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Jazzzeitung

2010/02  ::: seite 22

farewell

 

Inhalt 2010/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazzlexikon: Fletcher Henderson Farewell: Ed Thigpen


TITEL -
Gutes Echo auf den Jazz
Vom Überlebenswillen einer schlanken Musikrichtung


Berichte

Zweiter BMW Welt Jazz Award // Women in Jazz in Halles Oper // Pat Methenys „Orchestrion“-Auftritt in München // Preview: Zur Premiere des Festivals Elbjazz Hamburg // 28. Südtirol Jazzfestival Alto Adige


Portraits

Arbor Records Party und „Echoes of Swing“ in Florida – Teil 2 // Matthias Bublath // Harry Carney // Ornette Coleman // Rigmor Gustafsson und das radio.string.quartet.vienna // Herbie Hancock // Dieter Ilg // Mike Seltzer von „Manhattan Brass“ // Christoph Stiefel und sein Inner Language Trio // Die Augsburger Band „Swing tanzen verboten!“


Jazz heute und Education
Fünf Jahre Messe jazzahead // Christian Sommerer über seinen Posten als Leiter der Uni-Jazzensembles // Abgehört: Richard Bonas Bass-Solo zu „Play“ von Mike Stern

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Mr. Taste

Abschied vom Schlagzeuger Ed Thigpen

Der Name Ed Thigpen löst bei den meisten Jazzfans vermutlich folgende Assoziationskette aus: Peterson – Besen – Geschmack. „Mr. Taste“ war von 1959 bis 1965 der Drummer des vielleicht besten der vielen Trios Oscar Petersons, wo er zum Synonym vorbildlicher Besenarbeit avancierte. Viele Drummer haben darauf hingewiesen, dass es Ed Thigpen war, von dem sie gelernt haben, wie man Besen im Schlagzeugspiel optimal einsetzt. Sie ließen es sich von diesem geduldigen Pädagogen zeigen oder studierten seine Schrift „The Sound of Brushes“.

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Angenehm ist es ihm nicht gewesen, daß man ihn immer nur als Besenmeister verherrlichte. Er habe ja so vieles andere getan als nur Besen zu spielen. Er sei ja in einem weit umfassenderen Sinne Drummer, was man nicht erkannt habe, hat er einmal bemerkt. Zu Recht. Er war nicht nur ein Spezialist für eine, wenn auch wichtige, Fähigkeit. Er swingte auf allen Ebenen. Seine dänischen Bands nannte er denn auch „Ed Thigpen Rhythm Features“; sein 2001 mit Joe Lovano aufgenommenes Album trägt den programmatischen Titel „The Element Of Swing“. Wenn er einmal einen nicht swingenden Beat getrommelt hat, muß das privat geschehen sein, ganz egal, ob es nun klang wie eine Fliege, die über Papier geht oder wie wütendes Donnergrollen.

Edmund Leonard Thigpen erblickte am 28. Dezember 1930 in Chikago das Licht der Welt. Sein Vater Ben Thigpen war ein Schlagzeuger, der 17 Jahre bei Andy Kirk spielte. „Sein Spiel war mir das ultimative Beispiel für Swing und er konnte das Tempo genauso festsetzen wie es sein sollte. Darin war er wunderbar.“ Mit seinen Eltern zog Ed Thigpen noch als Kind nach St. Louis. Als Mary und Ben Thigpen auseinandergingen, zog er mit seiner Mutter nach Los Angeles. Sie starb allerdings, als er noch ein Teenager war. Wie Chico Hamilton, Art Farmer und Dexter Gordon besuchte er die Jefferson High School. Als er sich 18-jährig der Band des Saxophonisten Buddy Collette anschloß, stand für ihn fest, daß er Berufsmusiker sein sollte. Den Besuch des Los Angeles City College brach er daher schon nach einem Jahr ab und kehrte zu seinem Vater nach St. Louis zurück. Dort arbeitete er im Peanuts Whalum’s Orchestra und hatte auch mal die Gelegenheit, mit einem der berühmtesten Söhne St. Louis’ zu jammen, Miles Davis. Als er nach New York zog, lernte Ed Thigpen bei Jo Jones und wirkte 1951 bis 1952 beim Ellington-Trompeter Cootie Williams, der zeitweise ein eigenes Orchester leitete. Ed Thigpen war 1954 bei der großen Dinah Washington beschäftigt, bei der er seine ersten Aufnahmen machte.

