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Wohl kaum jemand war wichtiger für die Entwicklung der Big Band und, damit zusammenhängend, ihrem Siegeszug in der Swing-Ära. Es mag unter den Swing-Bandleadern swingendere (Basie) oder erfolgreichere (Goodman) gegeben haben, unter ihnen wegweisendere Pianisten (Hines), größere Komponisten (Ellington), elegantere Arrangeuere (Carter) – trotzdem: Fletcher Henderson, der bisherige Entwicklungen genial zusammenfügte, setzte die Normen, wirkte als Orientierungspunkt und Niveauvorgabe. Als er 1920 in New York ankam, wollte er nur sein Chemiestudium fortsetzen, aber bald hatte er sich als Klavierbegleiter von Bluessängerinnen einen Namen gemacht. 1923 gründete er sein erstes Orchester, das später im berühmten Roseland Ballroom Triumphe feierte. Es war ein Tanzorchester, das stets über Musiker ersten Ranges verfügte. Eine unvollständige Liste der Solisten, die bei Henderson spielten, liest sich wie ein Who’s Who des schwarzen Swing: Unter seinen Trompetern und Kornettisten waren Louis Armstrong, Joe Smith, Tommy Ladnier, Rex Stewart, Henry Red Allen und Roy Eldridge. Die wichtigsten der Ära waren also mit dabei. Armstrongs Mitgliedschaft im Orchester 1925 hatte nachhaltige Folgen für die Entwicklung des Jazz. Unter Hendersons Posaunisten erinnert man sich an so wesentliche Musiker wie Charlie Green, Jimmy Harrison, Benny Morton und Dickie Wells. Die wegweisenden stilbildenden Saxophonisten der 20er- und 30er-Jahre, haben bei ihm gespielt: Coleman Hawkins hat bei Henderson das Tenorsaxophon im Jazz verankert. Sein Antipode Lester Young wirkte kurze Zeit im Orchester. Auch so wegweisende Saxophonisten wie Ben Webster, Chu Berry, Benny Carter und Don Redman wirkten bei ihm. Letztere beide erlangten auch als wichtigste der frühen Arrangeure Bedeutung. Hendersons Orchester wurde zum ersten richtigen Jazzorchester, das heißt es unterschied sich sowohl durch die Art seiner Arrangements, durch seinen swing und die improvisatorische Begabung der hot intonierenden Solisten von allen vorherigen Tanzorchestern und wurde somit vorbildlich für alle folgenden Big Bands. „Smack“, so sein Spitzname, überließ das Arrangieren erst einmal seinem Bruder Horace und Don Redman, bevor er sich ab 1933 selbst dieser Tätigkeit zuwandte. Bei Henderson gab das Arrangement dem Solisten den nötigen Rückhalt, feuerte ihn zu Höchstleistungen an. Das antifonische Wechselspiel zwischen brass und reed section – später zum Klischee verkommen – wurde von Henderson fest verankert. So wurden Blechblassolisten gerne von den Saxophonen begleitet und umgekehrt. Wer in den 30er-Jahren ein Orchester leitete, orientierte sich an diesem Sound. Er hatte freilich die Wahl, es anders anders zu machen. So mischte Ellington gerne die Klangfarben von Holz und Blech, doch ihre Gegenüberstellung à la Henderson wurde für die meisten Orchester jener Zeit typisch. Henderson fand auch heraus, wie ein Orchester sich in einem lauten, überfüllten Tanzsaal Gehör verschafft, ohne dass die Musiker zu laut spielen müssen. Wäre Henderson ebenso geschäftstüchtig wie organisationsbegabt gewesen und hätte er seine Band strenger geleitet, er hätte wahrlich nicht seine letzten Lebensjahre im Schatten Goodmans führen müssen, dem er ab 1934 die Arrangements (etwa für „King Porter Stomp“) verpasste, die ihn erst zum „King of Swing“ machten. In diesem Jahr löste er auch sein Orchester auf. Einige sehen darin die psychischen Spätfolgen eines Autounfalls des Jahres 1928, der ihn als Mensch stark verändert haben soll. Trotzdem zählen seine Aufnahmen bis 1934 zu den besten der Jazzgeschichte. Ab 1936 leitete er wieder Formationen, ohne jedoch an seine frühere Größe anknüpfen zu können. Marcus A. Woelfle |
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