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Warum eigentlich fällt der Vatertag auf Christi Himmelfahrt? Ziehen einverstandene Männergrüppchen mit Leiterwagen durch die Natur und betrinken einen, dem andernorts andere den Marsch blasen? John Coltrane war einer der ersten und auch der Nachhaltigsten: Ascension zelebrierte hymnisch-ekstatisch das raketisch betriebene Accelerando, Crescendo bis hin zum dröhnenden Fortissimo. Alan Silva, einstiger Bassist und neuerlicher Synthetisateur steuert, seinem großen Vorbild Sun Ra (auch der feierte die himmlischen Dronen und Mächte) gleich, das Celestrial Communications Orchestra in schwindelnde Höhen, obschon drumherum mächtig der Palü wacht, und der Bernina mit seinen meterhohen Schneewällen. Imposant ist das schon: vier Tage Free Jazz mit größtmöglicher Emphase. Das Celestrial Communications Orchestra ist prominent besetzt, spielt doch Marshall Allen, einstiger Mitfahrer in Sun Ras Arche, Wilber Morris, William Parker, Roy Campbell, Joe Daley, Joe Bowie, Bobby Few und insgesamt 24 andere namhafte Vertreter/-innen der großen afroamerikanischen Hymne an die Freiheit. Sie spielen zweimal, jeweils mehr als zwei Stunden nonstop, ein Reinigungsbad, das im nahen lago di poschiavo nicht prickelnder hätte sein können. Zuvor mahnt Amiri Baraka, als Auftakt quasi, als Predigt zum Vier Tage Marathon die Ungerechtigkeit in der Welt an, schwört die Eingeschworenen, vielleicht sind es 500 einmal mehr ein auf Rassismusprobleme und den neuerlichen amerikanischen Imperialismus. Vordergründig ist das natürlich unnötig, wenn nicht überflüssig: Wieso karrt man (hier ist es die streitbare Cornelia Müller, aus dem Valposchiavo kommend, in Berlin lebend) eine Horde Afroamerikanischer Alt Free Jatzer in ein weiß Gott abgelegenes italienisch-Schweizer Bergtal, um dort ein altmodisches Hippiespektakel abzuhalten? So jedenfalls werden es die Verwaltungsoberen der Nationalschweizer Kulturstiftung Pro Helvetia interpretiert haben, als sie Cornelia Müller und dem Verein La Ciaf die Fördergelder fürs Festival versagt haben: zu wenig Eidgenössisches Zeitgenössisches sei vertreten, zuviel Altbackenes, zu viel der Berliner Kumpanei. Immerhin gab Irene Schweizer, derzeit die prominenteste Schweizer Jatzerin, anlässlich ihres sechzigsten Geburtstages am 2. Juni bewegende Statements im Duo mit Andrew Cyrille, im gemischten Trio mit Rüdiger Carl und Pierre Favre (der am gleichen Tag Geburtstag feiert wie Irene) und im Weiberrat: Les Diaboliques mit Maggie Nichols und Joelle Léandre. Vier Tage Free Jazz in Le Prese: Uncool, das ist also nicht
nur ein urlaubig konsumierbares Musikfestival, Uncool ist,
wie übrigens der Terminus Free Jazz gleichwohl, ein appellatives
Mehr, der Verweis auf eine Verantwortung des Einzelnen im Kollektiv: insofern
waren die Auftritte des Celestrial Communications Orchestra eine mehr
als programmatische Klammer. Roland HH Bisswurm |
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