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Sein wohl bekanntestes Stück heißt „Skin Deep“, was man mit „oberflächlich“ oder „nicht tiefgehend“ übersetzen könnte. Fällt der Name Louie Bellson, denkt der Jazzfreund ähnlich wie bei seinem Freund Buddy Rich zunächst einmal an die schier unerschöpflichen technischen Ressourcen eines Virtuosen mit vier voneinander unabhängigen, gleich stark entwickelten Gliedmaßen, an jemanden, der vertrackte Schlagzeugartistik darbieten konnte wie kaum ein zweiter, und das natürlich sehr swingend, unterhaltend, mit einer Bigband, die immer eine gute Show bot. Ein Musiker wie Bellson, mit seinen ausgeprägten Tugenden Perfektion, Energie und Showtalent, steht schnell mal im Verdacht lediglich oberflächliches Feuerwerk, dessen Eindruck gleich verpufft, verwirbelnden Glitter und Glimmer zu liefern. Bei Louie Bellson ein durchweg falscher Verdacht. Ja, man hat ihn als „schnellsten Schlagzeuger der Welt“ bezeichnet und aggressiv zupackendes Temperament hat er gern gezeigt, aber keineswegs nur für die Show. Einfühlungsgabe und Geschmackssicherheit schienen ihm angeboren. Er war nicht darauf aus, sich mit seiner Virtuosität immer in den Vordergrund zu drängen, und schien oft dort am glücklichsten, wo es darum ging, einfach swingend anregender Motor der anderen zu sein. Statt Tricks vorzuführen, war sein Drumming immer in die Klanglandschaft eingebettet, die oft von ihm selbst arrangiert war. Louie Bellson ist auch als Komponist hervorgetreten, scheute dabei nicht davor zurück, mit seiner Feder auch Sinfonieorchestern das Swingen beizubringen. Wie bei seinem Mentor Ellington waren es zuletzt sogar geistliche Werke. Wer seine Ohren offen hält, kann in seinem Spiel nicht nur Rhythmen vernehmen, sondern auch Melodien. Duke Ellington hat ihn nicht nur als besten Schlagzeuger der Welt bezeichnet, sondern als größten Musiker der Welt. Bei aller Übertreibung, die in diesem Wort stecken mag, der Duke erkannte offensichtlich, dass er mit ihm nicht nur den besten Drummer engagiert hatte, der seine Band je zierte, nicht nur einen Trommelartisten erster Güte, sondern einen vollständigen, vielseitigen Musiker, der zufällig das Schlagzeug perfekt beherrschte, es aber vermutlich auf jedem Instrument weit gebracht hätte. Seine Kindheit legt dies nahe. Louie mit „e“, mal als Louis mit „s“ geschrieben, ist die amerikanische Form von Luigi. Der spätere Bellson erblickte am 6. Juli 1924 noch als Luigi Paulino Alfredo Francesco Antonio Balassoni in Rock Falls, Illinois das Licht der Welt. Das Schicksal bescherte dem Italoamerikaner einen Vater, der nicht nur Musikalienhändler war, sondern auch die feilgebotenen Instrumente beherrschte und ihn mit etlichen vertraut machte. Als Luigi senior Luigi junior einmal zu einer Parade mitnahm, deutete der dreijährige Knabe aufgeregt mit seinem Fingerchen auf die Trommler. Die Entscheidung war damit gefallen. Luigi wurde zunächst von seinem Vater unterwiesen, doch dann kamen richtige Schlagzeuglehrer an die Reihe. „Mein Vater ließ mich das Klavierspiel erlernen“, erinnerte sich Bellson. „Er pflegte zu sagen: ‚Eines Tages wirst du ein Bandleader sein, also musst du dich auch darauf vorbereiten, ein guter Musiker zu werden. So wirst du mehr von der Band respektiert werden. Sie wissen, dass du ein guter Musiker bist, wenn du ein falsche Note in einem Akkord erkennen kannst.‘ Ich werde nie diese Worte vergessen.“ Sein Vater bewies damit viel Weitsicht, denn so viele trommelnde Bandleader gab es zu dieser Zeit noch nicht. Als Louie dreizehn war, hatte ihm sein „Vater praktisch jede Arie aus jeder italienischen Oper beigebracht. Mein Vater glaubte wie Duke Ellington, dass es nur zwei Arten Musik gebe, gute und schlechte. Es ist ja alles Musik, ob Oper oder Jazz und es könnte sein, dass sie ein bisschen von beidem in dem, was ich spiele hören können.