascal Schumachers vertrackte Tongirlanden mit Jef Neves virtuosen Flügelstürmen in pochender, vibrierender Rhythmik immer wieder verzahnen! Und ein nicht minder beflügelter melodischer Erfindungsgeist kreiert so manches Thema, das auch für einen schönen Popsong taugen würde, weil es schon beim ersten Hineinhören sehr vertraut wirkt.
Stefan Pieper

Mulo Francel & Evelyn Huber
Songs of Spices

GLM/Fine Music FM 142-2

Wer Mulo Francel von Quadro Nuevo ist, das weiß ein einigermaßen Musikkundiger inzwischen mit 100-prozentiger Sicherheit. Dass der Saxophonist und Multiinstrumentalist aber auch bereits seine vierte CD mit der Harfenistin Evelyn Huber aufgenommen hat, das sollte auf alle Fälle bekannt werden. „Songs of Spices“ ist nämlich wie die übrigen Alben ein überaus hörenswertes und ungewöhnliches Werk geworden. Wie der Titel aussagt, geht es den beiden hier um die Welt der Gewürze: Kakao, Koriander, Paprika, Safran, Rosmarin, Lavendel, Knoblauch und so manch anderem wohl riechendem Kraut erweisen die beiden eine musikalische Referenz. Das gelingt manches Mal mit schmissiger Treffsicherheit – zum Beispiel im feurig-scharfen „Paprika“, einem Lied, das man sich in geselliger Runde in Ungarn ausdachte, mal etwas rätselhaft wie beim sowieso etwas weniger bekannten „Liebstöckel“, dem so genannten Maggi-Kraut, dem eine Hommage an die Kindheit gewidmet wird. Das von Evelyn Huber komponierte „Lavendel“-Lied bezaubert mit einer beruhigenden Saxophonlinie, durchsetzt mit konturiert gezupften Harfentönen: rein und frisch wie das blau blühende Kraut. Überhaupt – was die Weltmusik-Harfenistin ihrem ansonsten eher klassisch verwendeten Instrument für Töne entlockt, das ist absolut bemerkenswert: mal glaubt man, eine Gitarre zu hören, mal benutzt sie die Seiten rhythmisch wie ein Schlagzeug, mal klingt es wie eine Lyra. Ein akustischer Ohrenschmeichler, der den hoffentlich lauen Frühlingsabenden sicherlich die nötige Würze verleihen wird.
Ursula Gaisa

Colin Towns & HR-Bigband
Visions of Miles – The Electric Period of Miles Davis

In + Out Records 77101-2

Reduktion auf aphoristische Sentenzen ist die Signatur für „The Electric Period Of Miles Davis“ zum Ende der 1960er, als er mit „Bitches Brew“ die Rockbeats in den Jazz holte. Einige von diesen hypnotischen Motiven hat Colin Towns zu seinen „Visions Of Miles” für die HR-Bigband arrangiert.
Den eigentlich relativ kargen Lineaturen hat Colin Towns mehr harmonisches Rückgrat hinzu gefügt, dem er sukzessive sozusagen orthopädische Stabilität gibt. So wird das Riff zu „Black Satin“ durch die Reprisen wie in einem Kanon verdichtet, wobei der hart pulsierende Rhythmus von Wolfgang Haffner an den Drums und Farouk Gomati an diverser Perkussion nachhaltigen Druck bekommt. Die Trompetensektion ist dabei zentrales Klangorgan, multipliziert mit den Aktionen am Elektropiano von Vladislav Sendecki den Trance-Effekt der Phrasen, so die Echosignale des „Spanish Key“. Solisten wie Axel Schlösser imitieren nicht den Stil von Miles Davis, sondern treiben die asketischen Floskeln etwa in „Moja“ zu ekstatischen Empfindungen. Außer um elektrische Aufladungen hat sich Colin Towns aber auch um lyrische Ruhepole wie „He Loved Him Madly“ gekümmert und das Ensemble in kontemplative Momente aus raffiniert verteilten Klangfarben geführt. Er hat ein untrügliches Sensorium für die expliziten und vor allem impliziten Facetten dieser Musik, weshalb seine Retrospektive einer äußerst kreativen Zeit in Miles Davis‘ Biographie nicht anders als kongeniale Aktualisierung zu bezeichnen ist.
Hans-Dieter Grünefeld

