Viele unserer Leser spielen selber Jazz. Für sie bietet die Jazzzeitung jetzt eine neue monatliche Rubrik mit
Transkriptionen. Große Jazz-Solisten haben ihre eigenen Transkriptionen herausgebracht, die Jazzzeitung bietet
dagegen noch nicht transkribierte Chorusse aktueller CD-Veröffentlichungen. Als Einführung widmen wir dem
neuen Thema ein Dossier, in Zukunft wird jeweils eine Seite pro Heft Transkriptionen mit Soli verschiedenster Instrumentalisten
enthalten.
Andreas Kolb sprach mit Anne Lieberwirth, einer jungen Bassistin aus Leipzig, die für die Kolumne verantwortlich
zeichnet. Sie studiert Popularmusik an der Musikhochschule Felix Mendelssohn Bartholdy in Leipzig (Kontrabass
und E-Bass bei Thomas Stahr sowie Ensembleunterricht bei Richie Beirach).
Der Weg ins Unterbewusste
Ein Interview mit der Kontrabassistin Anne Lieberwirth
Jazzzeitung: Warum sollen Jazzmusiker transkribieren?
Anne Lieberwirth: Transkribieren schult das Gehör und man findet auf diesem Wege raus, was einem geschmacklich
gefällt. Es hilft einem, seine eigene Sprache zu entwickeln.
Jazzzeitung: Lohnt sich denn das Aufschreiben von Chorussen? Warum nicht gleich auswendig spielen?
Lieberwirth: Das Niederschreiben ist nicht jedermanns Sache. Aber: Wer arrangiert oder komponiert wird diese
Übung durch das Transkribieren nicht missen wollen. Vor allem sollte man nicht nur Licks aus Büchern üben,
sondern anhand von gespielter Musik.
Jazzzeitung: Was bringts dem Bass, wenn er ein Pianosolo abhört?
Lieberwirth: Ich habe bei Bob Degens Chorus bewusst auf die linke Hand verzichtet. Ich wollte hier für
alle Instrumentalisten die Unterschiede zwischen Goykovichs und Degens Melodieführung darstellen. Für
mich als Bassspielerin ist es wichtig, alternative Wendungen zu finden, auf die ich vielleicht beim Bass spielen
nicht gekommen wäre. Außerdem sollte in jedem Instrumentalunterricht die Gehörbildung eine zentrale
Rolle einnehmen.
Jazzzeitung: Auf was kam es dir bei den hier vorgestellten Transkriptionen besonders an?
Lieberwirth: Ich will nicht wieder die bekannten Soli bringen, sondern immer unbekanntere, neue Sachen.
Was die Jazzzeitung veröffentlicht, steht in keinem Buch, findet man nicht im Internet. Die hier abgedruckten
Beispiele sollen in erster Linie Anreiz zum selber Transkribieren sein.
Jazzzeitung: Wie arbeitest du beim Niederschreiben des Gehörten?
Lieberwirth: Mir kommt es dabei weniger auf das rechnerische Aufschreiben an; eher auf den musikalischen
Sinn. Der muss erhalten bleiben. Das Wichtigste bei allem bleibt jedoch, dass man die Sachen auswendig lernt. Das
ist der direkte Weg, die Musik ins Unterbewusstsein zu bringen und sie somit für eigene Improvisationen zur
Verfügung zu haben.
Interview: Andreas Kolb
Abgehört 1: Dusko Goykovich
Abgehört 2: Oscar Peterson
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