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Als Pat Martino aus der Narkose erwachte, erkannte er gerade noch seine Eltern. Ansonsten hatte er alles vergessen. Die Jahre, in denen ihn sein Vater stolz als „The Kid“, das Wunderkind an der Jazzgitarre, in den Clubs von Philadelphia präsentierte – vergessen. Die Begegnung mit Les Paul, dem Pionier der elektrischen Gitarre, der von dem 12-Jährigen so beeindruckt war, dass er überlegte, ob er bei ihm nicht Stunden nehmen sollte – vergessen.
Zwei Notoperationen an einem Gehirn-Aneurysma hatten Pat Martino (geboren 1944) 1980 das Leben gerettet, aber sein Gedächtnis in eine durch Amnesie gelöschte Festplatte verwandelt. Er wusste nicht mehr, was eine Gitarre ist. Und weil Gitarren und sein vorheriges Leben weitgehend identisch waren, hatte Martino auch vergessen, wer er bis dato gewesen war. Pat Martino erinnerte sich nicht mehr daran, dass Pat Martino in den späten 60er- und 70er-Jahren als Jazzstar gefeiert worden war. Dass ihn Hammond-Organisten des Soul-Jazz wie eine Geheimwaffe herumgereicht hatten. Dass er sich wegen seines genialisch dichten, perfekt phrasierten Notenflusses den Ruf eines „Coltrane der Jazzgitarre“ erspielt hatte und Pat-Martino-Platten von anderen Gitarristen seziert wurden, weil sie hinter sein Geheimnis kommen wollten: endlos lange „lines“, die Martino mit der Beschleunigung eines Rennwagens, der Logik eines Mathematikers, der Präzision eines Chirurgen und der Voraussicht eines Wahrsagers improvisierte. Es dauerte fast vier Jahre bis Pat Martino seinen Gedächtnisverlust überwunden hatte. Die Legende will, dass er dazu genau das tat, was viele Gitarristen weltweit tun: Soli von Pat-Martino-Platten runterzuhören, um so gut oder ähnlich wie Pat Martino zu spielen. Falsch, sagt Pat Martino heute. Nicht mit Hilfe der eigenen Aufnahmen, die er zum Teil nur deswegen hörte, weil sein Vater sie immer und immer wieder abspielte, sondern mit einem Computer und Musiksoftware habe er in einem langen und schwierigen Prozess wieder den Gitarristen in sich entdeckt. 1984 war es dann soweit. In einem Club in Philadelphia trat Martino zum ersten Mal wieder live auf, allerdings unter seinem Geburtsnamen Pat Azzara: „Ich hatte keine Lust, die Vergangenheit nachzuspielen. Ich wollte nicht beweisen müssen, dass ich wieder der Pat Martino von einst war.“ Seit rund zehn Jahren ist Pat Martino wieder zur Form seines Lebens zurückgekehrt. Zu hören ist das auch auf „Think Tank“ (Blue Note 42722), Martinos 21. Album. Der „Coltrane der Gitarre“ hat seine neue Einspielung John Coltrane gewidmet – der Saxofon-Ikone, der sich Pat Martino nicht nur musikalisch, sondern auch spirituell verpflichtet weiß. Der Gitarrist, der oft Sätze sagt wie „Jazz ist das kontinuierliche Pulsieren des Jetzt“, hat für die Titelnummer die Buchstaben von COLTRANE, TENOR und BLUE in Noten übersetzt. Für zahlenmystische Spielereien, Hexagramme und mathematische Querbezüge war der Gitarren-Guru schon immer zu haben. Ansonsten bietet „Think Tank“ neben Coltranes „Africa“ das, was man von einer Pat-Martino-Scheibe erwartet: Viele, viele Noten in rasend schneller Abfolge. So beeindruckend perfekt gespielt, dass sogar illust-re Sidemen wie Gonzalo Rubalcaba (Piano) und Joe Lovano (Tenorsaxophon) manchmal etwas verhalten klingen. Claus Lochbihler
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