“ Schon der Teenager war erfinderisch: „In der High School war ich verrückt nach dem Schlagzeug. Ich verwendete ein Schlagzeug mit zwei großen Trommeln – eine für meinen linken Fuß und eine für meinen rechten, was damals sonst keiner tat“, erinnerte sich Louie Bellson. Heute machen das mehrere Power Drummer im Rock- und Metal-Bereich. Zunächst wurde Bellson ausgelacht, als er mit seiner voll ausgearbeiteten Idee 1939 zu einem Hersteller ging. 1946 ließ er sich dann endlich so ein Schlagzeug mit „Double-Bass-Drum“ bauen. Es wurde sein Markenzeichen. Bellson ist übrigens nicht nur der Erfinder der doppelten Bass-Drum im Set, er hat auch eine heute gängige Methode ersonnen, wie man Basstrommeln aufnimmt. Er schnitt einen Kreis von der Größe einer 10-inch-LP aus, damit ein Mikrophon hineingestellt werden konnte. Doch zurück zu den Anfängen. Bei Gene Krupas Lehrer Roy Knapp studierte er in Chicago die Trommelkunst, die er aber zunächst dazu nutzte, in Striplokalen und im Zirkus das Geschehen zu illustrieren. 1941, er war 17 Jahre alt, nahm er mit angeblich 40.000 anderen jungen Schlagzeugern an einem nationalen Wettbewerb teil, der von Gene Krupa geleitet wurde. Bellson trug den Sieg davon. Als Krupa ihm den Preis überreichte, sagte er: „Du hast eine brillante Karriere vor Dir.“ Wenn sie sich später trafen, pflegte Krupa zu sagen: „Siehst du, ich sagte dir ja, dir stünde eine große Karriere bevor.“ Unter Goodmans Fuchtel1942 begann Bellsons große Laufbahn im Orchester Ted Fio Rito. 1942 und dann nochmals nach dem Militärdienst 1946 schloss sich Louie Bellson dem Orchester Benny Goodman an, in dem zuvor schon Krupa berühmt geworden war. Bellson erinnerte sich: „Ich hatte nie Probleme mit ihm. Ich tat, was er sich wünschte.“ Bellson äußerte sich auch zu Goodmans „ray“ einem berühmt-berüchtigten, strafenden Blick: „Der Ray war vollkommenes, kaltes Starren, doch er wurde oft von der Presse falsch verstanden. Ja, Benny starrte, wenn ihm etwas nicht gefiel. Aber er hatte auch die komische Angewohnheit zu starren, wenn er dir nur aufmerksam zuhörte, um wirklich zu hören, was du machtest. Er blendete aus, dass er das tat und die Musiker dachten, dies sei der Ray, aber er war es nicht. Ich erinnere mich, dass er mich während einer Probe lange fixierte. Ich wunderte mich, worin das Problem lag. Dann merkte er, dass er mich anstarrte und lächelte. Ich lächelte zurück.“ Auf der Drehscheibe1947 bis 1950 wirkte Louie Bellson bei Tommy Dorsey, der so begeistert von Bellsons doppelter Bass-Drum war, dass er ihn auf einer motorisierten Drehscheibe zur Schau stellte, damit die Leute optisch nachvollziehen konnten, was sie hörten. Während seines knappen Jahres bei Harry James musizierte er mit dem Altisten Willie Smith und dem Posaunisten Juan Tizol, der zuvor ein Star der Ellington-Band war. Eines Tages bat der Duke Tizol, doch wieder in seine Band zu kommen. Da Ellington sich zu dieser Zeit mit seinem Drummer Sonny Greer überworfen hatte und sein größter Star, der Altist Johnny Hodges, sich selbstständig gemacht hatte, ging er aufs Ganze und sagte zu Tizol: „Ich höre, ihr habt einen guten Drummer dort. Warum fragst du nicht Lou, ob er mitkommen will? Und ich brauche auch Willie Smith.“ Die drei gingen zu Harry James und erklärten: „Wir drei haben die Chance, uns Dukes Band anzuschließen.“ Harry James schaute sie eine Minute lang an und sagte: „Nehmt mich doch mit.“ So hatten sie seinen Segen. Bellson holte das Orchester, das erst 1956 wieder ein großes Comeback feierte, schon 1951 bis 1953 etwas aus der Talsohle. Ellington, der meist selbst komponierte oder Billy Strayhorn schreiben ließ, tat etwas seinerzeit Unerwartetes, er nahm eine Reihe von Bellson-Kompositionen und Arrangements ins Repertoire seines Orchesters auf, Stücke wie „Ting-a-ling“ oder jenes „Skin Deep“, die auf manchen Alben versehentlich sogar als Ellington-Kompositionen bezeichnet werden. 1952 heiratete Bellson die Sängerin Pearl Bailey. Die Ehe des weißen Drummers und der schwarzen Sängerin hatte im rassistischen Amerika jener Tage Signalwirkung. Es war die Zeit, in der Bellson kurzerhand als Haitianer ausgegeben wurde, um eine problemlose Tour mit dem schwarzen Ellington-Orchester zu ermöglichen. 