Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Trotz des runden Geburtstags wurde nicht geklotzt. Für die zwanzigste Auflage der Ingolstädter Jazztage wurde der Zuschuss der Stadt um fast zwei Drittel gekürzt. Dennoch zeigte das Programm auch heuer wieder eine breite Palette anspruchsvoller Konzerte für Jazz- und Fusion-Fans. Das erste Highlight boten im „Ohrakel“ die Ulmer Krautrocker von Kraan. Die reaktivierten Energiereaktoren der ehemaligen Kommunenrocker ließen im Niemandsland zwischen Jazz und Rock erstaunlich frische Musik aus der guten alten Zeit vom Stapel.
Vielfalt und hautnahe Liveatmosphäre gab’s beim Jazz in den Kneipen. Wie fesselnd heuer das Programm war zwischen Tango, Fusion, Sinti-Swing, Texasblues, Tradition, Nu-Jazz und Songwriting und wie zielorientiert und sachkundig das Publikum das Angebot wahrnahm, zeigt allein die Tatsache, dass die Wanderströme zwischen den Kneipen vergleichsweise gering blieben. Dee Dee Bridgewater entfachte nach ihrem fulminanten Gig 2000 auch heuer wahre Beifallsstürme mit anspruchsvollen Interpretationen von Kurt-Weill-Songs. Das energiegeladene Gesamtkunstwerk aus Gesang, Persönlichkeit und Performance setzt nicht allein auf phänomenale stimmliche Fähigkeiten, die auch mit einer leichten Erkältung noch ihresgleichen suchen. Bridgewater lebt die Songs, unterstreicht deren Ambivalenz mit Sympathie für die Würde und den Stolz der Schwachen. Nicht von ungefähr widmet sie die unter die Haut gehende Ballade „Here I’ll Stay With You“ neben Ray Brown auch Nina Simone, jener Frau, von der sie gelernt habe, was es bedeute, eine schwarze Frau und genau darauf stolz zu sein. Bei der Jazzparty I im NH-Hotel Ambassador verbanden Mino Cinélu (perc), Glen Moore (b) und Theodosil Spassov (Kaval) in einer faszinierenden Mischung aus Laptop und Muschelkalk musikalische und rhythmische Visionen aus Orient und Okzident zu einem filigranen Myzel kreativen Gemeinsinns aus Archaik und Avantgarde. Mezzoforte dagegen spulten ihren Chart-tauglichen Pop-Jazz routiniert ab und Soullounge - eine feste Band als Groovemaschine hinter wechselnden Sänger/-innen – sorgte für einigen Unterhaltungswert, ohne jedoch den um die Truppe entfachten Hype wirklich zu rechtfertigen. Von vielen schon im Vorfeld als das heimliche Highlight der Jazztage gehandelt zeigte demgegenüber Marcus Miller bei der zweiten Jazzparty, wie abwechslungsreich und niveauvoll Jazzfunk sein kann, ließ neben multiinstrumentalen Ausflügen jede Menge explosiver Basssoli vom Stapel, deren Energie für einige Zeit vorhalten dürfte. Zeitgleich wies das finnische Trio Töykeät mit Iiro Rantala (p), Eerik Siikasaari (b), und Rami Eskelinen (dr), einen möglichen Weg in die Zukunft, der die Gegenwart nicht einfach liegen lässt in seliger Rückschau auf die Tradition, sondern mitnimmt in künftige Optionen. Afrikanisch inspirierte Fusion bot der Kameruner Bassist Richard Bona in einer mit Charme, Hingabe und Imaginationskraft zelebrierten hypnotischen Mischung aus Songwriting, Afro-Beat, Funk und Pop. Die polnische Sängerin Anna Maria Jopek gab ihre Visitenkarte ab mit recht anspruchsvollen Songs von großer melodischer Wärme. Am Versuch einer Neudefinition des Jazzgesangs zwischen Mikrofon und Laptop schließlich ließ Beady Belle teilhaben am Wechsel von Scatgesang und psychedelischen Elegien, während die Late-Night-Band mit den Solisten Joo Kraus (tp), Bob Rückerl (sax) und Torsten De Winkel (g) bereits den Rest einer langen Jazznacht einläutete. Als drittes Highlight präsentierte das Jocelyn B. Smith Project
in der Moritzkirche ein Konzert, das für viele der Zuhörer/-innen
weit über den Musikgenuss hinausgegangen sein dürfte. Am Anfang
stand das a capella gesungene „Vater unser“, am Ende ein ebenso
bewegendes „Amazing Grace“. Dazwischen entfachte die Sängerin
in den Koordinaten von Jazz, Soul und Gospel ein wahres Feuerwerk aus
„happiness, joy and worship“. Die Ingolstädter Jazztage dürften zumindest eine der wesentlichen Bedingungen für ihren Fortbestand erfüllt haben: Die Auslastung der Veranstaltungen war heuer insgesamt ausgesprochen gut. Dass dem nun auch die Haushaltspolitik der städtischen Verantwortlichen zu folgen bereit und in der Lage ist, bleibt angesichts einer 20-jährigen Tradition nur zu hoffen. Tobias Böcker
|
|