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Der Investmentbanker, Schriftsteller und Jazz-Impresario Dick Gibson begann in den Sechzigern in Denver, Musiker seiner Wahl mit Kritikern und bis zu 500 zahlenden Fans für einige Tage zusammenzubringen. Musiker, die sich seit Jahren nicht gesehen hatten, trafen so kreativ aufeinander, darunter durchaus nicht nur solche aus der Oldtime-Ecke, sondern zum Beispiel seinerzeit auch ein blutjunger Roy Hargrove. Es wurde quasi rund um die Uhr gespielt, oft begleitet von anschließenden Studiosessions und Club-Auftritten. Auch die „World’s Greatest Jazz Band“, eines der bis heute imposantesten All-Star-Ensembles der Jazzgeschichte, ging 1967 direkt aus den Jazz Partys in Denver hervor. Am Konzept hat sich bis heute wenig geändert, dem amerikanischen Jazz haben diese Festivals ein entscheidendes Rückzugsgebiet bewahrt, nicht zuletzt, weil auf diese Weise, anders als bei einzelnen Konzerten, der in dem riesigen Land enorme Reise-Aufwand noch zu bezahlen ist.
Etwa 150 Jazz Partys gibt es derzeit pro Jahr in den USA, sie sind die großen Familientreffen vor allem der Classic-Jazz-Gemeinde. So auch die 2. Annual Arbors Records Invitational Jazz Party, veranstaltet vom Jazzmäzen und Labelchef Mat Domber in Clearwater Beach/ Florida, wo – Zeichen einer Internationalisierung der Traditional Szene – erstmal die Echoes of Swing aus Deutschland mit dem Pianisten Bernd Lhotzky, dem Trompeter Colin Dawson, dem Altsaxophonisten Chris Hopkins und Schlagzeuger Oliver Mewes am Start waren. Die Band, die es in erweiterter Besetzung auch noch als „Echoes of Swing Orchestra“ gibt, hat sich in den zwölf Jahren ihres Bestehens unter anderem auf das Ausgraben von Raritäten und ihre unkonventionelle Restaurierung spezialisiert. In Florida spielten sie mit einigen Stücken aus den Zwanzigern einerseits mit das älteste Repertoire, zugleich aber in der vielleicht modernsten Form. Ein Konzept á la „From the 20s to the 20s“, das in Florida mit Verblüffung und Begeisterung aufgenommen wurde, und auch hierzulande immer mehr Aufmerksamkeit erregt. So führt die bereits angelaufene Deutschland- und Europatournee die „Echoes of Swing“ nicht nur in einschlägige Jazzclubs wie das Augsburger Spectrum, das Osnabrücker Blue Note oder das Wiener Jazzland, sondern auch in mittelgroße Säle und Hallen wie den Magdeburger Karstadt, die Stuttgarter Liederhalle oder das Ingolstädter Audi-Forum (alle Tourdaten unter www.echoes-of-swing.de). Umgekehrt hat das deutsche Publikum Gelegenheit, hierzulande fast unbekannte amerikanische Virtuosen und Topstars zum Teil erstmals in Augenschein zunehmen: Eine „International Swing Party“-Delegation unter anderem mit Dan Barrett, Duke Heitger, Dan Block, Eddie Erickson und dem Count-Basie-Drummer Butch Miles begleitet die Echoes of Swing bei einigen Terminen, startend im Rahmen des Kulturhauptstadtprogramms am 14. März in der Jahrhunderthalle Bochum. Dass diese Internationalisierung für Mat Dombers Mission der Bewahrung und Fortführung des klassischen Jazz nötig ist, dafür steht auch seine Swing Party: Verglichen mit den 200 auserwählten Gästen an den Tischen des Sheraton Ballrooms ist das durchschnittliche Auditorium eines deutschen Jazzclubs ein Jugendtreff. Dem Jazz, und ganz besonders seinen Frühformen, kommt gerade in seinem Mutterland der Nachwuchs abhanden – weniger die Musiker, vielmehr