1953 verließ er Duke Ellington, um in der Band von Pearl Bailey zu wirken. Das tat er bis zu ihrem Tod 1990. Bellson blieb aber stets Ellingtons Lieblingsdrummer. Immer wenn dieser ihn traf, fragte er ihn: „Was macht der Welt größter Drummer jetzt? Können wir ihn wiederbekommen?“ In der Tat hat Ellington vereinzelt immer wieder für besondere Projekte auf Bellson zurückgreifen können, etwa 1956 für das Album „A Drum Is A Woman“ oder 1965 für das „First Sacred Concert“ oder das kurz vor dessen Tod entstandene „Duke’s Big Four“. Natürlich war Bellson in all diesen Jahren weit mehr als nur der Begleiter der Bailey. Er legte ab 1953 Aufnahmen unter eigenem Namen vor und gehörte bald zu den angesehensten Orchesterleitern des Jazz. Auf WelttourneeZugleich begann eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Produzenten und Impresario Norman Granz, der ihn ab 1954 auch mit seiner Session-Truppe „Jazz at the Philharmonic“ durch die Welt schickte. Über seine Zeit mit JATP erzählte Louie Bellson einmal: „Es waren die besten Konzerte meines Lebens, bei denen ich meine Beziehung zu den Musikern entwickelte. Oscar mochte das 18-inch-Becken, Dizzy das chinesische Becken. Lester Young sagte: ‚Lady Bellson, spiele nur tittty-boom, titty-boom und wirf keine Bomben.‘ Könnte jeder Drummer eine Woche mit JATP haben, es käme fünf Jahren Schulung gleich.“ Granz scheint zwar Buddy Rich bevorzugt zu haben, doch er brachte auch Bellson mit Gott und der Welt zusammen. So kam es zu Konzerten und Aufnahmen mit Größen wie Ella Fitzgerald, Oscar Peterson, Lester Young, Dizzy Gillespie, Art Tatum, Benny Carter und x und y und z, die meist auf den Lables Verve und Pablo veröffentlich wurden. Allein schon diese Sideman-Tätigkeit als blitzgescheiter, anpassungsfähiger Alleskönner der Besen und Stöcke würde seinen Nachruhm für alle Zeiten sichern. Indes trat er ab den 60er-Jahren immer stärker als Bandleader hervor. Nach dem Vorbild Duke Ellingtons komponierte Louie Bellson für seine Big Bands eine Reihe von Suiten. Herausgegriffen sei hier nur „The Matterhorn Suite” des Jahres 1978. Um Sammlern den Namen des zweiten, auf dem Album gar nicht namentlich angeführten, Drummers zu nennen, es handelt sich dabei um Billy Cobham. Über sein eigenes Ableben sinnierend, sagte Bellson einmal, „Maybe the last thing I’ll do is hit a rimshot or a cymbal, and I’ll go out that way. But at least I’ll go out swinging.“ Fast wäre es dem Unermüdlichen vergönnt gewesen. Doch nach der Hüftoperation im November 2008 verstummte Bellsons Schlagzeug. Nun bleiben von ihm nur noch die Aufnahmen und ein Dutzend Bücher und Büchlein über das Schlagzeug- und Percussion-Spiel. An etwa 450 Tagen ist er zwischen 1942 und 2007 aufgenommen worden. Er soll über 1.000 Kompositionen, darunter mehrere Suiten, ein Ballett, Kirchenmusik und das Broadway-Musical „Portofino“ geschrieben haben. Bellsons Tod am 14. Februar 2009 in Los Angeles setzte einen Schlusspunkt unter dieses lange und fruchtbare Schaffen. Die Voraussetzung dafür ist eine gesunde Lebensweise gewesen: „Wenn man ein physisch so anspruchsvolles Instrument spielt, müssen Arme und Beine gut in Form sein und man muss auf seine Gesundheit achten. Man muss aufpassen, was man isst, braucht viel Ruhe und sollte nicht Trinken oder Drogen nehmen, sonst hält man in diesem Business nicht lange durch. Als ich mit dem spielen anfing, haben mich alle immer nur ‚Apples‘ genannt, weil ich immer einen Sack voll Äpfel mit im Tourbus hatte. Alle anderen haben sich besoffen und ich habe Äpfel gegessen. Ich habe mir nie Sorgen wegen der Soli gemacht, denn ich hatte die Technik. Wenn aber ein Musiker nach dem Set zu einem Schlagzeuger gehen kann und sagt, ‚Wow, Du hast wirklich die Band zum swingen gebracht‘, ist das für mich das größte Lob, das ein Drummer bekommen kann.“ Sollte er je getrommelt haben ohne zu swingen, muss dies im Geheimen passiert sein. Grazie, Luigi! Marcus A. Woelfle |
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