Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Sein Klavierspiel gleicht einem vulkanischen Fluss, erweist sich von elementarer Kraft. Kein Theaterdonner, sondern eine von menschlichen Händen in Bewegung gesetzte Naturgewalt. Um diese organische Qualität der Musik hervorzubringen, sagte der Pianist, müsse er völlig eins werden mit dem Instrument. Wenn McCoy Tyner die Improvisation als Feier des Augenblicks zelebriert, spiegelt sich auch heute noch etwas von der Erfahrung des gemeinsamen Musizierens mit John Coltrane.
Über einen Zeitraum von fast sechs Jahren, von 1960 bis 1965, spielte McCoy Tyner in dem aus heutiger Sicht nicht anders als „klassisch“ zu nennenden Quartett von John Coltrane. Was damals passierte, veränderte den Kurs des Jazz im zwanzigsten Jahrhundert und darüber hinaus. Auf einmal, hinter dem weggezogenen Vorhang, kam eine so noch nie gesehene, noch nie gehörte Schönheit zum Vorschein. Signifikanz und Ausdruckskraft, Vehemenz und Feinsinn, Power und Spiritualität. Die Zeit mit John Coltrane hat McCoy Tyner geprägt; die in den ekstatischen Spielabenteuern erfahrenen Euphorien haben ihn beflügelt. Ob er im Solo „Echoes Of A Friend“ intoniert, im Trio „Remembering John“ imaginiert oder mit Michael Brecker „Impressions“ beschwört – John Coltrane bleibt in McCoy Tyners Spiel allgegenwärtig. Im Quartett mit Coltrane, so McCoy Tyner, „handelte es sich um eine kollektive Anstrengung. Aber ich glaube, Coltrane war der Maschinist und Elvin der Zugführer. Alle vier waren notwendig, um den Zug ins Rollen zu bringen.“ Für sich selbst sparte McCoy Tyner einen Vergleich aus. Dabei hat er doch keineswegs nur Kohlen nachgelegt, sondern die Richtung des Zuges mitbestimmt. Als später elektrische Instrumente die akustischen zu verdrängen drohten, hielt McCoy Tyner an seinem Kurs fest. Modische Strömungen links liegen lassend, erscheint er heute als jazzmusikalischer Koloss am Klavier von klassischem Format. Geboren am 11. Dezember 1938 in Philadelphia, fing McCoy Tyner mit dreizehn Jahren an, Klavier zu spielen. Seit seinem 15. Lebensjahr öffentlich auftretend, begann er seine Profi-Laufbahn in Bands geleitet von Benny Golson und Art Farmer. Das war die Zeit vor Coltrane, die Zeit danach verzweigt sich in einer beinahe unüberschaubaren Vielzahl von Aktivitäten und Gruppierungen, oft in hochkarätigen Besetzungen mit Musikern wie Joe Henderson, Ron Carter, Sonny Rollins, Bobby Hutcherson... Bei alledem gibt es drei Konstanten im musikalischen Leben des Pianisten: Solospiel, Trio und von ihm geleitete Big Bands. Der Brennpunkt liegt auf der Hingabe an den Spielprozess. Innovation erwächst in der Musik von McCoy Tyner nicht in erster Linie aus der Exploration des Materials, sondern aus der Sicht in die Tiefendimensionen, aus dem Blick in das Innere. „Für mich“, bekennt er, „bedeutet Musik eine Reise der Seele in neue, unerforschte Territorien.“ Ganz allein auf der Bühne wirkt er wie ein Schwerarbeiter am Piano und zugleich wie ein Romantiker im Boxring. Sein Spiel offenbart Opulenz und bei aller Power doch auch lyrische Passagen. Er reflektiert Jazzgeschichte vom Harlem Stride Piano bis zur Gegenwart und dabei immer sich selbst. Musizieren und leben, sagt er, bedeute für ihn ein und dasselbe. Im Trio kommt eine soziale Komponente ins Spiel. In Besetzungen mit langjährigen Weggefährten wie dem Bassisten Avery Sharp und dem Schlagzeuger Aaron Scott oder auch mit