das Publikum. Was für das Amerika jenseits seiner Weltmetropolen nichts weniger bedeutet, als dass es gerade dabei ist, seine ureigenste Musiktradition zu vergessen. Was schon eine Autofahrt vom Tampa International Airport zum Sheraton belegt: „Jazz“ nennt auf dem Display des Autoradios der eingestellte Sender, zu hören ist leicht angegroovter Pop. Damit zusammen hängt ein anderes Phänomen, das man in Clearwater beobachten konnte: Unter den 35 Musikern, die hier Fats Waller, James P. Johnson oder Duke Ellington zelebrierten, befand sich nicht ein Schwarzer. Was an Bildungsdefiziten und dem eben allgemein schwierigen Zugang zu den alten Stilen liegen mag, aber vielleicht auch am Wynton-Marsalis-Diktum, nachdem echter Jazz ausschließlich von Schwarzen stammt – was alles von Gershwin über Benny Goodman bis zu den Brecker Brothers ausschließt. Und das mitverantwortlich dafür ist, dass die meisten jungen und insbesondere die jungen schwarzen Jazzer ausschließlich „ihr Ding machen“ wollen, ohne sich um die Tradition zu kümmern und überhaupt zu wissen, was ihnen damit entgeht. Was das ist, das hätten sie in Florida von nahezu allen Teilnehmern abschauen können: Zum Beispiel die hohe Kunst, technische Höchstschwierigkeiten ganz einfach klingen zu lassen. Vor allem aber der so sehnsüchtig von allen erwünschte, aber so selten erreichte eigene Ton, der hier selbst bei tausendmal gehörten Stücken im Fünf-Minuten-Takt zu erleben war. Den sanften, warmen und vollendet swingenden Gitarrenton eines Bucky Pizzarelli etwa, der wohl nach seinem Tod endgültig verklungen sein wird. Oder dieses ebenso sanft säuselnde wie widerborstig growlende Tenorsaxophon eines Harry Allen. Oder die fast elektrisch klingende Jazzgeige des als special guest einsteigenden, 94-jährigen (!) Svend Asmussen, einem der an einer Hand abzuzählenden Überlebenden der ersten Jazzgeneration, der noch mit Fats Waller spielte. Sicher, hier wurden fast ausschließlich Standards gespielt, aber eben nicht nachgespielt – der große Unterschied zur hierzulande immer noch viel populäreren Dixie-Fraktion. Ein Meister wie Dick Hyman findet auch bei einem Stück, das er zum tausendsten Mal spielt, einen neuen Dreh. So ist kurioserweise bei ihm, beim Stil-Verwuseler Rossano Sportiello oder selbst noch bei einer recht archaischen Bassistin wie Nicki Parrott der Improvisationsanteil weit höher als bei den meisten modernen Neutönern. Qualitäten, die dem ja durchaus, aber eben höchstens von Coltrane aufwärts akademisierten Jazznachwuchs weiterhelfen könnten, auch und gerade beim Komponieren. Und schließlich wäre der Rückgriff auf die melodische und formale Eingängigkeit des klassischen Jazz vielleicht auch geeignet, die Schwellenangst vor dem zu mindern, was unter dem Begriff Jazz sonst immer so betont elitär und schwierig daherkommt. Das schwindende kollektive Gedächtnis beklagt übrigens selbst jemand wie Sigi Loch, der in Sachen Traditionalismus unverdächtige Chef des weltmusikalisch geprägten Jazzlabels ACT: „Als der junge Münchner Saxophonist Hugo Siegmeth unlängst bei uns seine Sidney-Bechet-Hommage herausbrachte, da haben mich Musiker und Fachjournalisten gefragt, wer Sidney Bechet war.“ Dies aber gilt beim Jazz genauso wie bei allem anderen: Wer sich des Vergangenen nicht erinnert, der hat keine Zukunft. Oliver Hochkeppel |
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