Tord Gustavsen Ensemble
Restored, Returned

ECM

Zunächst war er nur der Begleiter. Als sich der norwegische Pianist Tord Gustavsen dann von Silje Nergaard emanzipierte, merkte man erst, welches Kaliber da wieder einmal aus dem hohen Norden kam: Ein magischer Melodiker, ein Großmeister eines bittersüßen Wohlklangs, der doch jede Klippe des Klischees traumwandlerisch umschifft. Und ein Klangstrukturalist, der dem klassischen Klaviertrio eine Alternative zur stilbildenden Dynamik des Esbjörn Svensson Trios aufwies. Nach drei Trio-Alben bei ecm und einigen persönlichen Verwerfungen aber suchte Gustavsen nach neuen Wegen, experimentierte mit Big Band, Streichern, und als Begleiter ganz unterschiedlicher Projekte. Nun ist er mit seinem vierten ecm-Album „Restored, Returned“ sozusagen am Ausgangspunkt angelangt, an dem er für seine wie immer hörbar dem Innersten entsprungenen Geschichten nun erweiterte Ausdrucksmöglichkeiten gefunden hat, indem er sie in seinem nicht zufällig „Ensemble“ benannten Quintett auch anderen überantwortet: dem warmen Tenorsaxophon Tore Brunbergs; der eigenwillig betörenden, zugleich nordisch wie schwarz klingenen Stimme von Kristin Asbjørnsen; und nicht zuletzt den Gedichten des englischen Poeten W.H. Auden, die den gesungenen Stücken wie dem sehr treffenden CD-Titel zugrundeliegen. Was alles zusammen Gustavsen erst recht als einen der ganz großen kreativen Köpfe des europäischen Jazz in Szene setzt.
Oliver Hochkeppel

Matthias Goebel
Q-Train, Brooklyn Bounce

Jazzsick 5029 JS

Einige Fäden der Jazzgeschichte sind noch nicht zu Ende gesponnen und werden für Muster der Gegenwart wieder aufgehoben. So ist Matthias Goebel, Vibraphonist aus Deutschland, bei seinem Debüt-Album vom Dave Pike Set beeinflusst, dessen melodischer Jazz-Rock-Stil aus den 70ern schon zu Beginn „C-aro“ bis in typische Harmoniewechsel hervor scheint. Nur, Philipp van Endert setzt durch verzerrten Gitarrensound eigene Kontraste zu den dezenten Vibraphonlineaturen. Auch Trance-Akkorde aus Punk-Reservoir über dem rapiden Bassostinato von André Nendza und den Staccato-Punkten vom Vibraphon zu „This Is Edgar W.“ haben einen ähnlichen Effekt. Doch die Spannungsbögen bleiben meistens relativ flach, sind von diskreten Rhythmen, insbesondere beim Wiegenlied „Good Night And Good Luck“, stabil gestützt. Zumal Kurt Billker am Schlagzeug, außer bei seinem impulsiven Solo während der turbulenten U-Bahnfahrt im „Q-train, Brooklyn Bounce“, mehr integrativ als fordernd spielt. Darüber hinausweisendes Energiepotenzial zeigt sich allerdings in der abstrakten Free Jazz Episode in „Beyond My Faces“ und der offenen Latinstruktur von Marimba/Vibraphon Interplays für „Friends?“, bei denen das Quartett am besten individuelles Profil erreicht. Hier wird Jazzgeschichte produktiv weiter entwickelt, hat Matthias Goebel als Komponist und Solist klare Eigenständigkeit. Sein Vibraphon-Stil orientiert sich eben an langsamer Evolution.
Hans-Dieter Grünefeld

Hans Lüdemann – Trio Ivoire
Across the Oceans

enja

Als der deutsche Pianist Hans Lüdemann vor elf Jahren in Abidjan erstmals mit dem von dort, also der Elfenbeinküste, stammenden Balafon-Spieler Aly Keita spielte, war das die Keimzelle für ein bemerkenswert unaufgeregtes, wohlklingendes und stimmiges Weltmusikprojekt. Das „Trio Ivoire“ – bis vor zwei Jahren mit dem britischen Schlagzeuger Steve Argüelles, nun mit dem Holländer Chander Sardjoe – lebte und lebt vor allem von der spielerischen Freude am gegenseitigen Aufgreifen und Fortspinnen von einfachen Melodien, bunten Klangfarben und Rhythmen. Der erfreulich respektvolle Austausch der Kulturen bedeutet allerdings auch eine Harmonisierung. Und so kommt auch auf dem neuen Album „Across The Oceans“ manches recht schaumgebremst und harmlos daher, nicht zuletzt, wenn es bei „The Virtual Piano“ auch mal über den Atlantik in Richtung USA und Jazz geht. Statt einer bedächtigen Schau aller Facetten der Band wie schon auf den Vorgängeralben hätte sich eine pointiertere, engagiertere Gangart nicht zuletzt deswegen angeboten, weil „Across The Oceans“ nicht nur geografisch gemeint ist: Das Album ist „dem Volk von Zimbabwe gewidmet“, wo man noch 2007 und 2008 unter schwierigsten Bedingungen spielte; das Traditional „Siwo“ mit der Sängerin Chiwoniso deutet an, dass die CD mehr als eine nur halbherzig genutzte Chance, mehr als ein wieder unzweifelhaft klangvolles, „schönes“ Album hätte werden können.
Oliver Hochkeppel

