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Jazzzeitung

2005/09  ::: seite 11

farewell

 

Inhalt 2005/09

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Die abgekürzte Zukunft
all that jazz:
Die Extreme berühren sich
jazzfrauen-abc: Sheila Jordan
Farewell: In memoriam Albert Mangelsdorff


TITEL / DOSSIER


Titel: Dem Weg des Sounds folgen
Die Polin Anna Maria Jopek: ein neuer Star am Gesangshimmel
Dossier:Heimat von Gwo Ka und Zouk
Guadeloupe harrt seiner Entdeckung durch Jazzfreunde


BERICHTE
/ PREVIEW

Neueröffnung des Polnischen Instituts in Berlin // Görlitzer Altstadt im Jazzfieber // Jazz im Audi Forum Ingolstadt // 34. Moers-Festival // 24. Bayerisches Jazzweekend // Festival „Jazz an der Donau“ // 12. New Orleans Music Festival in Wendelstein


 JAZZ HEUTE

Gemeinsam auf Stimmenfang
Ein neues Jazzfestival aller Initiativen in Nürnberg
Vogelparadies
Joe Zawinul und das Birdland Wien


 PORTRAIT / INTERVIEW


Saxophonist Alejandro Sánchez // Trompeter Paul Brody // Oscar Peterson // Karolina Strassmayer – die erste Frau in der WDR Big Band // Thilo Bergs Label Mons Records


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2005/09
Bücher. Neuerscheinungen über die „Erfinder“ des Jazz, Jazz in der DDR und Klassiker
Bücher. Buch zum mentalen Training für Musikerinnen und Musiker
Noten. Neues Notenmaterial für Mandoline, Bands und Trompete
Noten. Ack van Rooyen: The Way I Play – 11 Solos for trumpet/flugelhorn in Bb
Instrumente. Ayers Elektroakustik


 EDUCATION

Fortbildung // Ausbildungsstätten in Deutschland (pdf)


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2005/09 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (303 kb))

Danke und Hut ab

In memoriam Albert Mangelsdorff

Sein Spiel erwies sich als unverkennbar, glich einem musikalischen Daumenabdruck, ließ sich bereits nach wenigen Tönen mit einem, mit seinem Namen assoziieren: Albert Mangelsdorff. Uns bleiben seine Aufnahmen aus mehr als einem halben Jahrhundert, Milestones einer Musik, die als afroamerikanisch definiert wurde und die – dank Musikern wie Albert Mangelsdorff – auch eine europäische Dimension gewonnen hat. Uns bleiben seine Tondokumente, aber er wird uns fehlen: ein Mensch mit nobler Ausstrahlung und zugleich einer, der seinen Zuhörern herzlich entgegenkam – einer Großfamilie, die ihn „Albert“ nannte, vertraut und zugleich mit großen Respekt. In einem Langzeitprozess mit innerer Logik gelang es Albert Mangelsdorff, Jazzgeschichte nicht nur nachzuvollziehen, sondern mitzugestalten. Albert Mangelsdorff personifizierte Tugenden des Jazz: Offenheit, Wandlungsfähigkeit, Originalität.

Affinität zum „dialogischen Prinzip“: Albert Mangelsdorff. Fotos: Michael Scheiner

Affinität zum „dialogischen Prinzip“: Albert Mangelsdorff. Fotos: Michael Scheiner

Was auf sein Spiel zutraf vermag zugleich seine Persönlichkeit zu beschreiben: gleichermaßen entspannt und konzentriert, ganz auf die Musik bezogen, uneitel, aber nicht selbstvergessen, immer bezogen auf einen Zusammenhang. Albert Mangelsdorff war ein großartiger Musiker und zugleich ein Mann von edler Gesinnung. Jazz bedeutete für ihn mehr als nur lustvolles Tönen. „Ich habe“, sagte er, „Jazz immer als ein Synonym für Freiheit begriffen.“ Solches Denken entspringt der Geschichte und der biographischen Erfahrung des am 5. September 1928 in Frankfurt am Main Geborenen. Es war Alberts älterer Bruder Emil, der Anfang der vierziger Jahre, während des Krieges, Jazzplatten mit nach Hause brachte. „Von Anfang an“, bekannte Albert Mangelsdorff, „hat mich diese Musik gepackt.“ Eine Musik, die die Nazis als „entartet“ verunglimpften, wurde zum Inbegriff für eine andere Welt – jenseits von Gleichschritt und völkischer Gleichschaltung.

