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Die Vorgeschichte beginnt mit dem Anruf des deutschen Firmeninhabers, Jazzliebhabers und Produzenten Hans Georg Brunner-Schwer beim amerikanischen Impresario Norman Granz. Er wolle, trägt der Herr aus dem Schwarzwald sein Anliegen vor, den berühmten Oscar Peterson zu einer Hausparty einladen. Und als Norman Granz noch einmal nachfragt, bevor er den Terminkalender seines kanadischen Starpianisten prüft, schallt es auch schon vom anderen Ende der Leitung, er, der Herr aus dem Black Forest, sei bereit, für den Auftritt im Wohnzimmer die für einen Abend in einer großen Konzerthalle übliche Konzertgage zu zahlen. Im Herbst 1963 fährt Oscar Peterson erstmals vor der Villa von Hans Georg Brunner-Schwer vor. „Als ich ausstieg“, schreibt Peterson in seiner Autobiographie, „kam ein Mann mit kurz geschnittenem, rötlich braunem Haar, einem runden Gesicht und einem bübischen Grinsen auf mich zu. ,Oscar’, rief er überschwänglich und sichtlich aufgeregt. ,Willkommen bei mir zu Hause. Ich bin Hans Georg, und ich freue mich so, dass Sie hier sind!’“ In den folgenden Jahren bis 1968 war Oscar Peterson immer wieder Gast in der Villinger Villa des Produzenten Brunner-Schwer, spielte er auf privaten Jazzpartys vor einem erlesenen Zuhörerkreis. Mit der aus Familienbesitz übernommenen Fabrik namens SABA, die sich auf Rundfunktechnik und später auf Hifi-Anlagen spezialisierte, war Brunner-Schwer mit einem gesicherten finanziellen Background ausgestattet, „Millionen-Schwer“, wie er auch gelegentlich genannt wurde. Beruflich motiviert und aus eigener Neigung entwickelte der Klavier-Begeisterte ein professionelles Interesse an Klangaufzeichnung und Klangwiedergabe. Mit der Produktion von Schallplatten für SABA und der späteren Gründung der Schallplattenfirma MPS machte er sein Hobby zum Beruf. Die drei Buchstaben MPS stehen für Musik Produktion Schwarzwald. Die Liebe von Hans Georg Brunner-Schwer galt dem Jazz. Unzählige Platten mit Musikern unterschiedlichster Stilrichtungen hat er produziert. Von 1969 bis 1972 hatte er Oscar Peterson unter Vertrag. Doch zuvor war Peterson Privatgast in der Schwarzwald-Villa. Aus rechtlichen Gründen durfte Hans Georg Brunner-Schwer mit Oscar Peterson anfangs nicht im Studio produzieren. Doch konnte ihm keiner verwehren, Peterson in sein Anwesen einzuladen und den Pianisten bei Hauskonzerten – freilich mit dessen Einverständnis – privat aufzuzeichnen. Oscar Peterson fühlte sich warmherzig aufgenommen, genoss die Atmosphäre der exklusiven Jazzpartys und spielte gar noch relaxter, noch gelöster, noch inspirierter als in seinen von einem großen Publikum umjubelten Auftritten in den Arenen von Paris, London oder New York. „Wenn reine technische Virtuosität die einzige Möglichkeit ist, auch die letzte Ecke einer großen Konzerthalle zu erreichen“, schreibt Gene Lees über Oscar Peterson, „dann wird er sie einsetzen. Doch in Villingen, angesichts der Rosen im Garten und des Geruchs frischen Kaffees am Morgen, hatte er keinen Grund, Respekt zu fordern oder ihn sich zu erspielen. Er wurde vor all den Menschen um ihn herum respektiert, ja bewundert.“ Erinnert man sich an die heftigen Diskussionen, die damals unter Jazzliebhabern geführt wurden, tut sich hier ein interessanter Aspekt auf. Peterson, von den einen vergöttert, wurde von den anderen hinsichtlich seiner künstlerischen Substanz angezweifelt. Er sei nicht stilbildend, meinten seine Kritiker, setze technische Brillanz ein wie Blendwerk. Doch auch dies kann ein Mittel sein, um sich als afroamerikanischer Musiker Respekt zu schaffen, dessen Peterson in anderem Kontext nicht unbedingt bedarf. Die kalten Büffets waren erstklassig, die Cocktails exquisit, die Gäste platzierten sich zwanglos um Piano, Bass und Schlagzeug, die Stimmung war entspannt. Ein Gigant des Jazzpianos in einem privaten Ambiente, das ein wenig an die Salons des 19. Jahrhunderts