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Obgleich eine der originellsten Kompositionen des zwischen Nürnberg und Berlin pendelnden Tenorsaxophonisten Alejandro Sánchez „No sé“ (Ich weiß nicht) heißt, hat der 26-jährige Kompositionsschüler des Nürnberger Multibläsers- und Jazzprofessors Steffen Schorn (Kölner Saxophon Mafia, Triosphere) bereits eine Menge richtungweisender Ideen. Der junge Saxophonist, der 400 Kilometer südlich von Buenos Aires in Mar de la Plata geboren ist, weiß genau was und wohin er will.
Und soviel ist sicher: Nach Tim Berne, Ellery Eskelin und dem jungen Chris Speed ist endlich einmal wieder ein junger Saxophonist mit ähnlich eigenständigem, unverwechselbaren Sound am Start. Sein majestätisch kraftvoller und gleichzeitig melancholischer Ton wurzelt allerdings nicht im Blues, sondern beschwört mehr die von schwüler Hitze und latenter Angst geprägte Großstadt-Atmosphäre seiner argentinischen Heimat. Hört man beispielsweise das Titelstück seiner Debüt-CD „Get Enrosqued en Demasía (deutsch etwa: „In einem Zuviel an Leben verwickelt werden“), die dieser Tage bei Jazz4ever (Vertrieb: Sunny Moon) erscheint, wird man diese Einschätzung mühelos nachvollziehen können. Im Titelstück beschreibt Sánchez die emotionale Ausgangslage in seiner Konfrontation mit dem Moloch Buenos Aires: „Man ist überwältigt von dem Gefühl, in jedem Moment könnte einem alles über den Kopf wachsen“. Und ergänzt: „Man hat das Gefühl, dass jederzeit alles passieren kann, alles möglich ist – und fühlt sich schier überwältigt von den Übermaßen und Massen an Eindrücken und Reizen. Die Großstadt, der Smog, diese Hitze scheinen einen zu verschlingen.“ Was so mit dem Gefühl einer Niederlage beginnt, verwandelt Sánchez aus innerer Notwendigkeit, sich als Individuum und Künstler im widersprüchlichen Zeichengewitter moderner Urbanität zu behaupten, in seiner Kunst ästhetisch gewendet in einen Sieg. Nachzuprüfen beim Hören seiner „Suite Libertad“ (Freiheits-Suite), die er auf seiner aktuellen CD mit seiner Gruppe „Der 05 Report“ eingespielt hat. „Der erste Teil dieser Suite leitet eine Reihe von Stücken ein, in denen sich alles um Befreiung dreht.“ Für Sánchez ist dieser Part 1 der fünfteiligen Suite wie ein Schrei nach Luft: Das Auftauchen seiner eigenen Stimme, die sich machtvoll vorstellt. „Man trägt Verantwortung für sein eigenes Schicksal“, sagt Sánchez, der auf den Spuren von Philosoph Jean Paul Sartre weiß, dass man zur Freiheit verurteilt ist. Dass einem im Leben nichts geschenkt wird, vor allem nicht die eigene Stimme – und das Privileg, sie zu erheben und zu Gehör zu bringen. Sánchez entbehrungsreicher Weg zur Kunst beginnt früh und schon für seine Saxophon-Ausbildung musste er weite Wege gehen. „Jede zweite Woche fuhr ich von zuhause 400 Kilometer zu meinem Saxophonlehrer nach Buenos Aires und die gleiche Strecke am Abend zurück. Da fuhr ich dann morgens um acht Uhr los und war erst um Mitternacht wieder zu Hause“, erinnert sich Sánchez. Mit 18 führt Alejandro Sánchez seine Leidenschaft für den Jazz in den kalten Süden Deutschlands. „Das Meer und die Wärme meiner Heimat vermisse ich am meisten hier in Deutschland“, sagt Sánchez. In Nürnberg bei Hubert Winter an der heutigen Hochschule für Musik beginnt er Saxophon zu studieren und gehört heute bereits zum Dozentenstab der Jazzabteilung. In Nürnberg stößt Sánchez auch auf den Schlagzeuger Bernd Oliver Steidle, lange bevor er John Schröder bei der Ex-Nürnberger Vorzeige-Schrägtöner Band „Der Rote Bereich“ ablöst. Heute bildet Olli Steidle neben dem Gitarristen Arne Jensen (Firomanum, Katja Riemann Oktett) und Sánchez Landsmann Rudolfo Paccapelo den Kern der Gruppe „Der 05 Report“, zu der manchmal Gäste wie Eric Schäfer von Stefan Wollnys (em) stoßen. Dass Alejandro Sánchez mehr ist als nur ein Saxophonist mit großer Imagination, zeigen vor allem auch die für sein Nonett geschriebenen Kompositionen. Posaunist Gerhard Gschlössl oder Steffen Schorn beispielsweise unterstützen Sánchez bei diesem Projekt, das an die großen Ensembles von „AACM“-Musikern wie Muhal Richard Abrams oder Henry Threadgill anknüpft. Zuletzt erhielt er für die komplexe Komposition „Die Schärfe einer Sekunde“ den ersten Preis aus dem „Bruno-Rother-Gedächtnis-Fonds“ im Bereich Jazz-Komposition. Auch Festivalmachern ist das Talent des jungen Argentiniers nicht verborgen geblieben. So ist Alejandro Sánchez am 1. Oktober im Jazzstudio Nürnberg um 22 Uhr Teil des neuen Nürnberger Jazzfestivals Stimmenfang (siehe auch Seite 10 dieser Ausgabe!). Reinhold Horn |
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