Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Wahrscheinlich hat Branford Marsalis im Laufe des Interviewtages eine Menge unsinniger Fragen gehört Und allem Anschein nach gehört auch die nach den neuen Chancen für die afroamerikanische Musik dazu. Jedenfalls sprudelt die Antwort mit fröhlichem Grimm aus ihm heraus: „Das ist der größte Bullshit, den ich seit langem gehört habe! Bloß weil jetzt ein schwarzer Mann Präsident geworden ist, soll sich etwas ändern? Das ist, glaube ich, nicht der richtige Ansatz. Die Generation meiner Eltern war noch sehr von Vorstellungen des Rassismus geprägt, die waren entsprechend indoktriniert. Da hieß es dann auch, man solle Obama nicht aufstellen, weil ihn keiner wählen würde. Aber bitte: Wir haben 2009 und nicht mehr 1980! Da hat sich nun wirklich was geändert!“ Spricht‘s und wendet sich wieder leichteren Dingen zu, seinem neuen Album beispielsweise, das er wegen des schönen deutschen Wortklangs „Metamorphosen“ genannt hat. Ansonsten habe er nicht viel mit Richard Strauss zu tun, auch wenn er dessen Musik sehr schätze. Den Titel aber habe er gerne adaptiert, zumal das englischsprachige Pendant bereits von einem Stück von John Coltrane besetzt gewesen sei. Metamorphosen also, Veränderungen und Verwandlungen. Ein wenig Ironie schwingt da mit, schließlich gehören Branford Marsalis und sein seit Jahren gleich besetztes Quartett zu den Konstanten des amerikanischen Jazz. „Ich bin kein Freund von Solo-Projekten“, meint der inzwischen 48-jährige Saxophonist und älteste der vier Erfolgsbrüder aus New Orleans. „Da reizt mich die Band viel mehr. Wir haben uns immer noch genug zu sagen.“ Dann räsoniert er weiter über die Musik seiner Heimat, dass er wenig wirklich neue Entwicklungen entdecken könne und dem Wahn der ständigen Innovation schon lange skeptisch gegenüberstehe. „Ich weiß es nicht. Oft haben Kritiker etwas verurteilt, was sich 40 Jahre später als das eigentliche Ding heraus stellte. Ich kann nicht wirklich etwas zur Musik von heute sagen und das heißt auch nichts, denn vielleicht habe ich das Neue einfach noch nicht gehört.“ Es hat etwas sokratisches, sich mit Branford Marsalis zu unterhalten. Diplomatie auf der einen Seite, dann wieder kräftige Emotionen, Ironie auf der anderen Seite und zwischendurch eine Prise Ernst. „Was ist die Geschichte hinter den ‚Metamorphosen‘? Nun, mein Tourmanager rief mich an und meinte, er brauche wieder neues Material, denn es wären schon zwei Jahre vergangen seit dem letzten Album. Ich sah in den Kalender und stellte fest, dass er Recht hatte. Also tourten wir zwei Wochen, mieteten ein Studio und nahmen auf. Zum Glück hatte die Band genügend neue Songs geschrieben, dass daraus auch etwas wurde. Und einiges ist auch von mir. ‚Jabberwocky‘ zum Beispiel bezieht sich auf ein Gedicht von Lewis Carroll, in dem die ganze Welt auf dem Kopf steht. Nichts passt zusammen. Ich mag Songs, die sich nicht an die Regeln halten, und daher passte in diesem Fall der Titel perfekt. Denn das Stück ist ein ziemliches Durcheinander.“ Das heißt jedoch nicht, dass hier an die chaotische Emphase angeknüpft würde, die einst die Großväter des Free inspirierte. Durcheinander bedeutet bei Branford Marsalis ein Höchstmaß an Organisation innerhalb der Musik und auch ein Stück wie „Jabberwocky“ strahlt vor allem Kontrolle und Übersicht aus. Das ist für ihn kein Widerspruch, denn seine Freiheiten beziehen sich auf Relativierungen innerhalb der vorgegebenen Form eines klassischen Jazzquartetts. Der Titel „Metamorphosen“ kann daher auf falsche Fährten führen, denn es geht nicht um grundlegende Verwandlungen, die aus einer Raupe einen Schmetterling machen, sondern um Details der stilistischen Weltsicht, die womöglich das amerikanische Traditionssystem noch ein bisschen eleganter deuten. Und eines ist klar: Vom Standpunkt der spieltechnischen Qualitäten aus gesehen, kann kaum ein anderes amerikanisches Quartett Marsalis und den Seinen das Wasser reichen. Ralf Dombrowski Anspieltipp
|
|