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Rétrospective Endlich kann man das Genie, das kaum je eine Filmkamera festhielt, auch in bewegten Bildern sehen! Rechtzeitig zum 100. Geburtstag am 23. Januar erschien diese bereits seit Jahren bewährte 3-CD-Box in einer limitierten Ausgabe mit einer zusätzlichen DVD. Sie enthält einen kaum bekannten sechsminütigen Film aus dem Jahr 1939, „Jazz Hot“. Höhepunkt ist „J’attendrai“, interpretiert von Django Reinhardt mit Stéphane Grappelli und ihren Freunden. Django war der meistbewunderte Gitarrist, der über Genregrenzen einflussreichste Musiker seines Volkes. Mehr noch: Der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wichtigste Beitrag Europas zur Jazz-Entwicklung stammt von diesem Manouche, der die Gitarre als Solo-Instrument etablierte und Vater jener Kunstform ist, die man mit dem etwas unschönen, doch greifbaren Etikett Zigeunerjazz versehen hat. Sein genialer, von amerikanischen Vorbildern erstaunlich unabhängiger Beitrag als Virtuose ist umso erstaunlicher, als seiner Greifhand seit 1928 nur der so genannte „Dreifingerblitz” zur Verfügung stand: Bei einem Wohnwagenbrand war er mit schweren Verletzungen davon gekommen. Zunächst war seine linke Hand gelähmt, doch nach 18 Monaten entschlossenen Bemühens gelang ihm der Gebrauch dreier Finger. Die beiden anderen blieben gelähmt, konnten vereinzelt allerdings eingesetzt werden. 1934 gründete er mit Stéphane Grappelli das „Quintette du Hot Club de France“. Bis 1939 währte (von späteren Reunions abgesehen) die musikalisch beglückende, aber menschlich schwierige Zusammenarbeit zwischen den beiden. Der Violinist war umfassend gebildet und geschäftstüchtig, während Reinhardt „nur“ ein unberechenbares Genie war, das weder Noten schreiben, noch mit Banknoten umgehen konnte. Nie zuvor wurde im Jazz so virtuos und feurig auf der Gitarre improvisiert, wobei die Soli ihrer Zeit weit voraus waren! Hervorzuheben ist Djangos ungewöhnlicher Reichtum an melodischen Einfällen, die bisweilen seine Herkunft verraten, oft in langen Achtelnotenketten entwickelt werden und Arpeggien als Ausgangsbasis haben. Damit einher gehen ein ebenso unerschöpflicher Reichtum an Artikulationsweisen (mit glänzend herausschwingendem Vibrato, nuancenreicher Dynamik, und meisterlicher Beherrschung der slides) und eine fortschrittliche harmonische Auffassung. Einige typische, so temperamentvoll wirkende Reinhardt-Effekte waren bestens dazu angetan, das noch unverstärkte Instrument in einer Welt der Bläser zu etablieren: Anreicherung der Einzelton-Linien durch Akkordeinwürfe, Oktavenpassagen (die später Kennzeichen des Stils Wes Montgomerys wurden), Doppelgriffe, Unisoni auf benachbarten Saiten, eindrucksvolle Tremoli. Viele dieser Kunstgriffe erscheinen erstmals bei Reinhardt oder wurden von ihm vervollkommnet. Django erregte auch das Interesse amerikanischer Stars, die stolz waren, sich von dem genialen Manouche begleiten zu lassen. Das Schaffen Django Reinhardts ist ähnlich wie das seiner schwarzen Kollegen ein gutes Beispiel dafür, wie die Kultur einer unterdrückten Randgruppe die dominierende Kultur beeinflussen kann. Sein Sonderstatus prädestinierte ihn zum Neuerer des europäischen Jazz, der sich vor seinem Erscheinen noch nicht von den amerikanischen Vorbildern gelöst hatte. Außerhalb der herrschenden Kultur stehend fühlte er sich nicht an ihre Konventionen gebunden, was ihn nicht daran hinderte, in ihr heimisch zu sein. Das gilt für Django Reinhardt als