Lob für seinen später sprichwörtlich guten Geschmack Thigpens findet sich, wie ich festgestellt habe, bereits auf einem recht obskuren Prestige-Album von 1956: „Gil Melle plays Primitive Modern“. „Impeccable taste“ attestiert ihm da der Baritonsaxophonist Gil Melle. Bereits hier und bei anderen frühen Aufnahmen fällt Thigpens enormes Gespür für Klangfarben auf. Klangliche Subtilität, ein untrügliches Swingfeeling und Vielseitigkeit machten Ed Thigpen schon zu Beginn seiner Karriere zu einem Drummer, der an unterschiedlichster Stelle der richtige Mann war. Man beachte nur einmal die Pianisten, die in den 50er-Jahren von Ed Thigpens Professionalität profitierten: Am Anfang steht Hampton Hawes, mit dem er gemeinsam 1953 stationiert war und mit dem er damals schon ein nie dokumentiertes Trio hatte. 1954 nahm er mit der jungen Toshiko Akiyoshi auf. 1955 spielte er mit keinen geringeren als Bud Powell und Lennie Tristano, also die führenden Pianisten von Bebop und Cool Jazz. Ob Wynton Kelly, Jimmy Jones, Hank Jones, Mal Waldron oder Blossom Dearie – all diese unterschiedlichen Größen haben schon vor (!) Oscar Peterson zu Thigpens Drumming die schwarzen und weißen Tasten gedrückt. Bevor er sich Oscar Peterson anschloß, war Ed Thigpen von 1956 bis 1959 Drummer des hierzulande weniger beachteten, doch in den USA sehr geschätzten Pianisten Billy Taylor.

Ab 1956 wirkte Ed Thigpen an einer unvorstellbaren Fülle von Plattenaufnahmen mit, bei so bekannten Labels wie Blue Note, Savoy und Bethlehem. Vor allem die kleine, feine Jazzplattenfirma Prestige holte ihn immer wieder ins Studio. Die Aufnahmen zeigen Thigpen nicht als 0815-Trommler, sondern einfallsreichen Meister der Besen und Stöcke, der mit sparsamsten Mitteln inspirierend unterstützt und dabei im Hintergrund bleibt. „Ed Thigpen ist der Größte“ hat kein geringerer als Tony Williams einmal gesagt. Zu dieser Größe gehörte seine Fähigkeit, auf bloße Zurschaustellung von Technik zu verzichten, von der er ohnehin mehr hatte als die meisten. Immer stand sie im Dienst der Musik. Ed Thigpens feuerte die Kollegen mit drive an, ohne sie zuzudröhnen. Seine bei Bedarf leise Intensität auf Sparflamme machte ihn beliebt.

Von 1959 bis 1965 gehörte Ed Thigpen zusammen mit dem Bassisten Ray Brown dem vielleicht berühmtesten der vielen Oscar Peterson Trios an. In diesem Trio ersetzte er übrigens den Gitarristen Herb Ellis. Das sollte hellhörig machen. Ein Drummer ersetzt einen Meister, der für Ryhthmus und Melodie zuständig war. Thigpen war ja auch einer der melodischsten Drummer aller Zeiten. Sie belegen übrigens, dass Thigpen keineswegs immer ein leiser Drummer war. Er übertönte niemanden, aber er konnte sich sehr vernehmbar machen. Ich denke da zum Beispiel an sein Sizzle-Becken im „Honey Dripper“ aus dem legendären Peterson-Album „Night Train“. Kaum ist eine Minute rum, da erzeugen die Nieten in seinem Becken ein so konstant schwirrendes Grundrauschen, das ich beim ersten Hören – damals war ich noch unerfahren – dachte, mit der Platte oder der Anlage sei etwas nicht in Ordnung. Als Peterson in Toronto eine Musikschule eröffnete, entdeckte Thigpen seine natürliche Begabung für Jazzpädagogik und übersiedelte für kurze Zeit dorthin.
1966 spielte Thigpen erstmals ein eigenes Album für Verve ein: „Out Of The Storm“. Ab 1966 wirkte er in der Begleitgruppe Ella Fitzgeralds. 1967 zog er nach Los Angeles und arbeitete als free lancer. Da gab es viel Studioarbeit und so wirkte er an Alben von Stars wie Peggy Lee, Johnny Mathis oder Pat Boone mit. Von 1968 bis 1972 ging er wieder bei Ella Fitzgerald und freute sich besonders, bei ihr an Seite des großen Pianisten Tommy Flanagan zu spielen.

