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Es heißt, der Pianotrio-Hype hätte endgültig ausgeklimpert. Auch mit skandinavischen Trällerlieschen lockt man keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor und keinen Yuppie mehr vom Designer-Sofa hoch. Jetzt stellt sich die Frage: Was ist der nächste Trend im Jazz? Das Kontrabass-Duett? Vierstimmiger Männergesang? Posaune solo? Also, ich tippe aufs Akkordeon-Orchester. Irgendwo müssen all die feinsinnigen Jazzpianisten ja unterkommen, die in den letzten Jahren auf die gellende Quetsche umgeschult haben. Schon im 19. Jahrhundert beklagten sich die Musikkundigen über den Mangel an „Adel und Schönheit“ im Akkordeonklang. Dennoch fallen Akkordeons heute wieder über die Musikszene her wie eine tönende Schweinegrippe. Vor 20 Jahren, da hatte eine Jazz-CD in der Regel zwei Gastauftritte von Joe Lovano und ein Stück von Thelonious Monk. Heute hat eine Jazz-CD Gastauftritte von Marc Ribot, ein Stück von Bob Dylan und mindestens drei Stücke mit Akkordeon. Man kann diesen pustenden Blechbüchsen nicht mehr entkommen: Auch im Popkonzert und auf der Klassikbühne, selbst bei Vernissagen oder am Eingang zur U-Bahn-Station lauern sie einem auf. „Nordseewellen“ und „Toccata in d-Moll“ zu jeder Tageszeit. Mein Schwager wohnt in einer Kleinstadt ganz ohne Popkonzerte und U-Bahn-Station und ist dennoch ein ärztlich attestiertes Akkordeon-Opfer. Er sagt, er bekomme grünliche Pusteln im Gesicht, wann immer ihm so eine polierte Hupsirenenkommode zu nahe tritt. In seiner Stadt gibt es eine Russenkolonie, einen traditionellen Musikverein und einen Weltmusik-Clan, das addiert sich auf zirka 500 Akkordeonspieler. Mein Schwager hat sich deshalb in den Stadtrat wählen lassen und bereits ein öffentliches Akkordeonspielverbot für den Rathausplatz und den Weihnachtsmarkt erwirkt. Sobald er in seiner Kleinstadt aufgeräumt hat, will er sich auch um den Jazz kümmern. Mir zuliebe. Rainer Wein (
rainer.wein @ gmx.net ) |
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