Hiromi
Place to be

TELARC CD 83695

Seit mehr als sieben Jahren begeistert die 1979 geborene Pianistin Hiromi Uehara nun die Jazzszene. Bekannt geworden durch virtuose Jazz-Rock-Fusion Grooves, zeigte sie sich in den nachfolgenden Jahren auch bereits von ihrer akustischen, „leisen“ Seite im Duo mit Chick Corea oder im Trio mit Stanley Clarke und Lenny White. Nun ist es an der Zeit, auch mit einer Soloaufnahme aufzuwarten. Kein einfaches Unterfangen, sind die Erwartungen aller an eine solche Aufnahme und an die Auswahl von Kompositionen hoch gesteckt. Bis auf „Berne, Baby, Berne!“, einem Louie Bellson Standard, stammen alle Songs der Solo-CD „Place To Be“ aus Hiromis Feder. Sie erzählt mit ihrem Spiel wundervolle Geschichten von den portugiesischen „Island Azores“, widmet dem quirligen Verkehr des Brooklyn Queens Expressway „BQE“ verrückt virtuose Läufe oder erinnert sich an Situationen mit Freunden, Chips und Süßigkeiten, die sie einfach mag. Melodien sind ein wichtiger Bestandteil ihres Spiels und stehen, unabhängig von technischen Finessen, bei Hiromis Kompositionen im Vordergrund. Ihr Stil groovt hier im Fusion-Sinn weniger, dafür perlen Läufe und Harmonien am Yamaha CFIIIS Concert Grand, dem Hiromis Anschlag eine ungeheuere Dynamik entlockt, und der eine fantastische Plattform bietet. Mit begeisterlichem Spiel stellt Hiromi unter Beweis, dass virtuose Technik zwar wichtig, Musik ohne Seele oder ohne Melodie aber wenig Sinn macht.
Thomas J. Krebs

Rigmor Gustafsson & radio.string.quartett.vienna: Calling You
ACT 9722-2

Das Wiener Radio String Quartet ist schon eine Schau. Mit ihrem Mahavishnu-Programm haben sie – live noch zwingender als auf CD – einen neuen Maßstab in Sachen Jazz für Streicherensemble gesetzt. Nahe liegend, dass man bei ACT die vier großartigen Musiker nun mit einer der vielen erfolgreichen Sängerinnen aus dem eigenen Stall zusammenbringen wollte. In den ersten drei Nummern ergibt das auch gleich eine feine Mischung: Rigmor Gustafssons Stimme schmiegt sich ganz natürlich in die harmonisch und klanglich erstklassigen Arrangements („Still crazy after all these years“) ein, einen herrlich altmodischen Stampf-Swing zupft das Quartett zu „Goodbye for now“, der besten Nummer auf der Scheibe. In den Vokalisen von „Makin’ Whopee“ deuten sich freilich die vokalen Grenzen der charmanten Schwedin an, eine Tendenz zum Säuseln oder zum Nachdrücken, die sich in einigen gefühligen Pop-Songs unangenehm bemerkbar macht („I just don’t know…“, „If it’s magic“, „Wherever we go“). Am Titelsong „Calling you“, das Jevetta Steele für „Out of Rosenheim“ so unnachahmlich gesungen hatte, scheitert sie entsprechend. Herrlich dann aber wieder die locker hingeworfenen Nummern „Please don’t stop“ oder „Nothing’s better than love“, und für jene, die’s ein wenig abgedrehter mögen, spielt das RSQ im „Dry Cleaner from Des Moines“ noch einmal so richtig auf.
Juan Martin Koch

