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Mit der berühmten Wortfügung „edle Einfalt, stille Größe“ charakterisierte der Archäologe und Kunsthistoriker Johann Joachim Winckelmann (1717 bis 1786) das Schönheitsideal der hellenistischen Antike. Dieses somit ausgedrückte Streben hin zu einer künstlerischen Harmonie, die auf alles Grelle und Aufdringliche verzichtet, wurde zum Sinnbild für die klassizistische Kunstauffassung. Die „Klassik“ des Jazz ist und bleibt der Mainstream und wenn ebenso unaufdringliche wie ausdrucksstarke Koryphäen selbigen interpretieren, hält die edle Einfalt und stille Größe mitunter auch hier Einzug.
Erfreulicherweise ereignet sich genau dies jeden zweiten Donnerstag im Monat im Münchner Kleinkunst-Bistro „St. Ursula“, wenn der bekannte Münchner Jazzprofessor und Saxophonist Joe Viera hier mit seinen Freunden von 20 bis 23 Uhr eine Jam-Session auf höchstem Niveau abzieht. Wenn Viera zusammen mit dem Pianisten Charly Thomas, dem Schlagzeuger Günther Hauser, dem Kontrabassisten Hans Lengfeld – oder wie an diesem Tag im Oktober, an dem ich mich nach München aufmachte – mit dem Kontrabassisten Chris Lachotta Mainstream spielt, geht auf eine sympathisch lockere Art die Post ab und sogar an einem verregneten Donnerstagabend im Oktober die Sonne auf. Da braucht es keine virtuose Effekthascherei. Wenn Joe Viera in Ellingtons Dauerbrenner „Sophisticated Lady“ oder in der Swing-Ballade „I’m Beginning To See The Light“ ausdrucksstark in sein Tenorsaxophon „haucht“, dann merkt auch der Letzte in der Runde mit welch großer Routine sich dieser Mann in der Harmonik des Mainstream-Jazz bewegt und wie tief er in den Gefühlsverästelungen dieser Musik verwurzelt ist. Hier und da, wie beispielsweise in der lebendigen frühen Swingrarität
„I Never Knew“ aus der Feder von Ted Fiorito, geht es dann
im Solo auch bei Joe Viera schon mal etwas härter zur Sache und nach
Call-and-Respons-Manier liefert er sich in den Fours mit dem Kontrabassisten
neckische Spielchen, aber auch hier überwiegt die Souveränität
und Reife, mit der zu Werke gegangen wird. Der Abend nimmt zunehmend Fahrt auf, und so hat es auch der Zeitungsjunge, der die „Süddeutsche“ anbietet, nicht eilig, das „St. Ursula“ wieder zu verlassen. Es ist eben auch das Ambiente, was diese Sessions in dem Schwabinger Kleinkunstlokal so einmalig macht. Das „St. Ursula Bistro“ hat viel von den Schwabinger Künstlerkneipen um 1900. Vollgestopft mit Bildern, die von Jugendstilgemälden über Landschaftsmalereien und Szenenphotos aus Theaterstücken bis hin zu Schmetterlingsabbildungen aus alten Lexika reichen, strahlt das Lokal eine Wohnzimmer-Geborgenheit aus, die Seltenheitswert besitzt. Zu Recht Stolz kann Wirt Jürgen Rehm auch auf den echten Hopfen, der sich über die Theke rankt, und die erfrischend nicht alltägliche Speisekarte sein. Nach Angaben von Jürgen Rehm gibt es seit rund fünf Jahren Jazz und Kleinkunst im „St. Ursula“. Seit rund drei Jahren hat der im Herbst 1999 von Fritz Stewens gegründete „Jazz Club München e. V.“ im „St. Ursula“ sein Domizil und seit zwei Jahren begeistern dort „Joe Viera & Friends“, wie erwähnt jeden zweiten Donnerstag im Monat. Aber auch das restliche Programm, das nicht selten mit Größen wie Oskar Klein oder Klaus Ignazek aufwarten kann, verdient große Beachtung. Hier erlebt man eben Spitzenklassejazz in der Behaglichkeit eines Wohnzimmers – das zeugt wahrlich von stiller Größe. Nähere Informationen sind auch im Internet unter http://www.sankt-ursula.de erhältlich. Stefan Rimek
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