Künstler, der Stücke wie „Nuages“ und „Manoir de mes rêves“ komponierte, die – trotz des Mangels an akademischer Ausbildung mit feinnerviger Melodik und harmonischem Raffinement den Geist des französischen Impressionismus atmen. Und das gilt für den Menschen, der ein professioneller Bühnenkünstler war und doch etwa mit seiner notorischen Unpünktlichkeit nicht den Normen der bürgerlichen Gesellschaft entsprach. Als Angehöriger eines freien, fahrenden Volkes war er ebenso stark in seinen musikalischen Traditionen verwurzelt, wie er mit allerlei unterschiedlichen Musizierweisen in Berührung kam und sich davon anregen ließ. Bei Kriegsausbruch gastierte das Quintett in London. Während Grappelli
in England blieb, kehrte Django nach Frank- Als er 1953 im Alter von 43 Jahren starb, hinterließ er trotz seines kurzen Lebens ein reichhaltiges, auf zahlreiche Schellacks verstreutes Œuvre. Fast jede dieser Aufnahmen wird die Zeiten überdauern, solange unerschöpfliche musikalische Kreativität für ferne Generationen noch einen Wert darstellt. Er starb vor dem LP-Zeitalter. Auch war ihm die moderne Idee des Konzeptalbums noch völlig fremd. Geniestreiche begnügen sich bei ihm noch mit den drei Minuten einer Schellackseite, ach was, oft mit acht oder sechzehn Takten Chorus. Wer Django mit einem Kauf „abdecken“ will ohne zur gigantischen Werkausgabe, aber auch ohne zur willkürlichen Wald- und Wiesen-Zusammenstellung zu greifen, macht mit der „Rétrospective“ den bestmöglichen Griff, enthält sie doch auch ein 75-seitiges Büchlein über den Feelsaitigen, dessen prächtige Fotos und Kommentare aus berufener Feder die exzellenten ausgesuchten Meilensteinchen ergänzen. Seine Entwicklung in über zwei Jahrzehnte hinweg wird hier mustergültig in drei Stunden zusammengefasst. Wer ihn so kennen lernt, wird sicher Lust auf mehr Django bekommen, denn „sein Rhythmus ist ihm so zu eigen wie einem Tiger die Streifen – sie stecken ihm in der Haut“ (Jean Cocteau). Svend Asmussen Quintet Der heute 94-jährige Svend Asmussen ist der letzte große Violinist der Swing-Ära. Vermutlich ist er überhaupt der älteste unter den großen noch aktiven Jazzmusikern. Mitreißender Schwung, ansprechender Einfallsreichtum, erstaunliche Flexibilität und eine gute Portion Originalität machen ihn zu einer jener Größen, die jeder Jazzfreund einmal gehört haben sollte. Aber mit diesen Aufnahmen? Naja, das von ihm auf Deutsch gesungene „Schöner Gigolo“ oder gar das zickige, auch textlich problematische „Carry Me Back To Old Virginia“ sind sicher nicht der Stoff, aus dem Jazzpuristen-Träume sind. Aber die in den 50er-Jahren in Deutschland aufgenommenen Stücke bieten gut arrangierte Unterhaltungsmusik und immer wieder pfiffige Soli des Geigers und seiner Gefährten. Wie so viele Geiger in den 50er-Jahren – man denke an Eddie South, der meistens nicht Jazz spielte, oder an Helmut Zacharias, der auch vom Jazz wegdriftete – verstand er sich nicht nur als Jazzer, sondern als Entertainer. Seine Fähigkeit „wie verrückt zu swingen“ entschädigt für die Kommerzialität dieser Produktionen. Den Kauf rechtfertigen allerdings nicht die 19 Aufnahmen seines Quintetts oder Sextetts, sondern die vier kurzen, geschmackvollen Stücke, die er 1958 im Duo mit dem Gitarristen Ulrik Neumann einspielte. Diese mit Herz und Können servierten Zwiesprachen erscheinen nachgerade wie eine modernere Weiterspinnung der Dialoge, die Joe Venuti in den 20er-Jahren mit Eddie Lang führte. |
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