Pablo Held
Music

Pirouet-Records 2010

Pablo Held strotzt vor Selbstbewusstsein – sonst würde er sein aktuelles, zweites Album wohl kaum einfach nur „Music“ nennen. Die wahre Essenz, das authentische Aufgehen im Ganzen will sich offenbaren. Und dafür bietet der 23-jährige Pianist zusammen mit seinen ebenbürtigen Mitstreitern einiges auf in Sachen modernem Klavierjazz, der sich aus der Flut zahlloser Jazz-Klaviertrio-Einspielungen mit gutem Wiedererkennungswert heraushebt. ?
Robert Landfermann am Bass und Schlagzeuger Jonas Burgwinkel bilden die perfekte Verzahnung mit dem in Witten-Herdecke geborenen und heute in Köln bei Hubert Nuss studierenden Überflieger-Pianisten. Held wollte schon von kleinauf? Jazzpianist werden. Schon im zarten Alter räumte er die „Jugend jazzt“-Preise nur so ab. Souverän, wendig und kraftstrotzend ist seine Tastenkunst. Viele bevorzugte harmonische Färbungen und Tonskalen zeugen von Pablo Helds großem Respekt vor der amerikanischen Jazz-Moderne. Mit Miles Davis, Herbie Hancock oder auch – vor allem in punkto unermüdlichem Forschergeist – Wayne Shorter im Zentrum.
„Music“ legt nun eindrücklich Pflicht und Kür offen. Erstere liegt im Verarbeiten, Weiterentwickeln, Hinterfragen eines immer weiter wachsenden musikalischen Erfahrungsschatzes. Die Kür vollführt das Pablo-Held-Trio im Anreichern eines solchen Kapitals mit eigener Persönlichkeit. Hier ist überbordende Kreativität, ja manchmal schwärmerische Emotionalität die Folge. Die Kompositionen sind reich an raffinierten Details. Das garantiert entsprechende Kontrastprogramme: Aus verspielten Arpeggien erwächst vertracktes modales Spiel, anderswo markieren feinfühlige Klangmeditationen einen Prozess des Suchens, bevor tiefempfundene Themen zu inneren Wesenskernen vordringen. Und es rockt manchmal richtig, wenn die drei ein dynamisches Crescendo entfalten. „Music“ demonstriert überdies ein raffiniertes Crossover. Jene verträumte „Ballade“ mit ihrem verklärten, mystischen Farbenspiel scheint der sensiblen Ausdruckskunst dieses Trios originär auf den Leib geschrieben. Dabei ist „O Sacrum Convivum“ ursprünglich ein Chorstück von Olivier Messiaen!
Stefan Pieper

A-Train: Take the A-Train
CHAOS CACD 8324 rec. 12.–14.3.09

„A-Train“ ist der Name der „Landes-Akkordeon-Big-Band Hessen“, heute aus 31 MusikerInnen bestehend, die Wolfgang Russ im Jahr 2000 auf Initiative des Landesverbandes Hessen im Deutschen Harmonika Verband gründete und seither leitet. Kein herkömmliches Akkordeonensemble mit traditionellem Repertoire, sondern ein an Big Bands orientiertes Orchester mit in Jazz/Rock/Pop-Workshops geschulten Mitgliedern, einer guten Rhythmusgruppe, einem Sänger mit Stimme und Feeling und einem Gast (Trompete), die Jazzstandards und andere Titel spielen. Wolfgang Russ, im Jazz sehr versierter Musiker und Dozent, hat alle Stücke bis auf zwei arrangiert und ein überzeugendes Ergebnis zustande gebracht. Die Band geht richtig los. Zur „Nachahmung“ empfohlen.
Joe Viera

Manu Katché
Third Round

ECM

Anstatt Mutmaßungen darüber anzustellen, warum immer wieder Alben mit Bezug zu den 1980er-Jahren auftauchen, ist anzunehmen, dass Manu Katché freiwillig keinen Hehl daraus macht, in diesem Jahrzehnt musikalisch sozialisiert worden zu sein. Seit den Lehrjahren in den Bands von Sting und Peter Gabriel beherrscht er das Schlagwerk des Pop erfolgssicher. Von erstklassigen Jazzern umgeben hat er bei ECM bereits mit zwei Alben bewiesen, dass er seinem Instrument vielschichtigere Klänge abgewinnen kann.
Diese dritte Runde als Bandleader wird Erwartungen an improvisationsgeleitete Ensemblearbeit jedoch enttäuschen. Folgerichtig attestiert das Label dem Album unverblümt ein „Jazz-Feeling“. Dass der Franzose eine komplett neue Band mit Musikern aus Norwegen, London und den USA um sich versammelt, wirkt eher unverbindlich und so will es auch nach einem Dutzend Durchläufen nicht gelingen, einen einzigen Song im Gedächtnis zu behalten. Wohl sind verschiedene Rhythmen und Arrangements auszumachen, ebenso wie Spuren der Funk-Grooves, die Katché live so genussreich ausspielt. Aber wenn die Sängerin Kami Lyle vom Mond und den Sternen piepst und ihre Trompete auch nur mit Dämpfer dahinschweben darf, sei die Frage angebracht, ob eine Öffnung zum Pop hin der Musik wirklich einen Dienst erweist. Ebenso scheinen die Saxofone an den Hintergrundmusiken amerikanischer Vorabendserien geschult. Einzig der englische Pianist Jason Rebello bewahrt seine Integrität mit eigenem Anschlag und Melodieführung.
Franziska Buhre