Musikern, die gleichfalls Jazzgeschichte mitgestaltet haben, wie Stanley Clarke am Bass und Al Foster an den Drums entwickelt McCoy Tyner in dichter Interaktion die musikalische Komplexität eines Kollektivs. Auch für seinen eigenen Bands gilt, was er im Rückblick auf seine Rolle im Quartett von John Coltrane formulierte: „Die Gruppe funktionierte in erster Linie als geschlossene Einheit. Wenn ich meine Funktion darin einmal herauslösen und analysieren sollte, kann ich nur sagen, es war die eines Orchesters. Mit anderen Worten, ich hatte dem Quartett die Klangfülle zu geben. Oder, wie John zu sagen pflegte, die Dichte und Volltönigkeit. Nun kann ja ein Klavier tatsächlich wie ein Orchester behandelt werden. Und genau das versuchte ich auch und gab dem Quartett einen Sound, der immer voller, dichter und umfassender wurde.“ Es erscheint naheliegend, dass McCoy Tyner später eine Potenzierung über das Medium Big Band anstrebte. Doch bei aller Bewunderung solcher Vergrößerungen – die Macht seiner Musik hängt nicht von der Zahl der beteiligten Musiker ab. Er allein vermag das Piano in die Rolle eines Orchester zu versetzen. Und seine Großformationen sind letztlich nichts anderes als die orchestrale Extension seines Solospiels. Bei der Arbeit mit seinen Big Bands geht es ihm um die Transformation seiner am Klavier gewonnenen Klangvorstellungen in den Sound eines großen Klangkörper: Überfülle kompositorisch gezügelt und in vielfarbig schimmernde Arrangements gesetzt, durchzogen von immer neuen Eruptionen und vitalem Einfallsreichtum. Erinnern wir uns, wie John Coltrane das Spiel des Pianisten charakterisierte: „Seine größte Gabe ist sein melodischer Einfallsreichtum, die Klarheit seiner Ideen. Auch hat er einen ganz persönlichen Sound auf dem Piano. Einen Sound, der wegen der Clusters, die er braucht, und der Art und Weise, wie er sie individualisiert, besonders klar und hell ist. Außerdem hat McCoy einen ungewöhnlichen Formsinn. Er kann nehmen, was er will und etwas Wunderbares daraus machen.“ Alben von John Coltrane, an denen McCoy Tyner mitwirkte, gehören zu den Meilensteinen der Jazzgeschichte: „My Favourite Things“, „Africa/Brass“, „Olé”, „Impressions”, „A Love Supreme”, „Meditations”… In jenen Jahren mit Coltrane fand der Pianist zu seinem vielstimmigen Stil, zur komplexen Verknüpfung von Bässen, Linien und Schichtungen, harmonischen Finessen, melodischen Inventionen, balladeskem Lyrismus und perkussiven Donnerschlägen. Mit der Ablösung von der Funktionsharmonik trug McCoy Tyner ebenso zum Fortgang des Jazz bei wie Elvin Jones mit der von ihm entwickelten rhythmischen Vieldimensionalität. Darüber sei nicht vergessen, dass sich McCoy Tyner stets mit der Tradition, mit einer Linie, die von Art Tatum und Erroll Garner zu Thelonious Monk und Bud Powell führt, verbunden sieht. Er begreift sich als Musiker in einem Kontinuum afroamerikanischer Musik. Mag sein, McCoy Tyner ist der allzu häufigen Verweise auf den von ihm als Musiker und Freund verehrten John Coltrane manchmal überdrüssig. Schließlich hat er stets seine eigene Musik gespielt, ist er niemals in einem epigonale Fahrwasser geschwommen. Stil, sagt McCoy Tyner in Abwandlung eines klassischen Zitates, sei etwas, das sich nicht abtrennen lässt von der Vita eines Jazzmusikers. Und auf den Free Jazz hin angesprochen: „Es gibt nichts Freieres, als sich selbst zu spielen.“ Bert Noglik Mit freundlicher Genehmigung von Triangel |
|