Anzeige |
|
|
Anzeige |
|
Ex-Bundeskanzler Kohl pflegte sich in seinem Bonner Büro am Anblick eines Aquariums zu erfreuen. Überliefert ist sein gewichtiger Ausspruch, er fühle sich unter Zierfischen ganz wie auf dem CDU-Parteitag. Eine nette Bekannte von mir hat auch so einen wassergefüllten Glaskasten und meinte neulich: Ich kann stundenlang davorsitzen. Es geht da zu wie im richtigen Leben. Übers Wochenende wollte diese Bekannte ein paar Tage verreisen, und ich versprach, mal nach ihren Fischen zu sehen. Nun bin ich weder mit CDU-Parteitagen noch mit dem richtigen Leben so recht vertraut, und so kam es wohl, dass ich das künstliche Refugium dieser harmlos-verspielten Exoten bald ganz anders zu deuten begann. Es gab da ein kräftiges, grauschwarzes, weißbärtiges Kiementier, das pflügte mit majestätischem Flossenschlag und raumgreifender Geste durchs nasse Element und erinnerte mich frappant an Sonny Rollins. Ein anderes, so ein blasses, verhuschtes Ding, kurvte elegant um jede Pflanze und formte im zahnlosen Mund die schönsten unhörbaren Luftblasen war das nicht irgendwie Chet Baker? Dann gab es noch diesen bunt schillernden Angeber mit den seidigen Flatterflossen, dem schon nach drei Runden durchs Aquarium nichts Neues mehr einfiel, ganz genau wie Sie wissen schon. Halb eingegraben im Sand waren noch weitere Kreaturen zu entdecken, die dem bunten Treiben der anderen nur faul zusahen pumpende, bärtige Lästermäuler: sicherlich die Jazzkritiker. Und hinter einem kleinen Stein lag glupschäugig, kalt und allwissend sogar ich selber. Übrigens: Nächstes Wochenende ist meine Bekannte wieder verreist. Bin schon gespannt, wer dieses Mal zur Jam Session aufkreuzt. Rainer Wein |
|