In den 60er- und 70er-Jahren siedelten sich viele amerikanische Musiker in Dänemark an. Das waren nicht etwa Unbekannte, die in den Staaten keine Arbeit gefunden hätten, sondern ganz Große wie die Saxophonisten Dexter Gordon, Ben Webster oder die Pianisten Kenny Drew, Duke Jordan und Horace Parlan. Im Herbst 1972 ließ sich Ed Thigpen mit seiner dänischen Frau und ihrem Kind in Kopenhagen nieder. Dort war Thigpen freilich gleich Drummer der Wahl gerade auch für Amerikaner wie Dexter Gordon und Ben Webster, mit denen er dann gelegentlich tourte. Zu den ersten Zeugnissen unter seinem Namen gehören das 1973 eingespielte „Ressource“, ein Album des Thigpen-Asmussen Quartetts und „Action-re-action”, das 1974 mit seiner gleichnamigen Gruppe entstand und derzeit als Doppel-CD erhältlich ist. Solche Dokumente zeigen, dass sich Thigpen in der dänischen Szene von allen Stilschubladen befreite. Er nahm sich die Freiheit im Rahmen der Tradition zu spielen oder eben nicht. Er hätte sich auf seinen Lorbeeren ausruhen können, tat dies aber nicht, sondern nahm Anregungen der gegenwärtigen Szene, aber auch von vergangenen oder weit entfernten Kulturen auf. Der klangsinnliche Drummer, der alle Facetten von Klangfarbe und Dynamik berücksichtigte, beschränkte sich nicht auf die landläufigen Techniken, sondern erweiterte sie zunehmend. Die Felle bearbeitete er schon mal mit Paukenschlegeln oder den bloßen Händen. Er verwandte neben dem Schlagzeug auch andere Perkussionsinstrumente und beschäftigte sich mit Trommelmusik aus aller Welt. Die Eindrücke flossen in seine Musik ein. Auch wenn er sich solches Experimentieren nicht nehmen ließ, musizierte der nuancenreiche und vielseitige Drummer gerade auch in Dänemark mit einer Vielzahl altehrwürdiger Größen wie Teddy Wilson oder Benny Carter.

Ab den 90er-Jahren erschienen häufiger Alben unter seinem Namen, viele davon auf dem Label „Stunt“. Das wohl letzte Album Thigpens entstand 2003 mit seinem Scantet und heißt seltsamerweise „Number One”.

„Die Aufgabe eines Drummers“, erklärte Thigpen im Jahr 2000, „ist wie die eines Wagenlenkers, der all diese Pferde am Zügel halten muß. Deine Ohren müssen offen sein, um jeden zu hören“. Die Pferde am Zügel zu halten, dazu war Ed Thigpen in allerletzten Jahren leider nicht mehr fähig, da er an Parkinson erkrankte. Vor Weihnachten kam er mit Herz- und Lungenproblemen ins Krankenhaus. Am 13. Januar 2010 ist Ed Thigpen im Hvidovre Krankenhaus zu Kopenhagen friedlich an der Seite von Freunden und Familie entschlafen.

Wer eine Ahnung dafür bekommen will, wie viele Menschen Ed Thigpen mit seiner Musik berührt und beeinflusst hat, kann sich bei Facebook auf der Pinnwand der Gruppe „In Memory Of Jazz Musician Ed Thigpen“ ein Bild davon machen. Tausende sind der Gruppe beigetreten und viele von ihnen, darunter auch prominente Musiker, haben hier ihre Erinnerungen in Worte gefasst.

Neben unzähligen Alben hinterlässt uns Ed Thigpen die ab 1965 veröffentlichten Werke „Rhythm Analysis and Basic Coordination“, „The Sound of Brushes“ und “Rhythm Brought to Life”, und natürlich eine Schar von Schülern, die er in Ausbildungsstätten und Workshops unterrichtet hat.

Marcus A. Woelfle

 

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