denken lässt, an Hauskonzerte mit Frédéric Chopin oder Franz Liszt. Aus der neuen Welt brachte Oscar Peterson einen mit Swing und Blues imprägnierten Stil des Jazzpianos mit nach Europa. Und Hans Georg Brunner-Schwer hat ihn aufgezeichnet – in einer Atmosphäre, in der sich der Pianist besonders wohl fühlte. Dabei war der Gastgeber, wie uns der Peterson-Biograph Gene Lees wissen lässt, bei den Konzerten nur zu Beginn im Raum anwesend. Er stellte die Mikrophone auf, ging dann in sein Aufnahmestudio in einem Obergeschoss des Hauses und verfolgte von dort aus das Geschehen über einen Monitor. Oscar Peterson hat den im Oktober 2004 im Alter von 77 Jahren bei einem Verkehrsunfall tödlich ums Leben gekommenen Hans Georg Brunner-Schwer als einen Mann beschrieben, „der von der Idee besessen war, auf Schallplatte wiederzugeben, was er in seinem Wohnzimmer gehört hatte.“ Dass und wie Brunner-Schwer das gelang, hat Oscar Peterson fasziniert. Der Gastgeber unternahm alles, um den prominenten Künstler freundlich zu stimmen und optimale Ergebnisse zu erzielen – sowohl was den Klang des Flügels als auch, was die Aufnahmetechnik anbelangt. Als er in einem Gespräch herausbekommen hatte, dass Peterson gerade auf Steinway als bevorzugte Klavier-Firma eingeschwenkt war, überraschte er ihn bei seinem nächsten Besuch mit einem nagelneuen Instrument. Die Begeisterungsfähigkeit, ja die Besessenheit von Brunner-Schwer, gepaart mit den Fähigkeiten eines geradezu genialen Tonregisseurs, der immer neue Mikrophonierungen ausprobierte, imponierte Peterson. Und obwohl Brunner-Schwer nur über rudimentäre Englischkenntnisse verfügte, entwickelte sich zwischen dem Produzenten und dem Pianisten bald eine herzliche Freundschaft. Dass diese schließlich in den siebziger Jahren brüchig wurde, hängt mit Rechtsproblemen und der Rückkehr Petersons in die Alleinvertretungsmacht von Norman Granz zusammen. Über die Atmosphäre der Privatpartys bei Brunner-Schwer schreibt
der Jazzkritiker Werner Burkhardt: „Man muss sich das vorstellen,
wenn man es sich heute überhaupt noch vorstellen kann. Da unterbrachen
die Giganten ihre ausverkauften Tourneen oder kamen aus New York, aus
Paris, der Wahlheimat so vieler schwarzer Musiker, und gaben ein Hauskonzert
in dieser nobel altmodischen Schwarzwald-Villa, vor einem Häuflein
von nicht mehr als 30, 40 Leuten. Wer da zu Gast geladen war, fühlte
sich erstmal gebauchpinselt, weil er dabei sein durfte. Doch Befangenheit
kam nicht auf. Er hockte, lässig und entspannt, zwischen Gleichgesinnten
und wurde mit Speis und Trank verwöhnt. Oscar Peterson hat davon gesprochen, dass einige seiner besten Konzerte nicht in riesigen Hallen, sondern in kleinen Klubs oder in einem privaten Kreis stattgefunden haben. Über einen der großen öffentlichen Auftritte Oscar Petersons in den sechziger Jahren hieß es in einer Kritik: „Das Publikum tobte, als er auf die Bühne kam, groß und kaffeefarben, ein Mann wie ein Bär, prächtig anzusehen in seinem modischen Smoking und seinen schnurlosen Lackschuhen. Seine Hände und seine Gelenke glitzerten vor Gold.“ Man kann das alles nachhören, auf einer 4-CD-Box mit dem Titel „Exclusively For My Friends“ (MPS 513 830-2) und einer Nachlese mit den vergessenen oder verloren gegangenen, schließlich wiedergefundenen Aufnahmen mit dem Titel „The Lost Tapes“ (MPS 529 096-2). Oscar Peterson, allein am Steinway, im Duo und in Trio-Formationen mit Ray Brown oder Sam Jones am Bass, Ed Thigpen, Louis Hayes oder Bobby Durham am Schlagzeug. Oscar Peterson hochkonzentriert und zugleich äußerst entspannt, auf eine Weise, wie das wohl nur im Jazz zusammengeht. Konzert und Cocktailparty. Es werden solche Aufnahmen sein, mit denen man sich an Oscar Peterson erinnern wird, wagte der englische Kritiker Max Harrsion bereits Ende der sechziger Jahre zu prophezeien, und er wird Recht behalten. Bert Noglik |
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