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Von Viktor Rotthaler
Der zweite Teil der Aussage war korrekt, der erste Teil freilich war eine Lüge, die bis in die späten 80er-Jahre hinein weiterverbreitet wurde. Satchmo traf keine Schuld, hatte er doch selbst bis zu seinem Lebensende an dieses Geburtsdatum geglaubt. Noch zur Jahrhundertwende war es bei armen Schwarzen Brauch gewesen, ein ehrenvolles Datum als Geburtsdatum anzunehmen. Das Jahr sei ähnlich flexibel gewesen, berichtet sein Biograf Laurence Bergreen, je nach den Launen der Erinnerung oder gesetzlichen Zwängen. Indem er auf den 4. Juli als Geburtsdatum bestand, demonstrierte Louis, dass er sich voller Stolz mit einem Land und einer Region identifizierte, die mit seinesgleichen nichts zu schaffen haben wollten. Erst als sich ein Forscher auf die Suche nach seinem Taufschein machte, konnte diese Showbiz-Legende zerstört werden: Als niger, illegitimus wurde Louis Armstrong am 4. August 1901 geboren. What a wonderful worldIch erinnere mich noch gut an den Frühling 1968, als eine beseelte, leicht melancholische Stimme aus dem alten Radio erklang und etwas von einer wunderbaren Welt sang. Ein gewisser Louis Armstrong sei das gewesen, verkündete der Sprecher. Nie gehört. Ende des Jahres lief mir dann noch ein anderer Louis über den Weg, King Louie, der König des Affenstaats, der Jungle-V.I.P. im Dschungelbuch. Und obwohl dieser König eindeutig mit der Stimme von Klaus Havenstein sprach, ließ mich der Gedanke nicht los, dass die beiden Louis irgendwas miteinander zu tun haben könnten. Zwei Jahre später schlich ich mich trotz meines jungen Alters in meinen ersten James-Bond-Film: Im Geheimdienst ihrer Majestät. Heimlich zerdrückte ich einige Tränen, als dort auf der Leinwand Diana Rigg alias Emma Peel starb. Und wieder erklang dazu diese überirdische Stimme: We Have All The Time In The World. Alle Zeit der Welt zu haben welch ein Mantra! Endlichkeit und Ewigkeit waren für mich verschwistert. Als im Juli 1971 der inzwischen sanft entschlafene Melody Maker Satchmos Tod zum Aufmacher wählte, wusste ich: Pops war Pop. Mackie Messer
Seit den frühen Fifties war Pops zur lebenden Jukebox geworden. Als Serenader sang er Gassenhauer wie La Vie En Rose, Cest Si Bon oder Blueberry Hill. Als er im Mai 1964 mit Hello, Dolly! die Beatles mit Cant Buy Me Love von der Spitze der amerikanischen Hitparade verdrängte, konnte er auf eine über 40-jährige Karriere als King of Jazz zurückblicken. Die Jazz-Puristen hatten sich freilich zu dieser Zeit schon längst von Satchmo mit Grausen abgewandt. Etwas zu vorschnell, denn wer etwa genau hineinhörte in seine Version von Kurt Weills 3-Groschen-Moritat von Mackie Messer, der konnte einen großen barbarischen Künstler entdecken, die schwarze Stimme Amerikas. Ich hab Louis Version von Mack The Knife entdeckt, schreibt Ralph Ellison an Albert Murray, Shakespeare hat Caliban erfunden oder sich selbst in ihn verwandelt. Wer zum Teufel hat sich bloss Louis ausgedacht? Manche von den Bop-Boys halten ihn für Caliban, aber wenn er das wirklich ist, dann ist er eine Maske für einen lyrischen Dichter, der sehr viel größer ist als die meisten, die heutzutage schreiben. Mann und Maske, Niveau und Geschmack, und alles versteckt sich hinter Kaspereien und derben Manieren der amerikanische Witz, Mann. Nur die Version eines anderen Stimmenimitators, Bertolt Brecht aus Augsburg, konnte es mit diesem schwarzen Mackie Messer aufnehmen. Mad about the boyIm Oktober 1924 tauchte Louis Armstrong zum ersten Mal in einem New Yorker Studio auf, als Mitglied von Fletcher Hendersons Big Band. So etwas hatte man im Big Apple noch nie gehört, echten Jazz. Selbst die Musiker spielten verrückt. Der Kornettist Rex Stewart über dieses Ereignis: Dann kam Louis Armstrong in die Stadt. Ich wurde verrückt wie alle anderen auch. Ich versuchte, wie Louis zu sprechen, wie Louis zu gehen, wie Louis zu essen, wie