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Vor kurzem hat mich meine Freundin Johanna auf ein Konzert mitgenommen. Zwar haben wir größtenteils eine gemeinsame musikalische Vergangenheit – „aufgewachsen” sind wir beide mit Nirvana oder den Smashing Pumpkins –, in einem Punkt jedoch ist sie mir voraus: in Sachen Klassik. Ihre Eltern hatten ihr Karten für ein Konzert überlassen, und ich war zu meiner Freude die Begleitung ihrer Wahl. „Zieh’ dir aber was Anständiges an”, wurde ich vorher noch von ihr geimpft, „also eben nicht so, wie du jetzt vielleicht in den Supermarkt gehen würdest!”. Gesagt, getan, gekleidet in Schwarz (Schwarz passt ja bekanntlich fast immer, bei uns in Bayern zu 60,7%) kam ich im Saal an, hier und da mit einem freundlichen Lächeln die Lokalprominenz grüßen, hinsetzen und los. Für mich im Grunde anfangs nicht problematisch, musste ich ja nur die Ohren spitzen und dem Duo auf der Bühne zuhören. Und – jetzt kommt’s – bei Bedarf klatschen, was zwar nicht für mich, dafür aber für mein Umfeld zum Problem werden sollte. Denn als ich nach einem virtuosen Lauf auf der Querflöte meiner Begeisterung in alter Jazzergewohnheit Luft machen wollte und kräftig die Hände zusammenschlug, drehte sich förmlich der gesamte Saal nach mir um. Johanna lief neben mir rot an. Ich hatte das Konzert gestört. Ich hatte mich verklatscht! Denn, so fand ich heraus, geklatscht wird hier nur nach dem fertigen Stück, nicht zwischen den Sätzen. Daher stünde auch im Programmheft, wie viele Sätze das jeweilige Stück hat. Na Servus! Ein Konzert zum Mitzählen! Während der nächsten Sätze hatte ich nichts zu tun, zwar
wollte ich mich eigentlich dazu zwingen, wirklich mitzuzählen, aber
irgendwie fehlte mir dazu die Konzentration, ich würde mich einfach
an Johanna halten, wenn sie klatscht, klatsche ich auch. Unterdessen beobachtete
ich die Gesichter der anderen Leute im Publikum, die größtenteils
auch nicht zu zählen schienen. Manche sahen sogar aus, als würden
sie schlafen (wobei sie jedoch vielleicht auch einfach die Augen geschlossen
hatten, um besser zählen zu können). Dazu muss ich sagen: Aufgewachsen bin ich mit Rock. Aufgezogen mit Muttermilch und Butterbrezen, musikalisch eingekeilt zwischen den Beatles (mütterlichseits) und den Stones (väterlicherseits). Die Ehe meiner Eltern hält trotz dieser scheinbar unüberwindbaren Barriere im Übrigen immer noch. Mit neun Jahren folgte dann „Running down a dream” von Tom Petty, preiswert auf dem Flohmarkt erstanden, anschließend „The Razors Edge” von AC/DC. Die Botschaft an mich konnte ich fühlen: Auf Rockkonzerten hat man die Sau rauszulassen! Bestätigt wurde mir dieses These im Übrigen dann kurz darauf mit dem Erscheinen des Livealbums von AC/DC. Dass man auf einem Rockkonzert schreit, dass man sich mit dem Rest des Publikums ähnlich wie während eines Fußballspiels verbrüdert (Sprechchöre brüllen „Einen Bob Dylan, es gibt nur einen Bob Dylan!”), das alles schien mir natürlich und im Grunde sogar erforderlich. Allerdings: Nach jedem guten Gitarrensolo hatte ich das unstillbare Bedürfnis, mir die Seele aus dem Leib zu jubeln. Was in einer headbangenden und hüpfenden Menge allerdings recht desillusionierend ist, da man zwar mit der Menschenmasse eins werden will, auf der anderen Seite aber den eigenen Jubel auch hören möchte. Bis ich mit 16 zum ersten Mal auf ein Jazzkonzert kam. Die Möglichkeit, auf einmal völlig frei jubeln zu können, war befreiend, auch wenn mir die Musik anfangs etwas seltsam vorkam – immerhin hatte das, was da auf der Bühne geschah in meinen musikalisch ungebildeten Augen und Ohren nicht den Hauch einer Struktur. Aber dieses Pulsierende, nein, allein schon die Tatsache, dass es dem Publikum überlassen wurde, selbst zu entscheiden, wann geklatscht wird, faszinierte mich sofort. Getrübt wurde diese Faszination jedoch schon bald von einer viel schlimmeren Eigenschaft des Jazzerpublikums: dem Applausneid. Klatscht einer besser, lauter, origineller oder gar in einem besseren Timing als der andere, wird das nicht etwa mit einem freudigen Grinsen quittiert oder gar gelobt, nein, es wird ihm geneidet. Zwar nutzt man die Pause, dem anderen mit einem gespielt-freundlichen Lächeln zu signalisieren, dass man das erste Set genauso beeindruckend fand wie der andere, tief innen drin jedoch entsteht das beinahe krankhafte Verlangen zu zeigen, dass man es noch viel beindruckender fand als der andere und – im Regelfall noch wichtiger – dass dieses Urteil auf einem schier unerschöpflichen musikalischen Wissen beruht. „Das ist der neue Till Brönner!”, hört man von links, der Herr rechts, beleibt, hohe Stirn (ehrlich gesagt endet diese Stirn am Hinterkopf) hebt eine Augenbraue: „Das ist im Grunde eher früher Chet, mit einem Schuss kontrastierendem Dizzy!” Was dem einen sein Porsche, scheint also dem anderen sein Wissen zu sein. Und was der Volksmund über Porschefahrer spricht, ist ja hinreichend bekannt. So gesehen sind die Klassiker also gar nicht so „anders”,
beinahe sind sie Jazzer: Der Wille zur Verbrüderung untereinander
fehlt völlig, an dessen Stelle tritt der Drang nach Individualität.
Ist das jetzt schlecht? Nun ja, man sollte sich die Alternative vorstellen:
eine gröhlende Menge, die sich mit Sprechchören an „All
Of Me” vergeht und bei „My Funny Valentine” die brennenden
Feuerzeuge in die Höhe hält. Und ob wir das wollen, ist fraglich. Sebastian Klug
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