Nach dem Krieg spielte Albert, der Violine und autodidaktisch Gitarre gelernt hatte, in einer Big Band der amerikanischen Besatzer die „Musik der Befreier“. Die in den Ami-Klubs gesammelten Erfahrungen konnten nicht die jazzmusikalische Sozialisation im Ursprungsland des Jazz ersetzen, aber sie gaben eine Ahnung davon, was Jazz authentisch bedeutet. Mit zwanzig entschied sich Mangelsdorff für die Posaune, „weil sie der menschlichen Stimme so ähnlich ist, so gesangsähnlich gespielt werden kann.“

Die fünfziger Jahre – das war die Zeit mit Musikern wie Joe Klimm, Hans Koller und Attila Zoller, die Zeit mit den Frankfurt All Stars und den German All Stars. Dem Jahr 1958 kommt rückblickend besondere Bedeutung zu: Albert übernahm die Leitung einer in seiner Art einmaligen und nach so vielen Jahren noch immer vitalen Einrichtung, die des Jazz-Ensembles beim Hessischen Rundfunk. Ebenfalls 1958 kündete Albert Mangelsdorff als Mitglied der „International Youth Band“ beim Newport Festival vom „deutschen Jazz“. Schon damals, wie auch später, bei all den Tourneen, die ihn rund um die Welt führen sollten, erwies er sich als eine Art musikalischer Botschafter – immer bescheiden und doch unüberhörbar eigen, auf die Tradition bezogen und zugleich innovativ.

Auch das hing mit Lebens- und Musikerfahrung zusammen: Albert Mangelsdorff hat sich den Jazz in seiner großen historischen Verlaufskurve als den „Sound des zwanzigsten Jahrhunderts“ zu eigen gemacht. Mit traditionellem Jazz und der Swing-Musik der Kriegs- und Nachkriegsära vertraut, entdeckte er die faszinierende Linearität und Transparenz von Leitfiguren wie Lennie Tristano und Lee Konitz. Doch er hat auch die afroamerikanischen Komponenten aufgesogen, sich ganz in die Ursubstanzen dieser Musik vertieft und immer wieder als Postulat formuliert: „Es muss halt swingen“.

Die Mangelsdorff-Gruppen der sechziger Jahre nehmen eine zentrale Bedeutung ein – nicht nur in der Biographie des Posaunisten, sondern in der Geschichte des europäischen Jazz. Die Quartett- und Quintettbesetzungen mit Heinz Sauer, Tenorsaxophon, Günter Kronberg, Altsaxophon, Günter Lenz am Bass und Ralf Hübner am Schlagzeug versetzten die Musiker in völlig neue Freiräume und vermittelten doch zugleich das Gefühl einer musikalischen Schlüssigkeit und Geschlossenheit. Losgelöst von den starren Bindungen an die Tradition und unverkennbar bezogen auf die „Grundwerte des Jazz“, haben diese Gruppen neues musikalisches Terrain erobert.