Fjoralba Turku Quartett
Joshua

Traumton

Sie ist noch jung, hat erst spät zum Gesang gefunden und dennoch schon etwas Eigenes zum Jazz beizutragen: das albanische Element könnte man nennen, was die bis zum neunten Lebensjahr in Albanien aufgewachsene, heute in München lebende Fjoralba Turku da ins Great Songbook einführt.
Archaisch und melancholisch, in unseren Ohren mitunter fast wortspielerisch klingen die albanischen Volkslieder und eigenen Texte, die Turku – aufgelockert durch ein paar Stücke und Standards auf Englisch – auf ihrem bei Traumton erschienenen Debütalbum „Joshua“ vorträgt, benannt nach ihrem kleinen Sohn. Erstaunlich ist die Kraft und die Reichweite der zierlichen jungen Frau, die mal nordisch hell, dann wieder sehr dunkel, fast wie eine südosteuropäische Zarah Leander („Beautiful Man“) klingen kann. Für den überraschenden und erfrischenden Eindruck von Turkus Gesang dürfte außerdem keine geringe Rolle spielen, dass sie aus einer Geigerfamilie stammt und zunächst selbst Violine lernte. „Ich denke beim Singen immer daran, wie ich es auf dem Instrument intonieren würde, ich singe sozusagen wie eine Geige”, sagt sie selbst. Nicht minder eindrucksvoll sind die Arrangements, für die meist die Pianistin (und auf zwei Stücken kongeniale Gesangspartnerin) Andrea Hermenau verantwortlich zeichnet.
„Max.bab“-Bassist Benny Schäfer und der polyrhythmisch sehr versierte junge Drummer Johannes Jahn runden den positiven Gesamteindruck ab.
Oliver Hochkeppel

Carsten Daerr Trio
Wide Angle

Traumton 4537

Seit seinem Debüt-Album 2003 bricht das Carsten Daerr Trio die vielfach herrschende Trennung von Solist und Begleiter auf; 2009, auf der vierten CD, ist es nicht anders. Nur, dass bereits alle Ecken der Welt bespielt wurden und unterschiedliche Erfahrungen aufgenommen. Mit Notizbuch und Kamera festgehalten, dienen sie den neuen Aufnahmen, wie es heißt, als „Assoziationsanker“. Komplexer ist das Spiel des Berliner Trios nicht, eher transparenter, klarer strukturiert. Eng verzahnt sind nach wie vor Komposition und Improvisation, die Klangsprache bleibt eigen. Da die elektrische Orgel nicht mehr zum Einsatz kommt, ist Daerrs Spielweise auf dem Klavier flächiger, perkussiver. Sounds und Stimmungen erzeugt er jetzt eher mit minimalistischen Motiven, die ihre magische Wirkung selten verfehlen. Cluster lösen sich in perlende Melodiegirlanden auf, stehen neben gezielter Rücknahme der Opulenz und hingetupften Motiven. Gestreift werden wieder alle möglichen Spielarten des Jazz, von Bop oder Free bis Swing oder Ethno. Die Stücke, die oftmals Reiseeindrücke vom Orient bis Hinterasien reflektieren, gerieren vielfältige Atmosphären und machen den schillernden Klangcharakter des Albums aus. Neben Leader Daerr sind selbstredend Oliver Potratz (b) und Erich Schaefer (dr) gleichberechtigte Partner mit eigenen Ideen. So wie letzterer keinen Stillstand kennt, von straightem Spiel bis zu frei flottierenden Rhythmen, kann Potratz rhythmisch mithalten. Alles andere als ein erstarrtes Klavier-Trio geben die Mannen um Carsten Daerr ab.
Reiner Kobe


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