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Julian Milkis, kanadischer Klarinettist russischer Herkunft, seinerzeit hoffnungsvoller Nachwuchsmusiker, heute Professor am Moskauer Konservatorium und weltweit gefragter klassischer Solist, war wohl der Einzige, der je von Benny Goodman regelmäßig Unterricht bekam. Milkis lernte den damals 74-jährigen Goodman im September 1983 kennen. Anlässlich eines Konzerts in Neuburg/Donau erzählte er von seiner Begegnung mit dem King of Swing. Ich habe 1983 einen Wettbewerb gewonnen, der Preis war ein Debüt in der Carnegie Hall. Ich wollte Benny Goodman treffen, aber man sagte mir: Er mag keine Leute und schon gar keine Klarinettisten. Ich hatte aber eines seiner Lieblingsstücke von Bartók im Programm, und ich wollte es ihm unbedingt vorspielen. Ich habe also seine Sekretärin angerufen und ihr erzählt, ich müsse ihn sehen, denn durch ihn sei ich zur Klarinette gekommen das stimmt, ich habe als Kind mitbekommen, wie er in Leningrad aufgetreten ist, nicht live natürlich, aber das Radio war voll davon. Sein Sound hat mich damals schon fasziniert!
Tags darauf rief er mich an: Hallo, hier ist Benny Goodman. Ich hatte sofort weiche Knie, musste mich erst mal setzen. Er wollte wissen, was ich in der Carnegie Hall spielen wollte. Als ich das Bartók-Stück erwähnte, fragte er, ob ich am nächsten Morgen frei wäre. Mein damaliger Klarinettenlehrer riet mir, mich schick anzuziehen, Goodman möge gute Kleidung, einen schönen Hut und Pünktlichkeit. Als ich hinkam, war er gerade am Üben: Bach-Sonaten. Nette Klamotten, sagte er, netter Hut! Also, spiel!, aber ich war so starr, dass ich keinen Ton rausbrachte. Bist du nervös? fragte er. Ich gab ihm zur Antwort: Wenn Sie an meiner Stelle wären, wären Sie auch nervös. Er lachte, ging Kaffee holen, und als er zurückkam, hatte ich mich so weit gefangen, dass ich ihm vorspielen konnte. Vier Stunden war ich an dem Tag bei ihm, lernte die interessantesten Sachen. Er hatte einen fantastisch weiten Horizont. Ich hatte meine gesamten Ersparnisse bei mir, ungefähr 500 Dollar, und an der Tür fragte ich ihn: Was bin ich schuldig? Er sah mich nur wirklich verächtlich an und schnaubte: Ich unterrichte nicht für Geld. Aber er lud mich für den nächsten Tag wieder ein. Danach sah ich ihn einige Wochen lang drei- bis viermal die Woche. Bei der Generalprobe zu meinem Konzert sagte er dann zu mir: Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht! Das war für seine Verhältnisse ein Riesenkompliment! Ich hab ihn später noch öfter getroffen. Er war unglaublich populär. Wenn er auf die Straße ging, das war wie bei den Beatles. Die Leute umringten ihn sofort. Als er einmal in das Theater kam, in dem ich spielte, musste die Vorstellung für 20 Minuten unterbrochen werden. Ich war damals ziemlich frustriert, weil ich im Theater spielen musste, aber er sagte: Hör´ auf zu jammern: Du bist Klarinettist, du kannst Musik machen und davon leben. Ich hab´ mein Leben lang von Jazz gelebt, obwohl ich eigentlich immer klassische Klarinette spielen wollte. Er sehnte sich nach der klassischen Klarinette. Jazz hat er meinem Eindruck nach immer nur als Möglichkeit gesehen, einen Haufen Geld zu verdienen. Er hat auch nie improvisiert, höchstens ein ganz klein wenig innerhalb eines fest auskomponierten Rahmens. Er hat allerdings alles getan, um seinen Sound zu optimieren, und er ist einer von drei Musikern, die man bei der ersten Note erkennt: Louis Armstrong, Jascha Heifetz und Benny Goodman. Später hab ich ihn mal gefragt, ob er was dagegen hätte, wenn ich seine Stücke spiele. Er hätte mich beinahe rausgeschmissen. Frag nicht mal danach, sagte er. Das sind meine Stücke, die darf niemand auch nur anrühren. Als er gestorben war, hat es fast fünfzehn Jahre gedauert, bis ich mich dazu durchringen konnte, eines dieser Stücke zu spielen. Ich hatte einfach zu viel Respekt und außerdem hatte ich natürlich Angst, mit ihm verglichen zu werden. Die habe ich heute noch, aber wie lang willst du warten? Aufzeichnung: Tobias Böcker |
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