Die Aufgeschlossenheit von Albert Mangelsdorff machte ihn zu einem Musiker mit besonderer Affinität zum „dialogischen Prinzip“. Angefangen von den frühen Duos mit dem Gitarristen Attila Zoller über musikalische Zwiegespräche mit so unterschiedlichen Partnern wie Wolfgang Dauner, John Surman und Elvin Jones, hat der Posaunist immer wieder bewiesen, dass er sich zu öffnen und eben, spielend, auch zuzuhören vermag. Unübertroffen und unnachahmlich war Albert Mangelsdorff als Solist. Doch so wie er konnte nur einer spielen, der unzählige Begegnungen und Eindrücke zu verinnerlichen wusste. Und so war die Einsamkeit zugleich erfüllt mit all dem, was ihn beeindruckt hat und zu inspirieren vermochte: von Ellingtons „A Creole Love Call“ bis zu den Melodielinien heimischer Singvögel, von den Liedern des Mittelalters bis zu den wundersamen Gesängen der Walfische ferner Weltmeere, von den Geschichten der Tailgaters und der Talking Horns bis zu den indischen Talas und Ragas. Durch gleichzeitiges Singen und Spielen erzeugte Albert Mangelsdorff jene Mehrstimmigkeit auf der Posaune, die zu seinen Markenzeichen zählte. Dabei ging es ihm um mehr als nur um einen artistischen Effekt, nämlich um die Erweiterung des Ausdrucks. Dazu bedurfte es freilich nicht nur der Genialität spontanen Gestaltens, sondern auch des kontinuierlichen Konditionstrainings. Albert Mangelsdorff, der souveräne Hochseilartist, war zugleich ein Musiker, der die Basisarbeit niemals vernachlässigte. Jahrelang stieg er täglich vormittags in den Frankfurter Jazzkeller wie in einen Stollen zum Üben unter Tage.

Freiheit innerhalb des Jazz bedeutete für Albert Mangelsdorff eine Rundumperspektive von dreihundertsechzig Grad. Er hat mit Peter Brötzmann gespielt, als dieser von vielen noch als Enfant terrible des deutschen Jazz betrachtet wurde, und zeitweilig das Trio mit Brötzmann, Fred van Hove und Han Bennink zum Quartett ergänzt. Gerade in solchen Spielsituationen kam er zu musikalischen Erweiterungen seines Spiels, die er nie erfahren hätte, wäre er ängstlich auf den Status quo fixiert geblieben. Als Mitglied des von Alexander von Schlippenbach geleiteten „Globe Unity“ Orchestra wie auch in der Zusammenarbeit mit zeitgenössichen Komponisten bewegte sich Albert Mangelsdorff in Grenzbereiche zur Neuen Musik. Stets sprach er mit Respekt für diese „Nachbargebiete“, die er engstirnigen Kritikern gegenüber verteidigte, auch wenn er sein eigenes musikalisches Zentrum im Jazz sah. Free Jazz auf der einen, auf der anderen Seite Rockjazz mit dem United Jazz + Rock Ensemble – für viele erscheint Gegensätzlicheres ist kaum vorstellbar. Albert Mangelsdorff hat seine Identität bewahrt, mehr noch, er vermochte sich kreativ einzubringen, weil er eben nicht Konträres darin sah, sondern einander Ergänzendes zu entdecken vermochte. Ebenso wusste er als künstlerischer Leiter des JazzFestes Berlin Programme zu entwerfen, die fernab eines Schubkastendenkens das ganze Spektrum dieser Musik aufleuchten ließen. Eine Musik, für die es mittlerweile unterschiedliche Namen und Beschreibungen gibt, die Albert Mangelsdorff aber immer und geradezu liebend gern als „Jazz“ bezeichnete.

Wenn es eine Person gibt, auf die sich die unterschiedlichsten Fraktionen der deutschen Jazzszene einigen können, dann ist es Albert Mangelsdorff. Doch „unser aller Vorsitzender“, wie ihn ein Musiker einmal charakterisierte, war ein Individualist, keine Institution. Seinem Wesen nach zeichnete er sich eher durch feine Zurückhaltung aus; er war nie einer, der sich seinem Publikum angeboten, gar angebiedert hätte. Und doch vermittelt er denen, die ihm zuhören, jene natürliche Freundlichkeit, die es einer großen Fangemeinde ganz selbstverständlich erscheinen ließ, ihn beim Vornamen zu nennen: „Hallo, Albert!“ Er war so etwas wie eine Symbolfigur des deutschen Jazz – menschlich höchst integer und musikalisch von einer großen Integrationskraft. Einem seiner Stücke gab er den Titel „Danke, Hut ab!“ Es ging ihm um eine Danksagung an all jene, die etwas für die Jazzszene getan haben. Dabei wollte er sich selbst bescheiden ausklammern. In diesem Punkt darf man ihm vehement widersprechen: Danke, Hut ab für Albert Mangelsdorff.

Bert Noglik

 

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