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Sollte der Name Ludwig van Beethoven jemandem unbekannt sein, so ist es dennoch wahrscheinlich, dass ihm oder ihr Klänge aus den Symphonien dieses Komponisten, und sei es das Schicksalsmotiv der Fünften, begegnet sind. Die Symphonien gehören nicht nur in Deutschland zum Bildungskanon und Kernrepertoire klassischer Interpreten. Und seitdem die „Ode an die Freude“ aus der Neunten vom Ministerkomitee des Europarates 1972 zur Europahymne deklariert wurde, repräsentiert diese Melodie mit dem Text von Friedrich Schiller die Ideale des ganzen Kontinents. Das alles weiß auch Marcus Schinkel, der dort wohnt, wo Ludwig van Beethoven geboren wurde, in Bonn. Während seiner Ausbildung zum klassischen Pianisten lernte er natürlich auch dessen Werke kennen. Danach studierte er an der Hogeschool van de Kunsten in Amsterdam Jazzklavier und gründete 1993 mit Bas Rietmeyer, Bass und Wim de Vries, Schlagzeug, ein Trio. Das Thema „Beethoven“ hatte er jedoch nicht vergessen. Zum 10-jährigen Bestehen des Ensembles wurde „News From Beethoven“ veröffentlicht, wofür Marcus Schinkel einige Werke wie die „Mondscheinsonate“ im Jazzstil umarrangierte. Nun hat sich Marcus Schinkel die „9 Symphonies“ vorgenommen, „weil sie mich als Musiker nachhaltig geprägt haben. So wie afro-amerikanische Jazzer ihre Standards aus dem populären Songbook der USA und anderswo genommen haben und nehmen, sind für mich die Beethoven-Symphonien eine allgemein verfügbare Ressource. Die Tradition ist nicht die Aufbewahrung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers. Relevant ist für mich die innere Einstellung zu Beethoven, zu seinem Erbe und seinem Feuer, das aus seiner rebellischen Attitüde und seinen exzeptionellen Fähigkeiten zu improvisieren scheint. Deshalb empfinde ich es nicht als Sakrileg, sondern als legitim, seine Symphonien nach eigenem Konzept zu spielen.“ Dieses Konzept grenzt sich bewusst vom Stil ab, den Jacques Loussier bei „Play Bach“ anwandte. Ihn wollte Marcus Schinkel keinesfalls imitieren. Vielmehr hat er sich aus den Symphonien jeweils markante, nach seinem Gusto am besten geeignete Passagen herausgesucht und darauf basierend einen persönlichen musikalischen Bogen gespannt. Klassische Komposition und Jazzimprovisation werden so verschmolzen. Nun bedient Marcus Schinkel keine Klischees, auf ein bekanntes Themenzitat wie das Ta Ta Ta Taaa wartet man vergeblich. Völlig unprätentiös geht es in die Symphonien, etwa mit wuchtigem Jazzrock in die Erste oder in die Vierte mit Swing. Das Streichquartett übernimmt dabei oft eine Melodierolle. Für die Zweite hat Marcus Schinkel die Tonart von Dur nach Moll transponiert, sodass der Wiedererkennungswert zunächst niedrig ist. Man muss schon genau zuhören, um die Referenzen an die klassische Substanz zu bemerken. Überrascht wird man deshalb, wenn zu Beginn der Achten die Musik plötzlich wie bei einem alten Grammophon oder einer historischen Aufnahme der Berliner Philharmoniker klingt. Ein technischer Gimmick, den das Indigo Streichquartett realisiert hat. Vielleicht um eine gewisse ironische Distanz anzudeuten, die sich dann nochmal in der großen Klavierkadenz zeigt. Auch die „Ankunft auf dem Land“ ist eher eine skeptische
Betrachtung der Sechsten (Pastorale), weil das von Marcus Schinkel imaginierte
Land kaum bewohnbar erscheint. Besonders intensiv wirkt „Napoleon‘s
Last Dance“, dessen trübe Elegie wohl Beethovens Illusion über
den französischen General reflektiert. Zwar werden auch bei Marcus
Schinkel „Alle Menschen Brüder“, aber die „Freude
schöner Götterfunken“ im Latinrhythmus verdünnt
sich doch in den Streicherpizzicati zur vagen Hoffnung. Hans-Dieter Grünefeld CD-Tipp
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