Louis zu schlafen. Ein Jahrzehnt später wird in Paris auch das Multi-Talent Boris Vian dem King of Jazz verfallen, er wird seinem Idol an der Trompete nacheifern und sich ganz und gar dem Jazz verschreiben. Wie der gerade aus dem Nebel der Vergessenheit zurückgekehrte Henri Salvador damals schrieb: Er war versessen auf Jazz, er lebte nur durch den Jazz, er hörte Jazz nicht, er drückte sich im Jazz aus. Hotter than thatLouis Armstrong war die Stimme Amerikas, noch lange vor Bing Crosby, Frank Sinatra oder Bob Dylan. Ohne ihn würde Pop-Musik heute anders klingen. Satchmo erfand den Scat-Gesang (Heebie Jeebies), veredelte Tin-Pan-Alley & Broadway-Schlager wie Stardust in Jazz-Standards und erschuf auf Schallplatte den Jazz-Solisten, den Solitär im Ensemble. Jenseits von Vaudeville & Bordell benutzte er das Studio in den Roaring Twenties zum ersten Mal in der Geschichte der 78er-Schallplatte als Musik-Labor. Um bei OKeh mustergültige Aufnahmen (Hot Five & Hot Seven-Recordings) zu schaffen die anno 2001 mit einem Grammy ausgezeichnet wurden! , wie viel, viel später im Studio Frankieboy, Miles Davis, Glenn Gould, Robert Zimmermann, Phil Spector oder John, Paul, George & Ringo. Als glorios extrovertierte Evokation einer Grillparty im Freien hat etwa der Jazzkritiker Ian Carr Struttin With Some Barbecue von 1927 bezeichnet: Ihr Herzstück ist ein Armstrong-Solo über Offbeats der Rhythmusgruppe. Mit komplexen, wirbelnden Phrasen, dramatischen Sprüngen ins hohe Register und einem extrem komplizierten Trompeten-Break erschließt er neues Territorium. Er geht an die Grenzen des Möglichen. Am verrücktesten ist die Koda: Die Rhythmusgruppe verstummt, und plötzlich klingt das Stück privat und introvertiert, denn Trompete, Posaune und Klarinette spielen sehr leise harmonisierte Phrasen, unterbrochen von kurzem Schweigen. Jeepers Creepers
Wie gut ist Louis Armstrong eigentlich als Schauspieler in den Film-Musicals der 30er- und 40er-Jahre (Going Places, Pennies From Heaven), hat sich der Filmhistoriker Donald Bogle gefragt. Und er ist zu dem Schluss gekommen, dass Satchmo auch im Kino verstand, sein Publikum zu fesseln. Er war sich der Wirkungen und der Kraft seiner Persönlichkeit bewusst, und er überzeugte gerade durch die Klugheit, mit der er diese Persönlichkeit umsetzte mehr als durch irgendein Talent zur Entwicklung einer Figur. (Die Rollen sind so dürftig, dass es da tatsächlich gar nichts zu entwickeln gibt.) Ein Teil seiner Wirkung vielleicht ein Teil seines Zaubers liegt darin, dass er beim Spiel innerhalb seiner eigenen Sphäre zu bleiben scheint. Wie so viele andere schwarze Künstler seiner Zeit besitzt er eine Persönlichkeit, die stark genug ist, uns an ein anderes Leben abseits der scheinbar freundlichen, jedoch rassistischen Welt des Films glauben zu lassen ein Leben, das zu gestalten, zu erforschen oder zu erklären der Film leider kein Interesse hat. Im Schauspieler Armstrong bleibt ein unwandelbarer, unberührbarer Kern: Es ist ein Stück seiner selbst, das er nicht preisgibt. In High Society hat er sich 1956 schließlich dann selbst gespielt, mit großem Erfolg neben Frank Sinatra, Grace Kelly und seinem Freund Bing Crosby, mit dem er im Duett Cole Porters Now You Has Jazz sang. The man with the hornDas Geständnis eines Fans, Miles Davis: Es gibt nichts auf der Trompete, was nicht von ihm stammt, nicht mal im modernen Jazz. Ich kann mich nicht erinnern, dass er irgendwann mal schlecht war. Niemals. Nicht ein einziges Mal. Er spielte immer auf dem Beat, mit unglaublich viel Gefühl. Ich liebte es, wie er spielte und sang. Wir kannten uns nicht näher; ich hatte ihn nur einige Male getroffen, einmal bei ner großen Gesellschaft und einmal, als er nach einem Konzert zu mir kam und sagte, dass ihm meine Musik gefällt. Mann, war ich stolz, als ich das aus seinem Mund hörte. Viktor Rotthaler service: louis armstrong
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